Kolumne Darum: Jetzt geht’s rund

Im Sommerurlaub wurden meine Kinder nationalistisch „gedisst“. Das ist ärgerlich. Aber ein Klacks im Vergleich zur Rückkehr nach Deutschland.

Metallnetz einer Tischtennisplatte im Freien. Foto: Photocase / DavidQ

Nun beginnt Nationalismus also schon an der Tischtennisplatte. Wir sind im Sommerurlaub auf einem Campingplatz nahe des Lago Maggiore. Italien, die Sonne scheint, ein Fluss rauscht beständig, Entspannung, nichts stört.

Nur mein Sohn ist wütend. Seit Tagen geht er am frühen Abend zu einer Tischtennisplatte, die zum Campingplatz gehört. Dort wird Rundlauf gespielt und er hat seinen Spaß daran gefunden.

Nun nicht mehr. Viele Leute sind abgereist, neue sind gekommen, darunter auch Kinder und Jugendliche, die ebenfalls Rundlauf spielen wollen. Ein paar niederländische Jungen sind dabei, die meinen Sohn ärgern. „Dissen“, sagt er, „die dissen mich.“

Vor allem ein Junge habe es auf ihn abgesehen. Er fordere von den Spielern, die in der Rundlaufschlange vor meinem Sohn stehen, extra hochzuspielen, damit andere ihn rausschmettern können. Das passiere oft und dann lachten alle laut.

„Dissen“, sagt er, „die dissen mich.“

Wir fragen, ob er denn etwas getan habe, das eine solche Unsportlichkeit provoziert habe? Vor zwei Jahren gab es im Sardinien-Urlaub mal einen kleinen unfreiwilligen Eklat um die deutsche Nationalhymne. „Nein“, sagt er, die Niederländer spielten halt nicht gern mit Deutschen. „Was?“, fragt meine Tochter empört und bietet an, mitzugehen.

Nationalistisch gedisst

Beide kehren bald zurück und erzählen, dass es tatsächlich so sei. Sie verstünden zwar nicht alles, aber „Schmeißt die Deutschen raus!“ sei zuerst auf niederländisch und dann, damit die Deutschen es auch verstehen, auf Englisch gerufen worden. Nun sind beide Kinder wütend. Sie verstehen es nicht. Sie sind zwar schon öfter „gedisst“ worden und haben selbst schon andere „gedisst“, aber das nationalistische „Dissen“ ist ihnen neu.

Wir sind zurück in einem Land, in dem die Niedertracht wieder um sich greift

Wir reden darüber, lange und so ruhig wie möglich. Wir sprechen über die Schmähgesänge, mit denen sich deutsche und niederländische Fußballfans seit Jahrzehnten gegenseitig überziehen; über Vorurteile, Ressentiments, Ausschlüsse, sogar über die deutsche Besatzung der Niederlande im Nationalsozialismus. Es ist alles viel zu viel und viel zu hoch und doch merken wir, dass die Empörung der Kinder nachlässt.

Am nächsten Tag gehen sie wieder zur Tischtennisplatte, erneut sind die Schmähungen da. Ein niederländischer Junge entschuldigt sich zuerst bei meinem Sohn, um unmittelbar danach seine Mitspieler aufzufordern, ihn rauszuschmeißen. Der Satz mit den Deutschen fehlt diesmal, es ist jetzt rein persönlich gemeint. Meine Kinder lachen darüber und spielen einfach weiter.

Rückkehr nach Deutschland

Die Urlaubszeit geht zu Ende, wir fahren zurück. Am Bodensee empfangen wir die ersten deutschsprachigen Radiosender. Wir hören die Nachrichten. Wir vernehmen, dass es fast täglich zu neuen Übergriffen auf Unterkünfte von Flüchtlingen in Deutschland komme, zu Brandanschlägen, Straßenblockaden vor Asylbewerberheimen, Demonstrationen, auf denen der Hitlergruß gezeigt wird, Anwohnerprotesten, die vor Nationalismus und Rassismus nur so triefen.

Wir sind zurück in einem Land, in dem die Niedertracht wieder um sich greift und in dem die Niederträchtigen auch noch sagen, sie täten das alles nur zum Schutz ihrer Kinder. Sollte ich beim Tischtennis-Rundlauf je auf so eine Gestalt treffen, ich forderte meine Mitspieler auf, extra hochzuspielen.

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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