Kolumne Die Kriegsreporterin: Marmelade und Heizdecken
Willkommen im Kummerland Gruner + Jahr: Der „Stern“ versinkt in der Bedeutungslosigkeit. Da will die „Brigitte“ natürlich nicht hintenanstehen.
H allo taz-Medienredaktion!
Haben wir zufällig bald eine Bundestagswahl? Steht der größte Terrorismusprozess seit Baader-Meinhof vor der Tür? Hat eine Studie von Unicef gerade offenbart, dass die deutschen Jugendlichen – unsere Zukunft! – kreuzunglücklich sind? Und zwar so sehr, dass sie in der Untersuchung von 29 Industriestaaten auf Platz 22 landen, kurz vor den rumänischen Kids?
Und was macht der Stern, dieses vom Nordwind durchgerüttelte Magazin nach seiner Frischzellenkur? Es berichtet vom „Lauf ins Glück!“ Selbst als die Republik letzte Woche noch auf den Anstieg des Thermometers auf über 10 Grad hoffte, schrieb man in Hamburg „Der Frühling ist da“ auf den Titel. Für ein Magazin, das berichten soll, was ist, eine tolle Behauptung. Aber wer braucht schon Tatsachen, wenn der Leser beim Orakelorgan Stern 100 Personal Trainer gewinnen kann?
Personal Berater hatte die neue Führung kontaktiert, die Besten der besten Blattmacher weltweit befragt, nach New York war man gejettet, um den Wind of Change durch das Blatt zu pusten.
ist Kolumnistin und Autorin der taz.
Und was ist das Ergebnis? Artikel auf Fitzelgröße und die Doppelseite „Kurze Antworten auf drängende Fragen“ in der Rubrik „Die Welt verstehen“. Etwa die auf die Frage: „Kann Mokka wirklich das Leben verlängern?“ Was insofern drängend ist, als dass, wenn dem so sei, man es schnell wissen muss, um stante pede anfangen zu können mit dem Mokkatrinken. Zumindest, wenn man lange leben möchte.
Da ich jetzt weiß, dass dem nicht so ist, verstehe ich auch die Welt besser. Also, warum so viele Menschen, die noch keine 100 Jahre alt sind, sterben. Allerdings würde ich auch gern das Heft verstehen. Etwa, wenn auf dem Titel zu Margaret Thatchers Tod zu lesen ist: „Ein persönlicher Nachruf in Bildern“, und dann irgendwelche Fotos gezeigt werden, aber offen bleibt, wer die denn nun ausgesucht hat. Wessen persönliche Betroffenheit die Auswahl begründet.
Aber nicht nur der Stern dürfte Gruner & Jahr derzeit Sorge bereiten, eigentlich ist der ganze Verlag ein großes Kummerland. Die Brigitte zum Beispiel. Die wird nun nach dem Aufstieg des Chefredakteurs Stefan Schäfer zum Vorstand „Produkte“ – Marmelade, Heizdecken, Zeitschriften – von Brigitte Huber verantwortet, die zusammen mit Andreas Lebert zehn Jahre Gelegenheit hatte, das Blatt nach vorn zu bringen. Und so ziemlich das Gegenteil bewirkt hat.
Oder Hitler. 30 Jahre ist es Ende April her, dass der dem Stern seine Tagebücher untergeschoben hat. Richtig heiß wurde die Sache im Mai, sodass der Mai für die erinnernde Presse als der Jubiläumsmonat gelten wird. Das ist traditionell der Monat für die Verleihung des Henri-Nannen-Preises. Na, was ein Glück, dass das Schauspielhaus renoviert wird, da kann man mit der Änderung des Veranstaltungsortes auch gleich von dem blöden Desaster-Monat abrücken und die Verleihung im April stattfinden lassen. Nicht, dass die 30-Jahre-Hitler-Presse noch die schöne Verleihung ruiniert! Irgendwo muss das Positive, das Glamouröse doch herkommen, das man mit dem einstigen Prestigeverlag in Verbindung bringen soll.
Ruhig ist es aktuell in der Hafencity, beim Spiegel. Nix Neues von der Chefsuche. Nachdem aber mit Mathias Müller von Blumencron das Klischee vom segelnden Hamburger Chefredakteur das Haus verlassen hat, überlege ich, ob es sein kann, dass das Rennen um den obersten Posten auf der Alster ausgetragen wird? Sitzen Wolfgang Büchner, Jakob Augstein und weitere Kandidaten womöglich grad in einer Jolle und warten auf Wind?
Das Fernrohr im Anschlag zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Absage von Comic-Vorstellung in Berlin
Keine Debatte ohne Volker Beck