Klimavolksentscheid in Berlin: Besser zielen fürs Klima
Genauer kommunizieren, auch auf dem Land präsent sein: Was sich aus dem verlorenen Quorum des Berliner Klimavolksentscheids lernen lässt.
D ie 105.425 Unterschriften für den „Volksentscheid Fahrrad“ und für „Changing Cities“ lösten im Juni 2016 einen verkehrspolitischen Tsunami aus. Mittlerweile haben wir in Berlin ein Mobilitätsgesetz, über 50 Bürgerentscheide zum Radverkehr in der gesamten Republik, einige davon auf Landesebene. Radverkehrspolitik ist zur Pflichtaufgabe geworden auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene und in den kommunalen Spitzenverbänden.
Was, so fragte ich mich, würde passieren, wenn wir das Gleiche mit einem versierten Supportteam nochmal machen – mit der Klimapolitik? Mit meiner Gründung von „GermanZero“ gelang genau das: Mittlerweile sind 100 Klimaentscheide-Teams unterwegs, in 40 Kommunen gibt es bindende Beschlüsse, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden.
Nummer 4 dieser Klimaentscheide war die Initiative „Klimaneustart“, die im Mai 2020 startete. Mit vier Jahren Dauerkampagne und fünf Mobilisierungsphasen war sie fünfmal erfolgreich: Klimanotstand 2019, Klimabürgerrat 2021, Antrag auf Volksbegehren 2022, Volksbegehren 2022 und zuletzt der Klimavolksentscheid in Berlin mit 51 Prozent Jastimmen. Das war und ist eine Spitzenleistung bürgerlicher Mobilisierung.
Durch die Sabotage der damals noch Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, die Volksabstimmung bewusst nicht auf den Wahltag zu legen, ist der Volksentscheid erwartungsgemäß am Quorum gescheitert. Was bleibt – und deshalb lohnt sich jeder Bürgerentscheid –, ist das große Stadtgespräch über den weiteren politischen Kurs. Diesen Druck und die Erwartungshaltung gäbe es ohne die Initiative nicht. In dieser Pflicht werden CDU und SPD stehen: Berlin in einem Jahrzehnt fossilfrei machen.
Er ist 55, Gründer von Changing Cities, GermanZero und KlimaUnion, Klima- und Verkehrsexperte, CDU- und Rotary-Mitglied und hat über 150 Bürgerentscheide in Deutschland angestoßen.
Lernen lässt sich aus dem verlorenen Quorum und den hohen Neinstimmen-Anteilen für weitere Bürgerentscheide dennoch einiges: Erstens: Beim politischen Angebot, das Klimaschutzgesetz bereits auf 2030 klimaneutral auszurichten, wurde ein Wagnis eingegangen. Ein Volksentscheid muss aus der Mitte der Bevölkerung gewonnen werden können, es muss zu einem guten politischen Common Sense passen. 49 Prozent Neinstimmen waren nicht gegen Klimaschutz, aber gegen eine Berlin überfordernde Geschwindigkeit. Deshalb: Besser zielen, an den richtigen Stellen die richtigen Fachleute reinholen und die Kompetenz einbinden, die längst vorhanden ist.
Zweitens: Medial fehlte die fundierte Gegenantwort auf die Nichtmachbarkeits-Diskussionen. Ein Masterplan für 2030 Zero fehlte in der Diskussion, die Kritiker hatten leichtes Spiel und die Gelegenheit, die vielen Neinstimmen fachlich zu unterfüttern. Ein Berlin mit ausreichend Solar- und Windstrom durch Solardächer, Wind- und Solarparks im Land oder in Partnerschaft mit Brandenburg wäre bis 2030 machbar, der Wärmebereich und der Verkehrsbereich etwas später. Mit Recherche, Expertise, Dialogveranstaltungen oder eigenen Interviewpartnern für die Medien lässt sich gegen die Kritik gewinnen.
Drittens: Die Klimabewegung versagt darin, außerhalb der großen Städte Menschen für gute Klimapolitik zu gewinnen. Die Engagierten sind überwiegend urban, in den Außenbezirken melden sich wenig Freiwillige. Diese unabsichtliche, aber fehlende geografische Inklusion führt zu einer monothematisch urbanen Klimapolitik – und zur Blindheit zu den Stimmungen in den Außenbezirken. Deshalb: Systematischer betrachten, wo welche Menschen gewonnen werden müssen, sie verstehen und mit gezieltem Organizing in den Außenbezirken mehr Rückhalt entwickeln.
Viertens: Wir als Klimabewegung haben es nicht verstanden, für unser Anliegen, die Maßnahmen und die Verbesserungen zu werben. Jeden Grunewäldler kann man nachdenklich machen, weil das Bewässern der Rasenflächen in wenigen Jahren vielleicht schon verboten wird. Jedem Autopendler hätte man mit „Geiz ist geil“-Parolen die Kostenvorteile des E-Auto-Fahrens näherbringen können. Den knapp 200.000 Einfamilienhausbesitzern hätte man vorrechnen können, wie viel billiger und sicherer die Strom- und Wärmeversorgung via Solar auf dem Dach und Wärmepumpe im Garten wird. Deshalb: Zielgruppen genauer definieren und mit Fakten und Argumenten aus deren Sicht werben.
Auch mal im Sprachjargon von CDU und FDP kommunizieren
Fünftens: Die Klimabewegung war mal wieder vergnügt in der rot-grünen Bubble unterwegs, mit all ihren Insignien vom Fahrrad über Kleidung und Wortwahl. Es wurde nicht verstanden, auch einmal aus Sicht der Nicht-Grünen-Perspektive zu werben, im Partei- und Sprachjargon von CDU oder FDP zu kommunizieren. Klima bleibt damit die Aufgabe der „anderen“ – und wird eben nicht breit getragen, wie es ein erfolgreicher Volksentscheid erfordert. Warum sollten dann auch CDU oder FDP für mehr wirksame Klimapolitik bei ihren Wählern werben, wenn es auf den Markenkern der Grünen einzahlt? Deshalb: Bewusst parteiübergreifend, inklusiver, aber auch parteifokussierter kommunizieren, Türen auf- und nicht zumachen, in Parteien eintreten.
Sechstens: 95 Prozent der Grünen-Wähler wollten mit Ja stimmen, aber die Partei stand nicht dahinter. Das halbherzige Ja von Frau Jarasch zehn Tage vor der Wahl hat den klimapolitischen Wettbewerb nicht entfacht. Eine CDU oder FDP würde ihre „Vorfeldorganisationen“ BDI oder VDA nicht im Regen stehen lassen. Deshalb: Grünenkritischer managen, denn auch die Grünen haben die Umwelt von der Erde nicht geliehen.
Waren es 2019 eine Handvoll Klimabewegte, sind nun 400.000 Berliner:innen „Klima-wütend“ geworden. Klima wird bei der nächsten Wahl das Topthema sein: CDU und SPD haben nun drei Jahre Zeit, ihre klimapolitische Glaubwürdigkeit zu beweisen. In 20 Jahren werden die Mitstreiter:innen von „Klimaneustart!“ sagen können: Wir haben einen tollen Job gemacht, auf den wir stolz sein können!
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