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Koalitionssondierung in BerlinDas erste Mal an einem Tisch

Die Parteichefs von Union, FDP und Grünen redeten fünf Stunden über Jamaika. Was dabei rausgekommen ist? Neun Fragen und Antworten.

Die Kanzlerin hat noch jemanden mitgebracht Foto: ap

Wie wurde geredet?

Gut fünf Stunden lang, freundlich, konzentriert und diszipliniert. Großer Krach blieb aus. CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte am Freitagabend nach dem ersten Sondierungsgespräch zwischen Union, FDP und Grünen in großer Runde, man sei mit viel gutem Willen und einer Portion Respekt hineingegangen. „Es gibt in unterschiedlichen Konstellationen da noch viele spannende Gespräche, die unser harren.“ Heißt: Echte Fortschritte gab's nicht.

Warum nicht? Fünf Stunden sind lang.

Was im Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft neben dem Reichstag passierte, soll eine Merkel'sche Spezialität sein. Wenn die Differenzen groß sind, darf jeder erstmal eigene Wünsche vortragen. Motto: „Hallo, ich bin der Horst, und mir ist die Obergrenze total wichtig.“ Alle so: „Hallo, Horst.“ Merkel: „Danke, Herr Seehofer. Der nächste, bitte.“

Die Parteien hatten sich vor dem Treffen auf zwölf Themenblöcke verständigt, die sie besprechen wollen. Von Finanzen, Haushalt, Steuern über Europa bis Wirtschaft und Verkehr. Diese zwölf Blöcke hakte die Runde nacheinander ab. Verhandler der vier Parteien referierten jeweils ein paar Minuten lang die eigene Position. Insgesamt gab es also 48 Kurzreferate zu Innen- und Außenpolitik. Harter Stoff.

Aber ist das nicht todlangweilig?

Im Grunde ja. Man stelle sich vor: Da sitzen mehr als 50 politische Vollprofis stundenlang zusammen, Merkel, Seehofer, Lindner, Göring-Eckardt und Özdemir inklusive. Und sie erzählen sich nur, was alle über die anderen schon wissen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte hinterher, das seien „Audiosynopsen der verschiedenen Wahlprogramme“ gewesen. Das klang etwas ermattet.

Die Grüne Katrin Göring-Eckardt twitterte ein Foto von einem Kuchen-Teller. Hashtag: Nervennahrung. Als der Linksgrüne Jürgen Trittin die grünen Steuerpläne erörterte, dürften die Unionsleute aber aufgehorcht haben. Trittin, erklärter Fan der Vermögensteuer, ist für die Privilegienbewahrer schwerreicher Menschen eine wandelnde Provokation.

Wie auch immer, das Gespräch war ja nur die Ouvertüre. Die nächsten vier Treffen bis Anfang November sind bereits ausgemacht. Dann wollen die Verhandler tiefer in Themen einsteigen. Direkt zu Beginn geht es um dicke Brocken. Am Dienstag wird über Finanzen, Haushalt und Europa gesprochen. Hier könnte sich zeigen, ob die Jamaika-Koalition an der schwarzen Null festhalten will – und wieviele Milliarden sie für Klimaschutz, Digitales oder die Mütterrente investieren möchte.

Am Donnerstag wird dann über Klima und Energie, Flucht und Integration sowie Bildung und Digitales geredet. An dem Tag könnte es zwischen CSU und Grünen knallen. Erstere will eine härtere Linie in der Flüchtlingspolitik und eine klare Begrenzung des Zuzugs. Die Grünen loben sich für ihren humanitären Ansatz.

Wo waren Differenzen spürbar?

Beim Thema Autoindustrie und Fahrverbote sollen sich Noch-Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter einen Schlagabtausch geliefert haben. Gut, überraschend wäre eher gewesen, wenn sie das nicht getan hätten. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner orakelte am Ende von einer Debatte „mit einigen Geistesblitzen, mit ein paar dunklen Wolken.“ Aber der Donner sei ausgeblieben. Wir finden: Dann bitte doch lieber ausgenudelte Jamaika-Metaphern. Wetter geht gar nicht.

Und wo gab es Konsens?

Die CSU-Politikerin Barbara Stamm hat dem Vernehmen nach in ihrem Kurzreferat gefordert, die Pflege in Deutschland zu stärken. Das deckt sich mit den Wünschen der Grünen – prompt gab es Zustimmung. CDU-General Tauber sagte, es habe bei manchen Themen großen Konsens gegeben – etwa bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist – verglichen mit Baustellen wie der Flüchtlingspolitik – allerdings Kleinkram.

Wer brachte die peinlichste Jamaika-Phrase?

Das Phrasenschwein in Gold geht ohne Zweifel an CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Sein Fazit im Obergeschoss des Bundestages: Bis nach Jamaika seien es 8.500 Kilometern, davon „sind jetzt vielleicht die ersten 75 Kilometer vollzogen worden“. Wie Scheuer auf die Zahl 75 kommt, bleibt sein Geheimnis. Was an dem Satz witzig sein soll, auch.

Wer war total kreativ und supersmart?

Christian Lindner. Der FDPler brillierte mit der Wortschöpfung „Kleeblattkonstellation“. Ein vierblättriges Kleeblatt könne ein Glücksfall für Deutschland sein, sagte er. Es sei „ja allerdings sehr selten wie sie wissen“. Mit diesem grün angehauchten Namen könnten Özdemir und Göring-Eckardt bestimmt gut leben. Wir aber nicht. Kleeblatt-Koalition, das passt doch in keine Überschrift.

Wer saß wo?

Die Sitzordnung, über welche die Bild-Zeitung zuerst berichtete, ist fein säuberlich austariert. Merkel und Seehofer sitzen den wichtigsten Leuten der Kleinparteien direkt gegenüber – Lindner, Kubicki, Göring-Eckardt und Özdemir. Parteifreunde sitzen meist nebeneinander, haben aber auch manchmal überraschende Nachbarn. CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller wurde zum Beispiel neben der linken Grünen-Abgeordneten Agnieszka Brugger platziert.

Merkel hat das Licht im Rücken, sie sitzt mit ihren Leuten und der CSU vor den Fenstern. So muss sie nicht ins Gegenlicht blinzeln. Die Kanzlerin weiß, worauf es beim Duell im Western ankommt.

Wer plauderte mit wem?

Gegen 19 Uhr hatten die Verhandler die Hälfte der Themenblöcke abgearbeitet. Man labte sich am Buffet (Karotten-Ingwer-Suppe, Currywurst, kleine Schnitzel) und plauderte ein bisschen. Merkel wurde mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesichtet. Seehofer amüsierte sich mit Lindner, dem CDUler Jens Spahn und Dobrindt. Auch die Jamaikaner aus Schleswig-Holstein, Daniel Günther, Wolfgang Kubicki und Robert Habeck, ratschten miteinander.

(mit dpa)

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10 Kommentare

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  • Die AfD ist stärker geworden. Die ist jetzt im Bundestag. Es reicht also nicht mehr, sich verbale Gefechte mit der AfD zu liefern. Mann muss mit Taten Wähler überzeugen.

     

    Was die Regierung braucht, ist ein Paradigmenwechsel in zweier Hinsicht. Erstens soll man nicht die schwarze 0 halten, sondern etwas mehr Haushaltsgeld ausgeben. Falls nötig könnte man 1-2 Unternehmen ohne Zuschüsse allein wirtschaften lassen. Zweitens soll nicht nur die Mitte davon profitieren, sondern alle Bevölkerungsschichten und vor allem enttäuschte und unzufriedene Menschen in sozialen Brennpunkten darf man nicht auf die übernächste Legislaturperiode vertrösten bzw. sie weiterhin warten lassen.

     

    Gerade CDU könnte in den nächsten Legislaturperiode die eigene Position deutlich verbessern und ausbauen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Stefan Mustermann:

      Die schwarze Null ist schon gesetzt. Schäubles langer Arm ist in den Jamaikaverhandlungen angekommen und gibt schon mal die Richtung vor...

  • Das sieht aus wie die Geburt eines Wolpertingers....

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Was an dem Satz witzig sein soll, auch."

     

    Der einzige, der Andreas Scheuer witzig findet, ist Andreas Scheuer.

    Alle anderen finden ihn nur peinlich und Karl-Theodor freut sich tierisch über seine wandelnde und babbelnde, aber leider missratene Copy-Paste.

  • Wenn CSU und Grüne eine gemeinsame Mitte finden wollen, kann das nur mit einem sehr hohen Grad an Selbstverleugnung auf beiden Seiten einhergehen.

    • @Nikolai Nikitin:

      Diese Politik-Konstellation könnte die Chance bieten, fernab von ideologischen Gräben eine sach- und vernunftsorientierte Lösung für die Themen zu finden, die von Verantwortungsbewusstsein getragen ist. Mit Selbstverleumdung hätte das nichts zu tun. Gerade Merkel hat schon bewiesen, dass sie nicht an scheinbar unverrückbaren Parteilinien festhält, wenn ihre Vernunft dagegen spricht. Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben.

      • @Stephanus:

        Ich sprach nicht von Selbstverleumdung, sondern von Selbstverleugnung. Stellen Sie sich vor, Sie haben 10 Jahre nur streng vegan gelebt und dies auch offensiv nach außen vertreten. Plötzlich wird Ihnen eine hochdotierte Anstellung in der Fleischwarenindustrie angeboten. Nehmen Sie diese an ?

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      Die werden keine "gemeinsame Mitte" suchen, sondern Kompomisse, falls das Jamaika-Projekt wirklich was werden soll. Mit Selbstverleugnung hat das wenig zu tun, aber viel mit gesellschaftlicher Verantwortung.

      Oder wollen Sie lieber so lange Neuwahlen abhalten, bis sich keine Partei nicht mehr "selbst verleugnen" muss? Das kann dauern...

      • @571 (Profil gelöscht):

        Merkel wird's schon richten. So hat noch jeden Partner in den Strudel hinab gerissen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      Ohne Rückgrat läßt sich's leicht verbiegen.