Klimaverein über Ost-Strukturwandel: „Es braucht konkrete Konzepte “
Ein Verein will in Sachsen die Zivilgesellschaft in Klimafragen besser vernetzen. Das ist notwendig, sagt Projektleiterin Anna Schüler.
taz: Powershift e.V. fokussierte sich mit seiner Arbeit bislang vor allem auf Berlin und europäische Projekte – warum nun Sachsen?
Anna Schüler: Während in Berlin ja vor allem technische Lösungen eine Rolle spielen, also wie die Kraftwerkskapazitäten ersetzt werden können, sind die Auswirkungen hier in Sachsen viel weitreichender: Es müssen nicht nur regenerative Alternativen für die enormen Braunkohle-Kapazitäten aufgebaut werden, sondern es wird auch um einen sozial gerechten Strukturwandel gerungen. Gleichzeitig gehen Landesregierung und LEAG, der Tagebau- und Kraftwerksbetreiber, davon aus, dass sie noch immer Tagebaue erweitern, Dörfer abbaggern und ihre Bewohner*innen umsiedeln können, sowohl in der Lausitz als auch im Leipziger Revier.
Diese Braunkohlefirmen wie MIBRAG und LEAG sowie ihre Zulieferer sind gleichzeitig insbesondere in den Bergbauregionen wie der sächsischen Lausitz einer der wichtigsten Arbeitgeber. Diese Arbeitsplätze würden dann wegfallen – wie kann der v on ihnen geforderte sozial gerechte Strukturwandel aussehen?
Der Druck ist enorm: Der Niedergang nach der Wende hat die Biografien einer ganzen Generation brutal umstrukturiert und tiefe Wunden hinterlassen. Damit der Strukturwandel sozial gerecht verläuft, braucht es viel mehr konkrete Konzepte als beispielsweise die Ansiedlung einiger Forschungseinrichtungen oder reine Infrastrukturinvestitionen in den Straßenbau, wie sie derzeit im Wahlkampf gefordert werden. Die von der Braunkohle abhängigen Beschäftigten müssen dabei viel stärker in den Blick genommen werden. Die leitende Frage muss sein: Wie kann sichergestellt werden, dass sie nicht zu den Abgehängten von morgen gehören?
Diese Arbeitsplätze stehen im Kontrast zu Lebenswelten: In Orten wie Pödelwitz und Obertitz sind ganze Dörfer von der Abbaggerung bedroht. Was sagen Sie Menschen, die vor der Gefahr stehen, dass ihr Haus in wenigen Jahren einfach weggebaggert werden könnte?
Umsiedlungen als Folge von Rohstoffabbau haben eine lange, traurige Tradition, rund 250 Dörfer sind in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier abgebaggert worden. In der zivilgesellschaftlichen Arbeit geht es vor allem darum, den Menschen, die bleiben wollen, den Rücken zu stärken, zu zeigen: Ihre Anliegen werden gehört und sind legitim, auch wenn die Staatsregierung es anders sieht. Die drohenden Umsiedlungen spalten oft die Dorfgemeinschaften in die, die bleiben wollen, und die, für die es vor Ort nicht mehr lebenswert ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
ist Projektleiterin des Vereins PowerShift, Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e.V. Der Verein befasst sich mit energie-, klima-, rohstoff-, handels- und wirtschaftspolitischen Fragen.
Kurz nach dem sogenannten Kohlekompromiss hat die sächsische Landesregierung absurderweise den Umsiedlungsvertrag für das Dorf Mühlrose in der Lausitz unterschrieben, obwohl es dafür noch gar keine Genehmigung gibt. Mühlrose ist ein Dorf, in dem viele Sorb*innen wohnen. In der Vergangenheit waren es vor allem sorbische Dörfer, die der Braunkohle weichen mussten. Der Verlust von Sprache und Kultur betrifft gesellschaftliche Minderheiten noch einmal viel stärker. Auch deshalb wollen viele bleiben.
Ihre Strategie ist es, Klimagerechtigkeit als zivilgesellschaftliches Thema zu verankern. Als Ziel definiert Powershift, eine ökologisch und sozial gerechtere Weltwirtschaft zu etablieren. Wie kann das auf lokaler Ebene funktionieren?
Das Beispiel Pödelwitz zeigt, wie die Übersetzung von Klimagerechtigkeit auf der kleinsten, lokalen Ebene funktionieren kann: Aus dem betroffenen Dorf und aus der Zivilgesellschaft heraus sind starke, solidarische Allianzen, wie das Bündnis „Pödelwitz bleibt“ oder das Leipziger Klimacamp, entstanden. In den vergangenen Jahren haben solche Initiativen stark zur Vitalisierung des Dorfes beigetragen, in enger Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort. Dahinter steht nicht allein die Perspektive der Betroffenen, ihr Dorf und ihre Lebensgrundlagen zu erhalten, sondern auch der Anspruch: Braunkohle als fossile Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse muss im Boden bleiben, wenn die Klimakrise in irgendeiner Weise eingedämmt werden soll.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Dabei gehören die großen Kraftwerke in Sachsen – Lippendorf und Boxberg – zu den Top 10 beziehungsweise den Top 30 der CO2-und schadstoffintensivsten Kraftwerke in Europa. Als Energiekonzerne gegen strengere EU-Grenzwerte für Kraftwerke geklagt haben, hat sich Sachsen dieser Klage angeschlossen. Warum stellt sich die Landesregierung quer?
Das sind die sächsischen Verhältnisse: blockieren, verhindern, sich querstellen. Glücklicherweise ist die Branche, und mit ihr die Staatsregierung, mit der Klage letztes Jahr gescheitert. Dass sich die Landesregierung der Klage der Energiekonzerne angeschlossen hat, zeigt deutlich, auf welcher Seite sie steht: nämlich im Zweifel nicht auf der Seite der Ein- und Anwohner*innen und ihrer Gesundheit oder des Natur- und Umweltschutzes, sondern auf Seite der Energiekonzerne. Im Jahr 2021 treten die neuen EU-Grenzwerte für Kohlekraftwerke in Kraft. Die sächsischen Kraftwerke werden gegen diese Grenzwerte verstoßen.
Ist ein Strukturwandel in Sachsen absehbar?
Das Ausstiegsdatum bis 2038 ist in keinem Fall klimagerecht und verschiebt den Strukturwandel nur nach hinten. Das ist unfair gegenüber den Beschäftigten. Dabei ist die Braunkohleverstromung zunehmend unwirtschaftlicher, das zeigt besonders das Kraftwerk Lippendorf. Auch in Sachsen wird man also mit einer Vermeidungs- und Verzögerungstaktik nicht viel länger weiter verfahren können. Strukturwandel in Sachsen muss von den zuständigen Entscheidungsträger*innen als Chance begriffen werden.
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