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Kollektive Quarantäne nach Live-KonzertKiez in Katerstimmung

Nach einem Open-Air-Konzert im Hamburger „Molotow“ wurde ein Besucher positiv auf Corona getestet. Der Club äußert sich nun zu dem Vorfall.

Eigentlich alles richtig gemacht: Tische und Bänke vor dem Reeperbahn-Club Molotow Foto: Hanno Bode/Imago

Hamburg taz | Eigentlich hat das Molotow alles richtig gemacht. Eigentlich. Auf der kleinen Bühne im offenen Hinterhof des Clubs, der im Zuge des Abrisses der Essohäuser temporär umziehen musste, spielten mit Grundeis und ­Liiek am vergangenen Donnerstag zwei Künst­le­r:in­nen­grup­pen aus der Post-Punk-Szene. Ungefähr 100 Menschen saßen an den Klapptischen im Hinterhof, um im ungewohnten Gefühl von Livemusik zu schwelgen. Sie kamen getestet, mit Maske und mussten das Abstandsgebot an ihren Sitzplätzen einhalten – doch wie der NDR berichtet, wurde nachträglich eine Person positiv auf das Coronavirus getestet. Nun müssen alle Gäste in Quarantäne.

In einer Pressemitteilung bedauert das Molotow die Situation und wünscht, dass es der erkrankten Person „den Umständen entsprechend gut geht“. Allerdings sei trotz strenger Hygieneregeln, die regelmäßig durch die Polizei und das Ordnungsamt kontrolliert würden, ein minimales Ansteckungsrisiko nicht zu verhindern: „Ein zu einhundert Prozent sicheres Kulturerlebnis ist nicht möglich“, schreibt der Club.

Nach über 100 Open-Air-Veranstaltungen sei es nun zum ersten Mal zu einem solchen Vorfall gekommen. Alle Personen, die sich an jenem Abend im Molotow befunden haben, sollten sich proaktiv beim Gesundheitsamt melden.

Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats, das sich für die Interessen der Hamburger Veranstaltungsbranche einsetzt, möchte sich nicht zu dem Vorfall im Molotow äußern. Allerdings sei es für ihn ein Anlass, nun Gespräche mit der Stadt zu führen, denn viele Ver­an­stal­te­r:in­nen hätten gar nicht die Möglichkeiten des Molotows – und Partys in Innenräumen sind derzeit verboten: „Viele Clubs besitzen keine Außenflächen. Unter den aktuellen Auflagen gibt es wenig Möglichkeiten, überhaupt ein Angebot zu machen.“

Pssssst, die Nachbar:innen!

Dabei seien Sitzkonzerte weniger das Problem als Tanzveranstaltungen. Die nämlich müssen bereits um 22 Uhr enden – wegen der Nachtruhe. In der Nähe von Wohnbebauung gilt dann eine Grenze von 40 Dezibel. „Diese Restriktionen gehen an der Realität der Veranstaltungsbranche vorbei“, sagt Debor. Insbesondere der Lärmschutz sei auf öffentlichen Flächen fast nicht einzuhalten.

Das Bezirksamt Altona bot bereits Ende Juni solche Flächen aktiv über Soziale Medien an. Wie die Hamburger Morgenpost berichtet, habe sich jedoch nach zwei Wochen lediglich eine einzige Veranstaltung realisieren lassen – nicht nur in Altona, sondern in ganz Hamburg.

Der Senat gibt sich bisher zögerlich, wenn es um einen Plan für die Öffnung der Innenräume von Clubs und Tanzlokalen geht. „Gegenwärtig beobachten wir in Hamburg leider ein moderat steigendes Infektionsgeschehen, sagt Martin Helfrich, der Sprecher der Sozialbehörde. „Dieses Umfeld ist keines, das größere Öffnungsschritte ermöglicht.“

Ganz anders sieht es bei Sportveranstaltungen aus. Bereits seit letztem Jahr wird wieder Fußball gespielt. Der Hamburger SV fährt nun zum Eröffnungsspiel der zweiten Liga zum SV Schalke 04. Anfang der Woche meldete das Team aus Gelsenkirchen, dass sich ihr Torhüter mit dem Coronavirus angesteckt haben soll. Das Spiel vor 20.000 Zuschauenden soll trotzdem stattfinden.

Der Punk der Coronazeit

Die Band Grundeis, die am vergangenen Donnerstag im Molotow spielte, teilte auf ihrem Instagramkanal die Mitteilung des Molotows mit ihren Follower:innen. Die Tests der Mitglieder seien allesamt negativ gewesen, sie befänden sich aber in Quarantäne. Unterlegt ist das Posting mit dem Lied „Isolation“ von Joy Division.

Ian Curtis besingt dabei die Zwiespältigkeit zwischen der Freude unter Menschen zu sein und der sozialen Beklemmung, die sich währenddessen ausbreitet. Das ist wohl der Sound der Coronazeit.

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