Koalitionsverhandlungen in Bremen: Strittig sind nur noch die Posten
Ab Dienstag verhandeln SPD, Grüne und Linke in Bremen. Dabei steht der Vertrag natürlich längst fest, wie die taz aus unzuverlässigen Quellen weiß.
D er neue Bremer Koalitionsvertrag steht bereits, obwohl erst heute die Verhandlungen von SPD, Grünen und Linkspartei darüber beginnen: Das entsprechende Abschlussdokument wurde der taz aus unzuverlässigen Quellen zugespült.
Seine Echtheit steht völlig außer Frage: So fehlt auch dieses Mal nach altem Bremer Brauch ein großsprecherischer Titel, der die Koalition marketinggerecht mit nichtssagenden Etiketten zur glamourösen Weltrettungsgemeinschaft verklärt: „Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 21. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft“ – die bewährte landesübliche Formel.
Der zwischenzeitlich als Kompromiss kursierende Titel „Besser als der Tod“ war mit Rücksicht auf mehrere alteingesessene Industrieunternehmen wie Atlas, Rheinmetall Defence und Lürssen sowie im Hinblick auf die geplante Ansiedlung von Saab als zu abschreckend verworfen worden. Neben der rituellen Funktion der bis Mitte Juni stattfindenden Verhandlungen von SPD, Grünen und Linkspartei, die für die Stabilisierung und gleichsam metaphysischen Legitimierung jeder Regierung sorgt, ist in den Runden vor allem der Zuschnitt und die Besetzung der Ressorts zu klären:
Strittig ist, ob Wissenschaft, Häfen und Justiz in dieser Form zusammenbleiben sollten, oder aber der Wissenschaftsteilbereich Forschung und Häfen mit Wirtschaft und Arbeit zusammengelegt. Dafür wird aber, ganz sicher, Bauen, Mobilität und Stadtentwicklung, der Umwelt- und Klimasenatorin – voraussichtlich Verena Graichen, parteilos – entzogen und dann vielleicht der Verwaltung für Justiz und Lehre zugeschlagen, die dann auch statt des Kultursenators die Fachaufsicht übers Referat für Blockflötenmusik und Origami erhielte. Es ist also noch viel in Bewegung.
Die brisantesten inhaltlichen Verabredungen der neuen rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung für Bremen und Bremerhaven dokumentieren wir im Wortlaut:
Präambel
[…] Aus dem Wahlergebnis entsteht die Verpflichtung, alle Möglichkeiten auszuloten, um den Krieg zu beenden, die Klimakatastrophe aufzuhalten, die Herausforderungen der Flüchtlingsströme zu bewältigen, die soziale Ungleichheit zu besiegen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stützen sowie die Brötchentaste wieder einzuführen, um den Rahmen für die gute ökonomische Entwicklung sowie einer nachhaltigen Haushaltspolitik zu schaffen.
[…] Stets auf unserem Radar bleiben wird dabei die Wahrung und der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte. Dies betonen wir, weil es auch von anderen Kräften des bürgerlichen politischen Lagers als der CSU immer mehr in Frage gestellt wird. […]
Fehlerkultur
An Fehlern der Vergangenheit können wir nur wachsen, wenn wir uns ihnen stellen. Auch die Regierungszeit des ersten rot-grün-roten Senats war nicht ohne Fehler, daher haben sich die Partnerinnen darauf verständigt, diese offen zu benennen und zu bearbeiten. Als erste Maßnahme dieser neuen und in der Bundesrepublik Deutschland beispiellosen politischen Fehlerkultur wird daher gegen Senatorin a.D. Maike Schaefer ein Betretungsverbot für die senatorischen Behörden ausgesprochen. Zugleich wird ihr nahegelegt, den Namen zu ändern und ihre Partei sowie das Gebiet der Freien Hansestadt Bremen freiwillig zu verlassen. Im Gegenzug wird ihr ein Ehrensold von jährlich 200.000 Euro bis an ihr Lebensende bewilligt.
Bildung
Wir sagen Ja zur empirischen Evaluierung von Bildungserfolgen. Bremen muss hier weg vom letzten Platz. Deshalb werden wir über eine Bundesratsinitiative dafür sorgen, dass die Erhebungsmethoden die Variable eines sozialen Ausgleichs einführt, durch die sich stigmatisierende Befunde vermeiden lassen.
[…] Um die notwendige Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung und Kindertagesbetreuung gewährleisten zu können, ist die Gewinnung von zusätzlichen Menschen, die als Erzieherin oder Erzieher im Land Bremen gute Arbeit leisten wollen, dringender denn je. Um das oberste Ziel zu erreichen, die Gesamtzahl, der in der Weiterbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher befindlichen Personen deutlich zu erhöhen und mehr junge Menschen für eine Tätigkeit im Bereich der Erziehungsberufe zu interessieren, wird Bremen prüfen, ob es möglich ist, eine entsprechende Fort- und Ausbildung im Strafvollzug zu implementieren, oder aber sie als Ersatz für eine Ersatzfreiheitsstrafe zu etablieren.
Gesundheit
Auch mit Blick auf die großen Erfolge der Pandemiebekämpfung in Bremen […] wollen wir ein Bremer Modell erarbeiten, das […] sämtliche verfügbaren und noch zu entwickelnden Impfungen für Landeskinder, Beamt*innen und Bedienstete öffentlicher Einrichtungen, Angestellte von Gastronomie- und Hotellerie-Betrieben, Beschäftigte der kritischen Infrastruktur und des Dienstleistungsgewerbes verpflichtend macht. [] Wir verfolgen damit das große Ziel, das Land mit der höchsten Impfquote überhaupt zu werden.
Weservertiefung
Die seewärtige Erreichbarkeit der bremischen Häfen ist uns wichtig. […] Wir lieben aber auch unseren Fluss […] Sollte der Bund einer Vertiefung der Außenweser planerisch den Weg bereiten, wird Bremen diesen notwendigen Arbeiten nicht im Wege stehen, sie jedoch wachsam und kritisch begleiten und sich dafür einsetzen, dass eine Klage dagegen nicht von vornherein als kriminelle Handlung diskreditiert wird.
Platanen
Zuverlässiger Hochwasserschutz ist unsere oberste Priorität. Nachdem die bisherigen Bemühungen und Gutachten unter Einbeziehung der Neustädter Bevölkerung und Bürger*innen-Initiativen, des Beirates und des Deichverbandes, kein Einvernehmen haben herstellen können, werden die notwendigen Aspekte der Deichanpassung von neuem erörtert und neue Gutachten in Auftrag gegeben, damit sich vielleicht doch noch – entgegen bisheriger Erkenntnisse – ergeben kann, dass die Möglichkeit besteht, Platanen zu erhalten. Sollte dies der Fall sein, wollen wir sie nutzen. Dafür sind ausdrücklich auch alternative Gutachtermethoden – Radiästhesie, Geomantie, Coelbren-Analyse, Hieroskopie und Rauchopfer – sowie die Einschätzung eines zu bestallenden amtlichen Auguren in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
Verkehr
Trotz fehlender Finanzierung birgt eine Straßenbahnführung durch die Martinistraße verschiedene Vorzüge, über die Bremen das Recht hat, kontrovers zu debattieren. Daher wird sie Gegenstand eines Referendums, sobald der Bau der ersten Fahrradbrücke über die Weser begonnen hat.
[…] Wir werden mit den anderen demokratischen Fraktionen der Bürgerschaft in Verhandlungen treten, um mit der nötigen Mehrheit die Unantastbarkeit des Gratis-Kurzzeittickets (Brötchentaste) an Parkautomaten in der Landesverfassung abzusichern.
Demokratieentwicklung: Mehr Bovi wagen
Das herausragende Personenstimmenergebnis ermutigt uns, dem Präsidenten des Senats zusätzliche Befugnisse einzuräumen: Bremen wird an der guten Tradition des Kollegialorgans ohne Richtlinienkompetenz festhalten, um dem allgemeinen Trend zur Personalisierung von Politik entgegenzuwirken. Gleichwohl ist dieses Modell aber dahingehend zu reformieren, dass dem Bürgermeister als primo inter pares ein bevorzugtes Recht eingeräumt ist, aus dem Bauch heraus unabgestimmte Vorschläge als konsensuale Projekte einzubringen, um lästige oder mögliche Debatten zu beenden.
Finanzen
Der Finanzsenator erhält einen weiteren Staatsrat mit der alleinigen Funktion, investitionsbedürftige Felder gerichtsfest als außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, im Sinne des GG Art. 109 zu definieren, um durch Kreditaufnahme Mittel für die notwendigen Maßnahmen zu beschaffen. Als zu priorisierende Handlungsfelder werden ihm das Bildungswesen, die Schulbauten und der Lehrermangel, die Kindertagesplätze, der Straßenbau, die Stadtentwicklung sowie der Ausbau einer soziokulturellen Grundversorgung anempfohlen. Auch die Universität könnte sich in einer finanziellen Notlage befinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“