Knast bei Bagatellstraftaten unsinnig: Stoß in die Armut

Gefängnisse widersprechen ihren eigenen Zielen, die Häftlinge auf ein verantwortungsvolles soziales Leben vorzubereiten.

Eine Backsteinmauer mit zehn vergitterten Fenstern, dahinter Gestalten

Was draußen passiert, kann man im Knast nur erahnen: Untersuchungshäftlinge in Hamburg Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Die Entscheidung des für Niedersachsen zuständigen Sozialgerichts dürfte eigentlich nicht überraschen. Die Rich­te­r*in­nen haben entschieden, dass die Miete eines Gefangenen während seiner siebenmonatigen Haft vom Sozialamt übernommen werden muss.

Das Gesetz, das den Strafvollzug regelt, ist deutlich: „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken“, steht in Paragraph drei, und weiter: „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ Die Wohnung zu verlieren, weil das Amt nach sechs Monaten aufhört zu zahlen, läuft dem zuwider.

Trotzdem war es offenbar nötig, dass ein Gefangener vor Gericht zieht, weil die ganze Institution Gefängnis eben nicht daran ausgerichtet ist, was laut dem Gesetzestext ihr Ziel ist: Die Gefangenen zu befähigen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Der Zwang zum Arbeiten unter dem Mindestlohn, das Wissen, dass die Post mitgelesen wird oder dass die Verwaltung darüber entscheidet, welche Bücher jemand lesen darf, sind nicht nur entwürdigend, sondern tragen bestimmt auch nicht zur Übernahme von Verantwortung bei.

Es gibt bessere Konzepte als Freiheitsentzug

Der Fall macht aber auch deutlich, wie unsinnig kurze Haftstrafen sind. Wer wegen wiederholten Schwarzfahrens oder dem Handel mit kleinen Mengen Betäubungsmitteln in den Knast muss, hat hinterher sicher mehr Probleme als früher, etwa den Verlust enger Beziehungen, des Jobs oder der Wohnung. Das ist weder gerecht noch produktiv für die Gesellschaft. Die In­sas­s*in­nen der Vollzugsanstalten sind zu Freiheitsentzug verurteilt, nicht zu mehr. Sekundäre Bestrafungen, wie ein Stoß in die Wohnungslosigkeit oder in ein Leben in Armut darf es nicht geben.

Kurze Haftstrafen, die auf leichte Delikte zurückgehen, gehören sofort abgeschafft. Im zweiten Schritt wäre die ganze Institution Gefängnis durch ein gerechteres Konzept zu ersetzen. Ansätze der „Transformative“ oder „Restorative Justice“, bei der die direkt Beteiligten einer Tat zu einer Suche nach Lösungen und Wiedergutmachung zusammen kommen, gibt es. Bis die Gesellschaft bereit dazu ist, sollten wir zumindest die Menschenwürde wahren.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

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