Grün-schwarze Sondierungen in BaWü: Eine schräge Partnerschaft
In Baden-Württemberg versuchen sich Grüne und CDU an der politischen Quadratur des Kreises: der ersten grün-schwarzen Regierung.
STUTTGART taz | In den kommenden Wochen sollen acht bis zehn Fachkommissionen aus Grünen und CDU in Baden-Württemberg einen Koalitionsvertrag aushandeln. „Unser Ziel ist“, so die Grünen-Landesvorsitzende Thekla Walker, „gemeinsam am 12. Mai Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten zu wählen.
Dass das angesichts erheblicher inhaltlicher Differenzen nicht einfach wird, zeigte sich bereits vor einer Woche: Fünf Stunden intensives Ringen brachten die Koalitionspartner in spe hinter sich, bevor die eigentlichen Gespräche überhaupt aufgenommen wurden. Dabei ging es nicht um die vielen heiklen Themen, sondern allein um die geeignete Location für die Sondierungsgespräche.
Kretschmann hatte dem CDU-Team um Landeschef Thomas Strobl und den gescheiterten Spitzenkandidaten Guido Wolf die Schmach erspart, hoch hinauf in sein Staatsministerium in der Villa Reitzenstein steigen zu müssen. Ausgeguckt war das renommierte Haus der Architekten, weil dort aber vor fünf Jahren die grün-rote Landesregierung ausgehandelt worden war, sperrte sich Strobl so anhaltend, dass Kretschmann schließlich nachgab. Motto: Wenn ihr keine anderen Sorgen habt …
Dabei hat die CDU davon überreichlich: Fünf Jahre lang redete sie die grün-rote Koalition und deren Regierungschef schlecht, torpedierte nahezu alle Reformprojekte. Ihr Wahlprogramm „2016–2021“, das natürlich „Regierungsprogramm“ hieß, schwelgt in Wendungen wie „Grün-Rot hat die Herausforderungen des demografischen Wandels aus den Augen verloren“, „Grün-Rot hat keinen Sinn für Familie“, „Grün-Rot stellt Ideologie über das Wohl der Kinder“, „Innere Sicherheit ist bei Grün-Rot in schlechten Händen“. Kein Wunder, dass jetzt das Abrüsten schwerfällt.
CDU-Basis mag Grüne nicht
„Unsere Basis hält eben wenig von den Grünen“, sagt ein früherer Landrat am Mittwoch in Stuttgart am Rande der Trauerfeierlichkeiten für den früheren Ministerpräsidenten Lothar Späth. Deshalb müsse ein Mitgliederentscheid über Grün-Schwarz „um jeden Preis verhindert werden“.
So weit sind die Verhandler aber ohnehin noch nicht. Jetzt müssen Oberziele, die laut Kretschmann in den bisherigen Runden „vertrauensvoll und sachlich“ definiert wurden, mit Inhalten gefüllt werden. Während Wolf dabei intern der Part zufällt, die Hürden wenigstens schon mal zu benennen, muss Landesparteichef, Merkel-Vize und Schäuble-Schwiegersohn Strobl seine Leidenschaft für die Verästelungen der Landespolitik wachküssen.
Was die großen politischen Linien angeht, liegen Grüne und Christdemokraten in Baden-Württemberg gar nicht so weit auseinander. Geht man aber in die Details, sieht es in vielen Punkten ganz anders aus:
Verkehr: Die Grünen wollen die bestehende Infrastruktur besser nutzen und den Radverkehr weiterentwickeln. Die CDU dagegen setzt im Autoland Baden-Württemberg auf den Straßenbau und will dafür eine Milliarde Euro lockermachen.
Schulen: Die Grünen wollen die Gemeinschaftsschulen stärken, die CDU will Realschulen, Gymnasien und berufliche Schulen besonders fördern – und keine neuen Gemeinschaftsschulen mehr genehmigen.
Integration: Baden-Württemberg solle, was Integrationsangebote für Einwanderer angeht, zum Vorreiter werden, sagte CDU-Landeschef Thomas Strobl jüngst. Das unterschreiben sicher auch die Grünen. Doch was ist, wenn jemand sich der Integration verweigert?
Polizei: Die CDU will die Polizei um 1.500 Stellen aufstocken, die Grünen versprechen eine Einstellungsoffensive mit 2.800 Ausbildungsplätzen. Umstritten ist die Pflicht zur anonymisierten Kennzeichnung von Polizisten bei Großeinsätzen und Demonstrationen: Die Grünen wollen sie, die CDU lehnt sie ab.
Haushalt: CDU und Grüne haben bereits unisono erklärt, ab 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen. Denn ab dann gilt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
Direkte Demokratie: Die Grünen wollen Plebiszite stärken. Die CDU hält Bürgerbeteiligung prinzipiell für nicht schlecht – aber nur in Maßen.
Landtagswahlrecht: Bislang hat jeder Wähler in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl nur eine Stimme. Die Grünen wollen ein Zweistimmenwahlrecht mit einer Landesliste einführen, um den Anteil von Frauen im Parlament anzuheben. Eine Reform scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode vor allem an der CDU.
Bundesrat: Wie stimmt Grün-Schwarz im Bundesrat ab – mit dem Block der CDU-geführten Länder oder mit dem der rot-grünen Länder? Sind sich die Regierungspartner nicht einig, kann sich ein Land enthalten. Die CDU mahnt aber, das dürfe nicht zur Regel werden. (dpa)
Flink reagiere Strobl auf Zahlen und Fakten nicht, plaudert ein Grüner aus. Einem speziellen Thema geht der CDU-Chef öffentlich ganz aus dem Weg: Wird er auf einen Wechsel von Berlin nach Stuttgart angesprochen, umschifft er „diese Fangfrage“. Hinter den Kulissen allerdings lässt er durchblicken, für seine Partei „die Kohlen aus dem Feuer holen zu wollen“. Kohlen, die er selbst munter hineingeworfen hat.
Strobl, einst Grünen-Fresser
Unter dem glücklosen Günther Oettinger und dem brachialen Stefan Mappus war Strobl Generalsekretär. Nach dem Machtverlust 2011 kickte er Tanja Gönner vom Feld, Angela Merkels Favoritin, die neue Nummer eins der Südwest-CDU werden wollte. Gegen Guido Wolf unterlag er zur eigenen und zur Überraschung von Medien und CDU-Fußvolk.
Mittlerweile spricht der einstige Grünen-Fresser viel von staatspolitischer Verantwortung, wendet sich aber auch gegen – nirgends vertretene – Ansichten, Grün-Schwarz werde eine „Liebesheirat“. Hinzu kommt eine in dieser Phase ziemlich seltsame Äußerung: In fünf Jahren werde man sicherlich nicht gemeinsam Wahlkampf machen.
Kretschmann und seine Grünen widerstehen bisher jeder Verlockung, auf solche und andere verbale Ausritte zu revozieren. Die selbst von ihrer Größe überraschte Fraktion mit ihren 46 direkt gewählten Abgeordneten lässt dem Landesvater völlig freie Hand. Auch die Basis verhält sich derart still, dass bei manchen in der Union schon Neid aufkommt. Der Grüne habe eine Beinfreiheit, so ein Bezirksvorsitzender, von der Wolf und Strobl nicht einmal träumen könnten.
Wenn es aber um die Gemeinschaftsschule geht, deren Reform die CDU plötzlich zu ihrem Markenkern zählt, oder um den Abstand neuer Windräder von Siedlungen, um Straßen, Breitband oder die Frauenquote – dann werden die Konfliktpunkte nicht mehr zu verpacken sein unter wolkigen Oberzielen. Wissenschaftlich ist schon belegt, dass es weit mehr Streitpunkte gibt als Schnittmengen. Christian Stecker und Thomas Däubler vom Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) haben in 28 von 38 zentralen Fragen „deutliche Gegensätze“ herausgearbeitet.
Leser*innenkommentare
571 (Profil gelöscht)
Gast
"Mittlerweile spricht der einstige Grünen-Fresser viel von staatspolitischer Verantwortung, ..."
Das hat er während der Sondierungsgespräche von Grünen-Chefin Thekla Walker gelernt und babbelt jetzt lieber dem Erwin Teufel alles nach, statt eigene Ideen zu entwickeln. So hofft er, möglichst wenig verkehrt zu machen. Das überlässt er Guido Wolf.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@571 (Profil gelöscht) So viel wie die Grünen kann er nicht mal verkehrt machen, wenn er sich Öttinger als Berater holt.
571 (Profil gelöscht)
Gast
@DR. ALFRED SCHWEINSTEIN Nettes Witzle.
Wuff
Kreischmanns Krawatte im weitesten Sinne grün-schwarz, die vom CDU Mann passenderweise grünlich-kleinkariert.
Volker Birk
Was soll daran schräg sein? Kretschmann ist ein typischer Schwarzer:
Die Aufklärung der NSU-Morde und des Polizistenmordes in Heilbronn wird verhindert, Zeugen sterben wie die Fliegen. Aber zur Eröffnung der neuen Druckerei der Schwäbischen Zeitung – immer noch im Besitz von Bischof und Fürst – ist der Ministerpräsident anwesend.
Alles wie gehabt also. Da wächst zusammen, was immer zusammen gehörte.
Philippe Ressing
Schräge Partnerschaft? Nö, da wächst zusammen, was zusammengehört...
Gast1
@Philippe Ressing Welche Koalition hätten sie denn gerne, Herr Ressing?
571 (Profil gelöscht)
Gast
(und teils @Volker Birk)
Abgelutschtes Nixwissen.
Da halte ich mich lieber an die Originalkommentare von @Lowandorder.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@571 (Profil gelöscht) Haben Sie auch Argumente oder ischt der Käs damit gegessen?
571 (Profil gelöscht)
Gast
Da wächst eben nichts zusammen, was zusammengehört.
Auch in BaWü gibt es noch linke Grüne und stockkonservative Schwarze, die sicher nicht das Gefühl haben, sich jetzt dem Wählervotum willig beugen zu wollen und sogar Neuwahlen den Koalitionsverhandlungen vorzögen. Dass die wahrscheinlich keine winzige Minderheit darstellen, zeigt sich an der Furcht der Parteioberen vor Basisumfragen.
Pfanni
Die Kritiker aus allen politischen Lagern mogeln sich allesamt um eine Antwort auf die Frage “was sonst?“ herum. „Grün/Schwarz“ ist die letzte verbliebene Variante, die ohne AfD-Beteiligung auskommt!
Warum eigentlich die Aufregung? In Hessen funktioniert „Schwarz/Grün“ relativ geräuschlos. Warum also nicht auch mal „Grün/Schwarz“ versuchen? In BW geht man eben einen Schritt weiter!
Aber hoffentlich kommt es nicht so weit wie in Griechenland mit der Koalition aus der stramm linken Syriza und der stramm rechten ANEL. Auf D. übertragen wäre das eine Koalition aus AfD und Linkspartei. Immerhin hätten beide eine Gemeinsamkeit: Ihre Sympathie für W. Putin!
2097 (Profil gelöscht)
Gast
@Pfanni Da brauchen Sie sich keine Sorgen machen, die Linke ist bei 8%. Der Syriza Vergleich ist daher völlig realitätsfremd. Und die Putin Sympathie ist auch nicht weniger menschenrechtskonform als die Erdogan Sympathie unserer jetzigen Bundesregierung und Bundeskanzlerin.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@2097 (Profil gelöscht) Oder die Sympathie für den Friedensbringer aus Washington, der jetzt den Osten Europas aufrüstet und offenbar gerne wieder einen eisernen Vorhang hätte, nur diesmal ein ganzes Stück weiter Richtung Moskau.
571 (Profil gelöscht)
Gast
@DR. ALFRED SCHWEINSTEIN Nicht auszuschließen, der Eiserne Vorhang, sobald die EU-Immigranten eine neue Osteuroparoute eröffnen...
Ulrich Frank
Die Differenzen sind nicht die der beabsichtigten Politik - eine Politik des wesentlichen Stillstandes beim status quo - sondern in der dramatisierten Darstellung der hauseigenen Ideologien, zwecks Wählerhofierung. Man ziert sich jetzt vor diesen, unter Aufwirbelung von viel warmer Luft.
Es wird, im Falle des Falles, keine Kiwi-Koalition sondern eine Koks-Koalition, weitgehend fossiler Natur. Keine notwendigen Fortschritte im sozialen Bereich, keine nennenswerten dringend notwendigen Impulse und Fortschritte im Umweltbereich: nur keine Auflagen für die Autoindustrie.
Die Integration zur Einheitspartei, unter Beibehaltung illusionärer Differenzen, ist weiter im Gange.
Der Allgäuer
"Grün" wird aufpassen müssen, damit es nicht "schwarz" überstrichen wird.
Kretschmann und Strobl ergibt zwar keine Liebesheirat, aber vermutlich ein effektives Team der gemeinsamen Regierungsarbeit: den kleinsten gemeinsamen Nenner herausarbeiten und den als gute Zukunft für's Ländle durchsetzen, mit möglichst wenig Umwelt-, Sozial- und Datenschutz.
Und das mit einer SPD und einer F.D.P. als Opposition!
Schreckliche Vorstellung!
Thomas_Ba_Wü
Dann stellen sie sich doch einfach vor die Grünen hätten im Wahlkampf auf grüne Themen gesetzt.
Wie Frau Künast in Berlin und Herr Trittihn im Bund.
Dann wären die Grünen jetzt in der Opposition und könnten gar nichts mehr machen.
Ob die Grünen nun bei Wahlen untergehen weil sie wiedermal feststellen, dass ihre Life-Style-Politik für vegane Radfahrer in ner Großstadt nicht mehrheitsfähig ist oder ob sie ihre Ideale an die Realität anpassen und regieren ist mir persönlich wurscht.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
Vor Gemüse und Salat scheint Ihnen noch mehr zu grausen als vor Flüchtlingen und Migranten.
;)
Ulrich Frank
Das ist ein Mißverständnis. die Grünen /sind/ bereits schwarz, zumindest in Baden-Würtemberg. Genauer gesagt, kristallin-schwarz - so wie eben Koks. Das "Grüne" ist nurmehr PR-Dekor.
Herr Kretschmann, welcher immer priesterhafter wird, betet der Kanzlerin nach, und die betörte grüne Gefolgschaft, inkl. Minister, gibt keinen Mucks mehr von sich. ER ist Regierung!
Und in der "Regierung" wird man gebannt auf den kleineren Partner schauen, wie man es schon bei der SPD tat. Bloß nichts falsch machen, die CDU, bzw. die Kanzlerin, könnte ja mit der Wimper gegenzucken...
Jahre der Stagnation sind vorprogrammiert.
Horst Lafos
die Grünen /sind/ bereits schwarz, zumindest in Baden-Würtemberg?
Das wird sich wohl erst am Ende der
Koalitionsverhandlungen und in den nächsten vier Jahren heraustellen.
Ulrich Frank
Da braucht sich nichts "herauszustellen". Der Daimler-Benz-Konzern braucht, in Baden-Württemberg, gar keinen Lobbyisten von Klaeden. Der Konzern hat den Ministerpäsidenten Winfried Kretschmann als Werbeträger. Der fährt im selbstfahrenden Daimler-Lkw mit und sagt "fein".
Das politische flipfloppen beherrscht der Mann so gut wie Hillary Clinton.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@Horst Lafos Das hat sich die letzten vier Jahre schon gezeigt: Konservativer und neoliberaler als die SPD, mitunter überholte man noch die CDU rechts.
571 (Profil gelöscht)
Gast
Wenn schon, dann fünf Jahre, @Grauzone!
Und auch sonst in der Grauzone nix Fundiertes weit und breit.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
"Mittlerweile spricht der einstige Grünen-Fresser viel von staatspolitischer Verantwortung, wendet sich aber auch gegen – nirgends vertretene – Ansichten, Grün-Schwarz werde eine „Liebesheirat“."
Och, am gemeinsamen Fleischtopf wird man sich schon einig...