Kolumne Air de Paris: Franzosen warten auf ein Wunder
Zwölf KandidatInnen für die Europawahl stellen ihren Lieblingsgegenstand vor. Sie sprechen auch über den Brexit und die Digitalsteuer.
V ergangenen Donnerstagabend hat der Europawahlkampf in Frankreich offiziell mit einer großen Fernseh-Talkrunde begonnen. Ich schätze, man hätte sich, hätte man sie in Deutschland sehen können, kaputt gelacht. Vielleicht hätte man sich auch Sorgen gemacht. Jedenfalls hätte man besser verstanden, weshalb so viele Menschen in Frankreich desillusioniert sind, warum sie lieber, durch Gelbwesten getarnt, auf ein Wunder warten, als noch auf die Politiker und deren Spielchen zu setzen. Denn was man ganze drei Stunden lang auf dem Sender France 2 sah, war nichts anderes als das: ein Spiel.
Das begann schon etwa eine Stunde zuvor im Radio. France Inter war der offizielle Partner der Veranstaltung, und so wurde das „Game“ wie wild angeteasert, noch bevor etwas Nennenswertes passiert war. Da wurde dem Zuhörer erklärt, wer wo angekommen ist, wer in welcher Loge sitzt, wer nervös und wer souverän wirkt. Es wurden „Spezialisten“ in einem sehr seriösen, zugleich fast aufgekratzten Ton befragt, für welchen der zwölf Kandidaten dieser Abend nun „alles entscheidend“ sein würde.
Dazwischen schaltete man zu einer fiebrigen „Backstage-Reportage“, die einem die Schminksession von einer so faden Figur wie dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon mit einer Emphase beschrieb, als handle es sich um einen wiederauferstandenen Elvis Presley. Man erfuhr, dass der Kandidat Raphaël Glucksmann schon gekommen war, um die Bühnensituation abzuchecken, und der ebenfalls ehemalige Präsidentschaftsanwärter Nicolas Dupont-Aignan sehr gut gelaunt wirke. Bis das Spektakel um Punkt einundzwanzig Uhr tatsächlich begann.
Selbst wer nicht wusste, dass diese Debatte stattfinden würde, oder wer, wie ich, bis dahin nicht vorgehabt hatte, sich das anzutun, konnte nach diesem lächerlichen Aufheizen wahrscheinlich nicht anders, als einzuschalten. Einfach aus Schaulust. Weil die Inszenierung, die Aufregung die man da im Radio um ein Event schuf, das wahrscheinlich absolut keinen Einfluss haben würde, vollkommen irrational wirkte.
Baguette, Honig und Handschellen
Ich habe es nicht länger als eine Dreiviertelstunde ausgehalten. Das Highlight fand ohnehin gleich zu Beginn statt: Da sollten die Kandidaten einen Gegenstand vorstellen, der für sie „ihr Europa repräsentiert“. Man muss sich das vorstellen, oder auf YouTube nachgucken: Da stehen zwölf Spitzenkandidaten für das Europaparlament, natürlich zehn Männer und nur zwei Frauen, auf einem Fernsehset. Sie sind da, um die Leute von sich und von diesem wackelnden Europa zu überzeugen. Und was fällt den Machern dieser Sendung ein? Eine Vorstellungsrunde mit Lieblingsgegenstand!
Es gab Baguette, Honig, ein Sieb, eine Rettungsweste, ein kleines Airbus-Flugzeug, ja sogar Handschellen mit Europasternchen. Die sollten, so François Asselineau, der mit seiner eigenen Partei antritt, das Angekettetsein an eine unreformierbare Vereinigung repräsentieren.
Jean-Christophe Lagarde, der Kandidat der Union des Démocrates et Indépendants und der Essayist Raphaël Glucksmann, der mit seiner Bewegung „Place Public“ für den quasi inexistenten „Parti Socialiste“ dastand, brachten je ein Stückchen Berliner Mauer mit, das sie stolz und, im Fall von Glucksmann, wegen der Doppelung etwas geniert, in die Kamera hielten. Man dürfe der Versuchung, wieder Mauern zu bauen, nicht nachgeben, sagte Lagarde. Glucksmann erzählte von seinem Vater André, der ihm dieses Stück angeblich einst mitgebracht hatte.
Und ein Töpfchen „Piment d’espelette“
Die Beste von allen war aber die „République en Marche“-Dame, Nathalie Loiseau: Sie stand da stolz mit einem Töpfchen „Piment d’espelette“ in der Hand und erzählte, dieses schöne Gewürz sei vor dreißig Jahren fast verschwunden, dann aber von Europa gerettet worden. Für sie ein Segen, denn sie koche ja viel damit.
Danach ging’s um das Übliche – Brexit, Migranten, Digitalsteuer und so weiter. Am nächsten Tag bewerteten die Zeitungen die „Performances“ und vergaben Noten. Bis zu Germany’s Next Topmodel war es nicht mehr weit.
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