Klimawandel und Holzfäller in Oregon: Alles ganz natürlich
Brennende Wälder? Völlig normal. Rekordhitze? Nicht menschengemacht. Zu Besuch bei Holzfällern in Oregon, die vom Klimawandel nichts wissen wollen.
Prospect feiert die Holzfäller, denen der Ort im Süden von Oregon seine Existenz verdankt. Die Wettkämpfe umfassen Sägen, Axtwerfen und Balancieren auf Baumstämmen, die im Wasser schwimmen. Es geht ausgelassen zu, so wie jedes Jahr beim Holzfäller-Karneval am dritten Samstag im August.
Fast vergessen wird dabei, dass in diesem Jahr ein milchig weißer Nebel den Blick verhängt. Die umliegenden Berge sind nur in ihren Konturen erkennbar. Beißender Geruch kratzt in Augen, Nase und Rachen. Es brennt.
Feuer? „Das ist nichts Besonderes“
„Ach. Das ist nichts Besonderes“, wischt Tony die Waldbrände zur Seite: „Das passiert hier jedes Jahr.“ Der 27-Jährige ist davon überzeugt, dass die Brände nicht so bedrohlich würden, wenn die Forstbehörden nur den Anwohnern erlaubten, mehr abzuholzen. Ein leererer Waldboden, so sein Argument, würde die Gefahr von „Feuerleitern“, bei denen trockenes Unterholz die Flammen nach oben in die Bäume leitet, verringern.
Der junge Mann ist ein Hüne, der sich hinter einem roten Vollbart und einer orange glänzenden Brille versteckt. Im Wettkampf hat er gerade seine Doppelaxt direkt ins Ziel geworfen. Bier sprudelt aus dem dahinter verborgenen Fass. Das Publikum spendet doppelten Applaus – einmal für den gelungen Wurf, einmal für seinen Einsatz als Marine in Afghanistan.
Für Tony ist dieser Holzfäller-Karneval der erste nach vier Jahren im Irak und Afghanistan. Nach seinem Abschied bei den Marines arbeitet er jetzt im Pipelinebau. Auf dem Arm des jungen Mannes erinnert ein eintätowiertes Gewehr mit Stiefeln und Helm an gefallene Freunde. Jetzt muss Tony den Rückzug seines Landes verdauen. „Es ist irgendwie scheiße“, brummt er, „aber es gibt eine Zeit, alles zu beenden.“ Er spuckt mit Wucht auf den Waldboden.
Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.
Der 40-jährige Jesse hat lange als Holzfäller gearbeitet. Er trägt seine selbstgemachte Axt stolz über den Festplatz. Im Alter von 12 Jahren ging es los, danach hat Jesse alles getan, was man in der Branche machen kann: mit Kettensägen gearbeitet, Bäume geschleppt, er ist von einem einstürzenden Baum umgehauen worden. Und bei Mittagspausen mit den Kollegen hat er Äxte auf Baumstämme geworfen. „Es ist ein harter Job“, sagt er, „aber es ist anständig bezahlt.“ Zuletzt verdiente Jesse 27 Dollar die Stunde. Kürzlich sattelte er auf Lkw-Fahren um.
Der Holzfäller-Karneval ist Jesses jährliche Begegnung mit Axt, Säge und Baumstämmen geblieben. Sein mitgereister Sohn arbeitet auf dem Bau. Seit diverse Regeln für das Abholzen der Wälder eingeführt worden sind, ist die Holzfällerei in Prospect auf dem Rückzug. Vor drei Jahrzehnten lebten dort noch über 1.000 Einwohner, jetzt sind es 350.
Das Wort „Klimawandel“ benutzt man hier nicht
In den letzten Jahren hat Jesse die höchsten Temperaturen seines Lebens erlebt, dazu eine Dürre, die den ganzen Bundesstaat und weite Teile des pazifischen Nordwestens erfasst. Und zunehmende Waldbrände. In Prospect ist die „Feuersaison“ die fünfte Jahreszeit. Alle spüren, dass sie früher im Sommer beginnt und länger dauert. Aber das Wort „Klimawandel“ benutzt man hier nicht. „Die Temperaturen gehen mal hoch und mal runter“, sagt Jesse, „das ist der Zyklus der Erde seit dem Beginn der Zeit.“
Ein paar Kilometer nördlich von Prospect brennt der Wald an zahlreichen Stellen. Bei einem trockenen Gewitter am 3. August schlugen Dutzende Blitze in den nach wochenlanger Rekordhitze ausgetrockneten Wald ein. Mehr als 600 Feuerwehrleute kämpfen jetzt gegen die Flammen. Sie gehören zu einer Armee von 20.000 Menschen, die gegenwärtig an der US-Westküste immer neue Großbrände bekämpfen. Es geht darum zu verhindern, dass die vielen einzelnen Brandherde zu einem einzigen Riesenfeuer zusammenwachsen, der zu einer unkontrollierbaren Katastrophe führen könnte – so wie in diesen Tagen im benachbarten Kalifornien.
Nach drei Wochen Kampf treffen in diesen Tagen Erfolgsmeldungen ein. Die Waldbehörde meldet: „Zu 25 Prozent eingedämmt“. Doch gleichzeitig ordnet der Sheriff die Evakuierungsstufe zwei an. „Seid bereit“, lautet seine Aufforderung an die Anwohner der Orte, die an die brennenden Wälder grenzen. Man möge eine „Go-Tasche“ packen, um sofort zu fliehen zu können, falls die Evakuierungsstufe drei ausgerufen wird. Mit Kleidung zum Wechseln, Taschenlampe, Wasser, Energieriegel und den wichtigsten Dokumenten.
„Danke Feuerkämpfer“ steht auf mit Herzchen versehenen, handgemalten Schildern vor den Häusern längs der Landstraße 227, die sich nach Prospect schlängelt. Die Feuer brennen auf beiden Seiten des engen Tals. Aber von der Straße aus sind die Flammen nicht sichtbar. Lange, dicht gewachsene Waldstücke an beiden Straßenseiten wechseln sich ab mit nackten Hängen ab, die von den Holzfällern kahl geschlagen wurden. Nur die abgesperrten Seitenstraßen, die tief in den brennenden Wald hineinführen und an deren Eingängen Freiwillige erklären, dass eine Durchfahrt nicht möglich ist, zeigen, dass etwas nicht stimmt.
Mancherorts über 49 Grad
Beim Holzfäller-Karneval in Prospect nimmt niemand die Feuer wirklich ernst. „Ich mache mir keine Sorgen und ich lebe nicht in Angst“, sagt Jason. Der 40-Jährige lebt eine halbe Stunde von Prospect entfernt in Shady Cove. Zwischen beiden Orten liegt der Lost-Creek-See, dessen Wasserspiegel in diesem Sommer um Dutzende Meter abgesunken ist. Die Cascades-Berge hatten wie immer Schnee im letzten Winter. Aber die komplette Schmelze kam diesmal schon im Juni, als das Thermometer an der Westküste auf über 43 Grad Celsius und mancherorts über 49 Grad stieg.
In Oregon mit seinen milden Sommern ist dergleichen bisher nie zuvor vorgekommen. In normalen Jahren schmilzt der letzte Schnee erst im Hochsommer und sorgt auch im August noch für genügend kaltes Wasser in den Bächen und Flüssen der Region.
Jason ist Geschäftsmann mit zwei Standbeinen: einem Malerbetrieb, der in den Zeiten der Pandemie gut gelaufen ist, und einem Unternehmen für Abenteuertourismus mit Wildwasserkanus und Jetskis, das leidet, seit der Tourismus abgestürzt ist. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Meldungen von der Feuerfront, sondern auch die vielen Infektionen mit Corona.
Im letzten September, als Jason sein Café in Shady Cove eröffnet hatte, flogen Flugzeuge tief über sein Haus. Sie transportierten Löschmittel in die brennenden Hügel dahinter. Ganz Shady Cove wurde evakuiert. Die verkohlten Baumreste auf den Hängen am Ortsende zeugen davon, wie nah das Feuer damals herangekommen ist.
Überlastete Feuerwehr
„Waldbrandgefahr – extrem“ warnen Schilder längs der Landstraßen. Aber Jason denkt nicht groß darüber nach. „Wir haben exzellente Feuerkämpfer“, sagt er, „den Rest erledigt Mutter Natur.“ An den Wänden seines Cafés hängen Durchhalteparolen, die sich an die abwesenden Touristen richten: „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“ Darüber, dass der seit Monaten über dem Wald hängende Rauch der Atmung seiner vier Kinder schaden könnte, denkt Jason nicht nach.
Die Feuerwehr in Prospect muss mit demselben Budget wirtschaften, das sie schon am Ende des letzten Jahrhunderts verwaltet hat. Alle zwölf Feuerwehrmänner und -frauen am Ort sind Freiwillige, die ihr Geld mit anderen Jobs verdienen. Im Verhältnis zur Größe des Einsatzgebietes nehmen sich die vier kleinen und mittleren Feuerwehrautos winzig aus. „Unsere Ausrüstung ist veraltet“, sagt Feuerwehrchef Mike Traut. Beim Holzfäller-Karneval verkaufen er und andere Freiwillige T-Shirts, um Geld zu sammeln.
Traut ist einer der wenigen auf dem Festplatz, der eine Atemmaske dabei. Sie hängt vor seinem Hals. Fast alle Teilnehmer ignorieren die Ansteckungsgefahr durch Corona. Kaum jemand lässt sich impfen. Viele, die Zweifel an der Realität des Klimawandels haben, sind auch in Sachen Pandemie skeptisch. Sie misstrauen dem demokratischen Präsidenten in Washington.
Am wenigsten aber trauen sie den „liberalen Umweltschützern“ in Portland, Ashland und den anderen Städten in Oregon. Sie machen sie dafür verantwortlich, dass ihre Kampagnen zum Schutz der Fleckeneule und gegen das Abholzen von jahrhundertealten Bäumen das Terrain für die Waldbrände bereitet habe.
„Ich lebe so gesund, wie ich kann“, erklärt die 62-jährige Linda. Sie entscheidet jeden Morgen neu, ob sie ihre Fenster öffnet: „Wenn ich den Berg auf der anderen Seite des Tals sehe, mache ich auf.“, Eine „Go-Tasche“ für den Notfall hat sie nicht. Und sie ist entschlossen, sich nicht impfen zu lassen: „Wenn der Herr entscheidet, mich ein wenig früher zu sich zu holen, ist das auch okay.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge