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Kolumne Bestellen und VersendenProduktivkraft Hass

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Genügt die Politisierung der Liebe als Strategie gegen rechte Gewalt? Den Hass den Rechten zu überlassen, wäre ein politischer Fehler.

Hass kann helfen Foto: tilla eulenspiegel / photocase.de

L ove is the Message! Nicht erst seit dem Anschlag von Orlando wird gegen Homohasser, Islamfaschos, Sexisten, Islamophobe, Antisemiten und all die anderen Hater eine Politik der Liebe ins Feld geführt. Im Mai begeisterte die Bloggerin Kübra Gümüşay bei der Berliner Tagung re:publica mit ihrem mitreißenden Vortrag „Liebe organisieren!“. Sie forderte dazu auf, „das Netz mit Liebe zu fluten“ und „einander zu feiern“ und so „den Hass zu muten“.

Für eine Politisierung der Liebe plädiert auch der kroatische Philosoph Srećko Horvat in seinem gerade erschienenen Buch „Die Radikalität der Liebe“. In den Protesten von Athen oder Madrid sieht er Liebe am Werk und meint damit das Gefühl, „dass man mehr denn je alleine und einzigartig ist und zugleich stärker verbunden mit einer Vielheit als je zuvor“. Apodiktisch erklärt Horvat: „Jede Revolution, die ihren Namen zu Recht trägt, ist Liebe.“

Liebe ist . . . super, keine Frage. Aber müssen wir wegen der diversen Hassfratzen, die Menschen beleidigen, erniedrigen oder gleich ermorden, jetzt alle Hippies werden? Sollen wir uns den Hass einfach so wegnehmen lassen? Politiker betonen nach jedem Attentat, dass es darum ginge, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen.

„Ich hasse meinen Hass“

Genauso sollte der Hass gegen seine regressive Vereinnahmung verteidigt werden, anstatt ihn in universaler Liebe zu ertränken. Lange vor Internet, IS und AfD war Hass eine maßgebliche Produktivkraft – ob in der Politik, in der Kunst oder – banal biografisch – in der Adoleszenz. „Ich hasse meinen Hass. Er hilft mir allerdings auch bei der Arbeit“, schreibt der Schriftsteller Rainald Goetz in „Abfall für Alle“.

Ohne den „Hass der Sklaven auf den Sklavenhalter“, über den Ta-Nehisi Coates in seinem tollen Buch „Zwischen mir und der Welt“ an einer Stelle nachdenkt, hätte es kein „schwarzes Bewusstsein“ gegeben. Ohne den Hass auf die Bourgeoisie hätte es historische Avantgarden wie Surrealismus oder Situationismus nicht gegeben. Ohne Hass auf das (post-)nazistische Österreich wären Thomas Bernhards Hate-Speech-Romane nie geschrieben worden. Ohne Hass auf alles Mögliche wäre Punkrock nicht entstanden („I hate Pink Floyd“ stand auf Johnny Rottens legendärem T-Shirt).

Es gibt poetischen Hass, emanzipatorischen Hass und juvenilen Hass, was wäre die Geschichte der Popkultur ohne dessen negative Energie? Jean-Paul Sartre schreibt in „Das Sein und das Nichts“, dass sich im Hass der Wunsch artikuliere, nie mehr Objekt zu sein. Entsprechend befreiend und produktiv kann die krasse Negation als „absolute Setzung der Freiheit“ (Sartre) sein, wenn sie sich denn nicht– wie heute üblich – in einen faschistischen Diskurs einschreibt.

Emanzipatorischer Affekt

Im Hass schlummert immer das Begehren nach anderen Möglichkeiten. Die rechte Regression schließt diese aus, die reaktive Flucht in BIG LOVE auf ihre Weise auch. Wenn Hass nicht mehr als potenziell emanzipatorischer Affekt begriffen wird, fügt man sich der Definitionsmacht rechter Hater. Es gibt den rohen Hass der Arschlöcher, klar, und der wird immer mehr, wie die Studie „Die enthemmte Mitte“ gerade gezeigt wird.

Aber es gibt genauso den sublimierten Hass, der das Leben interessanter macht. Hass an sich ist nicht das Böse und genauso wenig ist Liebe per se gut, sie kann ebenso in Destruktion und Gewalt umschlagen. Liebe kann das „albtraumhafte Verlangen, den anderen zu besitzen“ sein, so Horvat in „Die Radikalität der Liebe“. Und selbst noch so gut gemeinte Menschenliebe kann repressiv sein, deswegen begehrten Punk und New Wave gegen die schönen Seelen der linken Humanisten auf.

Und auch die aktuelle Forderung nach mehr Empathie hilft nicht unbedingt weiter. In ihrem soeben erschienenen Buch „Böses Denken“ weist die Philosophin Bettina Stangneth darauf hin, dass gerade der Folterer viel Empathie aufbringen muss, um sein Opfer wirkungsvoll quälen zu können. Hassfreiheit garantiert gar nichts.

Auf Hass nicht angewiesen

Der größte Massenmord aller Zeiten war auf Hass nicht angewiesen, im Gegenteil: Intensive Gefühle hätten die Effizienz der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gestört, weshalb er als bürokratische Maschine organisiert wurde, in der die Mörder nur funktionieren mussten, nicht hassen.

Liebe organisieren: auf jeden Fall! Und genauso geht es darum, sich nicht von menschenverachtenden Trolls und Killern diktieren zu lassen, was Hass ist. Gegen das rechte Hassmonopol gilt es die kulturelle Vielfalt des Hasses zu behaupten. Wir sollten lieben und schöner hassen als die Hassbürger. Hass ist ein „großer Motor des Sozialen“, sagt Rainald Goetz. Ein Leben ohne ihn wäre deshalb genauso fad wie eines ohne Liebe.

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Aram Lintzel
Politikwissenschaftler, arbeitet seit 2022 im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vorher Referent für Kulturpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Autor und Redakteur für verschiedene Publikationen (Spex, de:bug, Texte zur Kunst, Polar, Travel Almanac ...). Schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither gelegentlich noch taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik. Bilanz mit der Grünen Tulpe gegen taz Panter FC: 2 Siege, 0 Unentschieden, 0 Niederlagen.
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6 Kommentare

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  • Hass ist kein isoliertes Gefühl sondern eingebettet in Unsicherheit/Angst und Gewalt als Handlungsimpuls.

     

    So wie Liebe eingebettet ist in Vertrauen und Gewaltverzicht.

     

    Hass und Gewalt gegen Unterdrücker mögen gerechtfertigt sein. Der Hass des fremdenfeindlichen Mobs ist zu diskreditieren weil er letztlich ein evolutionäres Gefühlsrelikt ist, der in demokratischen gesellschaften disfunktional ist, nichts produktives beinhaltet sondern lediglich Destruktion.

     

    Die Welt mit Liebe zu Fluten ist in jedem Fall unproblematischer als den Hass des fremdenfeindlichen Mob auch noch als "produktiv" aufzuwerten.

  • Der Kommentar irrt doppelt. Zwar war der Nationalsozialismus "nüchtern" durchorganisiert - ohne den Hass der Massen auf Juden, Kommunisten, Nicht-Arier etc. hätte er nie funktioniert.

    Gleichermassen besteht die Gegenreaktion gegen Extremismus durchaus nicht nur aus "Liebe" sondern bedient sich schon immer der Hassgefühle. Da braucht man nicht nur zur Antifa zu schauen - auch die Diffamierung von Leuten als "homophob" oder "rechtsradikal" hat Elemente des Hasses.

    Wir sind alle Menschen - und Menschen lieben nicht nur, sie hassen auch. Allerdings eint uns der Hass mit denjenigen, die wir hassen. Wenn wir genauso hassen, werden wir keine andere, bessere Gesellschaft haben. Mit Hass werden vielleicht die Themen und die diskriminierten Gruppen ausgewechselt - das Prinzip bleibt das Gleiche.

    Wir sollten daher nicht einfach unseren Hass als "schöner" definieren - das tun die anderen schon lange: Der Hass der Täter wird da zelebriert und der Hass der Opfer wird verhöhnt.

    Wir haben gelernt, mit unserem Hass zivilisiert umzugehen. Das bedeutet ihn nicht zu verleugnen aber ihn zu hinterfragen, bevor er andere Menschen trifft.

    Wir sollten nicht in die Ära des Hasses zurückkehren - für keine noch so "gute Sache". Das bedeutet, Menschenrechte und Meinungsfreiheit stehen über unseren Gefühlen. Europas Erungenschaften drohen zu zerfallen. Leider arbeiten viele Seiten daran, Menschenrechte und Meinungsfreiheit immer weiter zu beschränken.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Liebe, Hass, das beides gut, solang das Kapital nicht ruht.

  • Nein, sehr geehrter Aram Lintzel, Sie müssen sich ihren Hass nicht nehmen lassen, wenn Sie glauben, er sei Teil Ihres Wesens. Behalten Sie ihn ruhig, wenn Sie ihn denn unbedingt behalten wollen. Aber bitte: Setzen Sie ihn SINNVOLL ein. Sinnvoll im Sinn von produktiv.

     

    Am besten verteidigt man die Demokratie, indem man anders reagiert als ihre Feinde, denke ich. Von Arschlöchern soll man nicht siegen lernen wollen. Als Sänger nicht, als Schriftsteller nicht, als Publizist nicht und auch nicht als linker Politiker.

     

    Sie haben recht, verehrter Aram Lintzel, Hass ist ein "potenziell emanzipatorischer Affekt". Allerdings mit einer deutlichen Betonung auf dem "potentiell". Genau deswegen sollte man auch nicht versuchen, Leute, die nicht hassen wollen (z.B. weil sie überzeugt sind, dass sie dazu gar nicht fähig sind), umzuerziehen. Kann nämlich sein, dass unwillige "Schüler" wirklich hassen lernen. Nur halt nicht irgendwelche Islamisten, Faschisten oder Neocons – sondern die "Lehrer", die den Hass verehren, verehrter Aram Lintzel. Die sind ihnen ganz einfach affektiv am lästigsten.

     

    Hassfreiheit garantiert gar nichts, das ist wohl war. Hass aber auch nicht. Überhaupt ist es lächerlich, eine Welt, die so komplex ist wie die unsere, in Schwarz und Weiß einteilen zu wollen. Es gibt keine einfachen Lösungen. Nicht für 6 Milliarden Menschen.

     

    Wir sollten lieben - und schöner hassen als die Hassbürger. Für mich heißt das, dass ich versuche fair zu bleiben, selbst noch in meinem Hass. Fair und mitfühlend. Das muss (man denke an die Folterknechte) den Leuten, die ich hasse, nicht gefallen. Aber wer sagt denn, dass sie es nicht lieben lernen können?

    • @mowgli:

      Bravo!

      (*sieben Milliarden)

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Liebe mag das konkrete Gegenüber transzendieren und sich als Menschenliebe manifestieren. Aber indem man "einander feiert", lässt man sich bloß die eigenen narzisstischen Bedürfnisse von unkonkreten Anderen bedienen. Der Anspruch, man könne den Äther mit Liebe fluten, setzt zudem voraus, dass diese in überbordendem Maße existiert. Dergleichen sehe ich nirgends, Hass hingegen scheint mehr als genug dazusein.