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Kolumne Die eine FrageAldimilch als Ausbruch

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Das Aldi- und Wurst-Bekenntnis des schleswig-holsteinischen Umweltministers Habeck führt zur wichtigen Frage: Dürfen Grüne keine Ökos sein?

Mag Tiere, isst sie aber auch: Robert Habeck. Bild: dpa

M it seiner im Magazin zeo2 formulierten Erkenntnis, dass habituelles „Öko“-sein in der Mehrheitsgesellschaft kein Rolemodel, sondern ein „Stigma“ sei, hat sich Schleswig-Holsteins stellvertretender Ministerpräsident Robert Habeck für einen Grünen weit vorgewagt. Wenn er sagt, er kaufe Milch „auch bei Aldi“, dann geht das tiefer als der seit dem Veggie-Day- und Steuerdebakel übliche Parteisprech, dass man niemand etwas vorschreiben wolle.

Habeck will vorschreiben, aber Schluss machen mit den blockierenden Kinkerlitzchen. Er wollte die Gesellschaft nie von der Oppositionskanzel herunter erziehen wie die 8,4-Prozent-Strategen. Als Umwelt-, Landwirtschafts-, Deichbau- und Energiewendeminister kann er die Realität nun noch schlechter ignorieren. Da steht er dann mit den Leuten rum und merkt genau, was sie denken: „Oh, Gott, ein Grüner, der isst bestimmt keine Bratwurst und will, dass wir auch keine Bratwurst mehr essen. Mist.“

Dann isst er eine Bratwurst mit ihnen und dann verschwinden ihre Bessermensch-Projektionen und Vorschreibe- und Verzichtängste. Und dann wählen sie ihn, damit er die Energiewende umsetzt. So denkt er sich das? Die eine Frage lautet also: Dürfen Grüne keine Ökos sein, um Ökopolitik machen zu können?

Wir befinden uns in einer hybriden gesellschaftlichen Situation. Rad fahren wird zunehmend als Gewinn verstanden und gefühlt – und nicht mehr als Degradierung. Gute, fleischarme Ernährung auch. Gleichzeitig sitzt die Sorge tief und wird auch geschürt, ökologische Moderne sei lebenseinschränkende Freiheitsberaubung. In dieser Lage als Politiker auf Moral zu setzen, wäre verantwortungslos. Es ist ja gerade die selbstgenügsame abstrakte Moral, die lähmt und dazu die Luft verpestet.

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Man muss auch zugeben, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz von Hans-Josef Fell und Hermann Scheer mehr für die Energiemoderne gebracht hat als grüne Lebensstilfolklore. In den Bereichen Energie, Verkehr und Landwirtschaft sind es weniger die gesellschaftlichen Trends, die den Unterschied machen. Es ist die Politik. In den Niederlanden fahren die Leute nicht Fahrrad, weil sie Ökos sind, sondern weil die Infrastruktur stimmt. Und die Deutschen waren nicht in der solaren Eigenstromproduktion vorn, weil sie Ökos waren, sondern weil die Politik das unterstützte.

Ökomoderen als Freiheitsversprechen

Was Habeck will, ist nicht Wurst essen und Aldimilch trinken, sondern das starre Denken über Freiheit verändern. Das kann also nicht auf eine plumpe FDP-Übernahmestrategie rauslaufen, sondern auf das Gegenteil. Unsere Freiheit wird ja von anderen Dingen bedroht als von Fahrradwegen, sauberer Energie und guter Ernährung. Habeck will die Ökomoderne als Freiheitsversprechen diskutieren.

Und dennoch bin ich sicher, dass radikale Veränderung nicht allein politisch organisiert werden kann, sondern von einer gelebten Klimakultur einer Teilgesellschaft getragen werden muss –und von den Leitfiguren des Wandels auch gelebt. Es ist einfach glaubwürdiger, wenn der Oberbürgermeister von Tübingen einen Radweg einweiht und danach mit seinem Dienstfahrrad weiterfährt statt mit der Limousine. Allerdings hassen ihn selbst dafür dann wieder die Mental-Autofahrer.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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2 Kommentare

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  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Selbstverständlich ist radikale Änderung nicht parteipolitisch zu organisieren, weil der Zwang zum Kompromiss das Gegenteil von radikal ist.

     

    Ich verstehe, was Habeck meint, denn wenn man sich mit etwas hervortut, was nicht dem Mainstream entspricht, ist man schnell ein Sonderling, auch wenn man sein Verhalten auf rationale Überlegungen gründet und keineswegs einen Sprung in der Psychoschüssel hat.

     

    Mir sagt das, dass das Individelle, das wir doch allenthalben feiern, noch gar nicht existiert, jedenfalls nicht als gesellschaftliche Kategorie, der Vorbildcharakter zukäme. Vielmehr will die Masse immer noch all jene zur Anpassung vergattern, die in ihr nicht aufgehen wollen. Insofern sehe ich auch ernsthafte Gefahren für einen Rückschlag in totalitäre Muster.

     

    Habeck scheint sich an Hegel zu orientieren, der glaubte, man könne mit List weiterkommen. Der Auffassung bin ich auch. Allerdings kann man auch listig sein, ohne dass man seine Überzeugungen unterschlägt oder sogar gegen diese handelt. Habeck könnte in aller Selbstverständlichkeit öffentlich eine Tofuwurst essen und ein Glas Hafermilch trinken, er könnte mit dem Fahrad zum Biobauern fahren, um dort einzukaufen und in veganen Restaurants essen. Denn solange er das nicht an die große Glocke hängt, merkt das keiner. Und wenn es sich langsam herumspricht, wird die Mehrheit das nicht krumm nehmen, denn diese rümpft vor allem dann die Nase, wenn einer auf die Moralkacke haut und sie damit bespritzt. Merkt sie hingegen, dieser Mann ist in seiner Bescheidenheit ein Vorbild, insofern er nicht von Moral redet, sondern ihr entsprechend handelt, dann nimmt sie ihn ernst.

     

    Sich allerdings öffentlich der Fähigkeit zur List zu begeben, indem man deren mögliche Strategie offenlegt und sich damit auf die Seite jener zu stellen, die mit dem SUV zu ALDI einkaufen fahren, ist nicht listig, sondern dämlich.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Starker Beitrag ! :)