piwik no script img

Kolumne Der Rote FadenEchte Männer verhandeln nicht

Robert Misik
Kolumne
von Robert Misik

Viele Kommentatoren sind sich einig: Her mit den Sanktionen gegen Wladimir Putin. Selten wurden Verhandlungen so sehr verachtet.

Allgegenwärtig: Präsident Putin, hier auf dem Flughafen in Kiew. Bild: reuters

S anktionen müssen her! Aber ganz schnell! Putin muss merken, dass er einen Preis zu bezahlen hat! Dass ihn seine Aktionen zu einem Paria machen!“ – So quillt es aus den Kommentarspalten der Zeitungen, so dröhnt es aus Postingforen und sozialen Netzwerken.

Ganz unabhängig von der Frage, wie man die Situation in der Ukraine und das russische Vorgehen auf der Krim beurteilen mag, macht sich ganz generell gerade wieder etwas bemerkbar, was man in den vergangenen Jahren schon häufiger sah: ein regelrechter Hass auf die Diplomatie, eine Verachtung des Verhandelns.

Diplomatie, das mühsame Vermitteln zwischen unterschiedlichen Interessen, der beharrliche Versuch, Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen, das Vermögen, sich auch in die Gegenseite hineinzuversetzen – all das steht in einem denkbar schlechten Licht. Wer auf Diplomatie setze, dem fehle es offenbar an Entschiedenheit, an Entschlusskraft, wird insinuiert. Der habe „keine Eier“.

Der Diplomat hat den Hautgout des Warmduschers. Das Gegenbild zum schwächlichen Diplomaten ist das der Härte, der Entschiedenheit. In der Machtarena sei Diplomatie eine unrealistische Illusion, während die eigentliche Münze Brutalität sei. Internationale Politik wird mit Männlichkeitsattributen belegt: Macht kommt eben nur aus Gewehrläufen; echte Männer langen hin; reden ist was für Schwächlinge.

Die Situation realistisch beurteilen

Oft ist das geradezu bizarr. Wer dann andeutet, man müsse versuchen, auch die andere Seite zu verstehen (in dem Fall beispielsweise: Was treibt Putin? Was sind die Sensibilitäten der Russen?), der steht mit einem Bein schon im unmoralischen Appeasement. Die Fähigkeit, die Motive des anderen zu verstehen und die Situation realistisch zu beurteilen, wird plötzlich nicht mehr als Klugheit, sondern als verwerfliche Untugend gesehen.

Welch abstruse Blüten das zeigt, sieht man an der heute beliebten Deutung der Situation: EU-Europa sei schwach, wird gesagt, während Putin kühl seine Interessen verfolge und die USA eine klare Linie hätten. Dabei ist die Wirklichkeit doch eher so: Putin hat sich total verkalkuliert, hat die Ukraine als mehr oder weniger befreundeten Staat verloren und versucht jetzt noch zu stören und die Krim für sich zu retten; das außenpolitische US-Establishment bellt derweil irgendwelche Kraftmeiereien über den Atlantik, die völlig irrelevant sind.

Die Einzigen, die in dieser Krise etwas zuwege gebracht haben, waren die EU-Außenpolitiker, etwa durch die Mission von Steinmeier und Co. Aber die sind halt nicht so cool.

Dinge wiederholen sich

Der Zufall wollte es, dass ich vergangene Woche in Graz über „Die Linke und die Gewalt“ diskutieren musste. Der Anlass: In Wien hatte es vor ein paar Wochen bei einer Anti-FPÖ-Demo Randale gegeben, was hierzulande eher selten vorkommt. Eine Gelegenheit, mal wieder über die Gewaltfaszination in der Linken zu diskutieren, also die ganze Themenpalette: der Militante als Zulanger, als „echter“ Linker, gegenüber dem faden Latschdemonstranten als Weichei; der Streetfighter als Kultfigur; der Schwarze Block mit seiner Bildsprache aus geschlossenen Reihen, Uniformität und militärischer Formation; die Frage, was Gewalt und Militanz mit einem selber machen. Offenbar muss jede Linkengeneration das aufs Neue diskutieren.

Nun gut, als Autor soll es mir recht sein: einfach verdientes Geld, wenn man das, was man schon hundertmal gesagt hat, noch zum aberhundertsten Mal sagen kann und es immer noch jemanden gibt, für den es neu ist. Ich musste da an einen Blogpost eines Kollegen und Freundes denken, des grünen Europapolitikers Michel Reimon, der unlängst schrieb:

„Ich bin 42. Und ich entwickle eine unangenehme Angewohnheit: Ich spreche aus Erfahrung. Wenn mir jemand einen banalen Text über Privatisierungen an die Pinnwand postet, antworte ich: ’Oh bitte, lass mich mit dem Kindergartenliberalismus in Ruhe, da hab ich ein Buch darüber geschrieben.‘ Stimmt auch. Genau genommen drei Bücher. […] Oder wenn jemand jegliche differenzierte Debatte über Gewalt bei Demonstrationen hysterisch ablehnt und mich auf die Seite der staatlichen Repression stellen will, […] da denk ich dann: Kindchen, ich bin in Genua halb blind vom Tränengas in der Tiefgarage eingekesselt gesessen, als das Blut von Carlo Guliani darüber in den Pflastersteinen versickert ist. Was willst du mir über Demos erzählen? […] Erfahrung ist etwas Wunderbares. Ich fürchte nur, ich bin an einem gefährlichen Punkt: Immer öfter urteile ich einfach aus Erfahrung und denke nicht mehr grundlegend darüber nach, weil ich ja eh schon tausendmal nachgedacht habe.“

Ich finde, dass es nicht ganz so schlimm ist. Ja, die Dinge wiederholen sich. Aber doch immer irgendwie anders.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • J
    Josi

    Gewalt und Männer, Gewalt und Linke

     

    1. der postmoderne Mythos, Gewalt und Macht seien immer "Männersache", ist mir zu einfach gestrickt. Gewalt wurde und wird auch heute noch genauso von vielen Frauen unterstützt, auch wenn die Ausführung meistens dann bequemerweise "den" Männern überlassen wird. Die gespielte "Gewaltlosigkeit" einiger Menschen verdeckt oft Konfliktunfähigkeit, in deren Folge Gewalt unkontrollierbar explodiert und je nach Interessenslage gebilligt oder zurückgewiesen wird.

     

    2. wenn schon eine "Gewaltfaszination in der Linken" immer wieder thematisiert wird, sollte auch über das Dogma der Gewaltlosigkeit unter den Mitläufern gesprochen werden, das letztendlich den jeweiligen Machthabern zugute kommt. Denn die Rechte, ob extrem oder sozialdemokratisch, hat noch nie den Bedarf gespürt über Gewaltanwendung zu diskutieren. Ob in Wackersdorf, Serbien, Libyen, oder Maidan.

     

    @ Stefan Blanke:

    Wir können auch gleich aufhören zu denken und alles dem Großen Bruder überlassen... moment, das haben wir doch gerade schon, oder?

  • Teil 2

    Was hier durch die Foren rauscht, was von Kommentatoren geschrieben, wird ist nichts als Bla Bla, die schwachen Versuche sich in einer Welt per "Meinung", "Erfahrung" die man eigentlich nicht haben kann, weil der Handlungsrahmen nicht real existiert und sich maximal in Muskelspielchen und Gewalt oder kompletter Folgenlosigkeit ausdrückt, fest zu klammern. Es geht immer nur um irgendeine Macht um die primitiven Kostruktionen von Meinung in diesem für unabdingbar gehaltenen Gebäude der Handlungsunfähigkeit, der Ignoranz gegenüber Menschenleben und der Ignoranz der wirklichen Bedürfnisse und Lebensumstände von Menschen, für die man sich vermeintlich einsetzt. Es geht immer um Fremdbestimmung, ein Spiel dessen man sich schon gar nicht mehr bewusst ist oder dass man so akzeptiert hat. Es geht immer um Macht und Regeln, niemals um Unterstützung von autonomen Handlungen der wirklich Betroffenen, niemals um Unterstützung. Es geht immer um Konstruktionen die eigentlich nicht existieren, um Vertrtäge und Regeln die mögliche friedlichen Handlungen vor Ort auf ein Minimum reduzieren, einschränken und sich an inhaltsleeren Idealen aufreiben. Kurz: künstliche Dummheit und Größenwahn in der Annahme das dies ja unabdingbar wäre weil sonst die Welt im Chaos versinken würde und selbst Zerstzörung und schlimmeres Chaos schafft, Unbeteiligte in die groben Risse des Denkens reißt und Leben bedroht und konkret vernichtet, das bestimmt besseres zu tun hätte als sich von Wahnsinnigen niedertrampeln zu lassen (und von ihnen ausgeplündert zu werden).

  • Teil 1

    Wie wäre es denn z.B. damit, sich einfach mal einzugestehen dass es in der Politik und im Zusammenhang mit Macht und der Entwicklung von Handlungsanweisungen über Macht, was ja nichts anderes ist als Politik, kein echter Bezug zu realer Machbarkeit vor Ort besteht? Der Blick auf die real existierende Situation komplett fehlt und man in Gebäuden der Abstraktion herumtaumelt, mit einem Blindenstock auf dem Meinung steht? Im übrigen ist der Einfluss von Kommentatoren, Meinungshabern etc. komplett null und nichtig, mit einem Spalt der nicht Erreichbarkeit der mindestens so weit klafft wie Meinung und Abstraktion von der realen Machbarkeit und den echten Vorgängen entfernt liegt. Ist bei einer "demokratischen" Wahl festgelegt worden wie zukünftig mit Kriesen umgegangen werden soll? Wohl eher nicht. Zielführendes Handeln fällt somit darüber komplett flach. Wie viele Tausende Kilometer ist man entfernt? Wie viel weiß man über die Lebensnotwendigkeiten vor Ort? Wie viel weiß man über die Relevanz der Dinge für lebare Lebensbedingungen vor Ort? Genau. Nichts.

  • T
    thejek

    die meisten kommentare, die ich in vielen foren gelesen haben, sagen, sanktionen sind unsinn, weil der westen der agressor ist, also warum sanktionieren und die meisten sagen auch, wenn russen und china sanktionieren ist deutschland, die eu, die usa, kurzum der westen am ende, so einfach ist das. der westen ueberschaetzt sich masslos.

    • @thejek:

      Der Westen ? Ich denke, wir alle. Dann riecht´s verdammt nach Krieg.

  • Der Anführer des ultraradikalen "Rechten Sektors" Dmitrij Jarosch will bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Die Rechtsextremisten haben die Hauptrolle beim bewaffneten Putsch in der Ukraine gespielt und wollen sich nun an der Macht beteiligen. Der "Rechte Sektor" hat viele Mitglieder und Anhänger, die alle immer noch bewaffnet sind und eine ernsthafte Bedrohung für alle Seiten darstellen. Selbst die aktuelle Putschistenregierung unter Jazenjuk akzeptieren sie nicht und werden ihren Kampf fortsetzen. Die Marionettenregierung von den drei Heiligen - Zentralbanker Jazenjuk, Nationalist Tjagnibok und Boxer Klitschko - kontrolieren die Situation überhaupt nicht.

  • S
    serbmem

    Warum sollte die Krim nicht den Russen gehören? Das Problem ist doch Herr Putin.