piwik no script img

Kolumne BehelfsetikettDer Autor sucht nach neuen Wegen

Wer mal eine Zeit durch's Leben humpeln muss, macht am eigenen Leib die Erfahrung, wie man behindert wird, wenn man bewegungseingeschränkt ist.

Kriminell: Gehweg in Friedrichshain Foto: Andreas Hergeth

W ie mühsam es ist, sich auf zwei Gehstützen durch die Stadt zu schleppen, musste ich letztens am eigenen Leib erfahren. Nach einer Operation am Knie wird der gewohnte Aktionsradius auf einmal ganz klein.

In meinem Falle handelte es sich um das Straßenkarree rund um mein Zuhause in der Hausburgstraße im Friedrichshainer Nordkiez. Und es dauerte auch nur zwei Wochen. Doch diese Zeit hat meinen Blick – mit Gehstützen in der Händen schaut man eben andauernd nach unten – auf die Gehwege nachhaltig verändert. Und mein Mitgefühl geweckt.

In meiner Straße ist es um den Zustand des Gehwegs schlimm bestellt. Und das schon seit den zwei Jahrzehnten, die ich nun hier wohne.

Es handelt sich größtenteils um das reinste Flickwerk, was den Fußgängern da zugemutet wird. Manchmal fehlen gleich meterweise Gehwegplatten, man läuft über blankes Erdreich, das sich je nach Wetterlage variantenreich zeigt. Eben ist sowieso fast nichts mehr. Hier Ecken und Kanten, da kaputte, wacklige oder fehlende Gehwegplatten, dazu die Flickschusterei durch Kabel- oder Rohrverlegungsarbeiten, immer mal wieder aufgebrochen und wieder verschlossen – meist alles andere als fachmännisch.

Wie schlecht vernarbte Wunden

Und erst die armen Straßenbäume: Mit klitzekleinen Freiflächen rund um den arg geschundenen Stamm kurz gehalten, rächen sie sich mit subversiv wachsenden dicken Wurzeln, die die Gehwegplatten hochtreiben. Manche dieser Bruchstellen sind lieblos mit einer Masse aus Bitumen (also Straßenbelag) zugeschmiert worden. Das sieht wie schlecht vernarbte Wunden aus.

Früher bin ich einfach darüber hinweg geschritten. Doch nun war ich vom miserablen Zustand des Bürgersteiges persönlich tangiert. Wenn ein frisch operiertes Bein bei jedem Schritt wehtut, wird so ein beschissener Gehweg zur reinsten Tortur. Mensch, was hab ich geflucht! Auch, weil in meinem Kiez leider nicht nur meine Straße so desolat ist, sondern auch einige benachbarte Straßen. Zum Beispiel weite Teile der Petersburger (mein Weg zur Tram-Haltestelle).

Beim wochenlangen Herumhumpeln hab ich Sympathien für weitere Betroffene entwickelt. Andere Leute mit Gehstützen, Menschen, die auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, die Gehfehler haben, die alt und gebrechlich sind, dann die Jungen mit Kinderwagen …

An Fußgänger denkt in der Regel niemand. An Gehandicapte und sonst wie Beladene schon gar nicht. Was da helfen könnte? So etwas wie „Fridays für Fußgänger“ müsste her. Wobei: Manchmal tut sich ja doch etwas.

Letzten Herbst wurden rund 45 Meter an einem Ende der Hausburgstraße aufgemöbelt. Das Stück Gehweg ist neu, quasi von Grund auf. Weil es hier einen Spielplatz mit vielen Pappeln drumherum gab, die mit ihren wulstigen Wurzelausläufern ein ganz eigenes Biotop schufen, hatte man einfach kapituliert und der Natur ihren Lauf gelassen. Und die Gehwegplatten entfernt. Doch nun sind die meisten Pappeln verschwunden, die Wurzeln weiträumig ausgebaggert und schönster, weil total ebener Gehweg verlegt – bis zur Kante des ersten Wohnhauses. Dann geht das oben beschriebene Chaos los.

Anfangs hatte ich noch gehofft, dass die Gehwegerneu­erung in der Straße irgendwann weitergehen würde. Doch Fehlanzeige. Nun kann man für eine Kolumne ja auch recherchieren. Das hab ich dieses Mal nicht ganz uneigennützig getan. Das Straßen- und Grünflächenamt ist nicht nur für die Dinge zuständig, die das Amt im Namen trägt, sondern auch für Spielplätze und Wege. Die Pressestelle des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg hat für mich dort nachgefragt.

Ende gut, alles gut. Das passt. Denn das war an dieser Stelle die letzte Kolumne von mir

Und siehe da: „Die Gehwegsanierung der Hausburgstraße ist in mehreren Abschnitten für dieses Jahr geplant“, schrieb mir eine Sprecherin. Echt jetzt? Und „die gesamte Petersburger Straße inklusive Gehweg wird zur Zeit von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz geplant und soll voraussichtlich Ende 2021 oder Anfang 2022 gebaut werden“.

Der Wahnsinn! In meiner Straße wird also dieses Jahr der Gehweg saniert!? Das passt in die Strategie des Senats, nach der Zu-Fuß-gehen attraktiver (und sicherer) werden soll.

Denn das ist ja nicht nur gesund, sondern bekanntlich völlig emissionsfrei, also gut für alle. Die rot-rot-grüne Landesregierung steht da gewissermaßen in der Bringschuld. Denn im mit viel Tamtam auf den Weg gebrachten Mobilitätsgesetz war von Fußgängern lange Zeit keine Rede. Eine vergangene Woche beschlossene Änderung des Mobilitätsgesetzes hat erstmals gesetzlich verankert, dass der Fußverkehr gefördert wird. Längere Grünphasen, mehr abgesenkte Bordsteine, besser beleuchtete Wege, mehr Fußgängerzonen etc. sollen kommen.

Nötig ist das allemal. Auch wenn ich nicht mehr auf die Gehstützen angewiesen bin; die OP ist gut überstanden, das Knie wieder in Form. Ende gut, alles gut. Das passt. Denn das war die letzte Kolumne von mir an dieser Stelle. „Behelfsetikett“ verabschiedet sich!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Hergeth
Redakteur & CvD taz.Berlin
In der DDR geboren, in Westmecklenburg aufgewachsen, Stahlschiffbauer (weil Familientradition) gelernt, 1992 nach Berlin gezogen, dort und in London Kulturwissenschaften studiert, 1995 erster Text für die taz, seit 2014 im Lokalteil Berlin als Chef vom Dienst und Redakteur für Kulturpolitik & Queeres.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!