Klimaschutzstrategie für Bremen: Das gute Klima ist vorbei
Bremen hat die wahrscheinlich stärkste Klimaschutzstrategie unter den Ländern. Kaum ist das Papier im Landtag, hagelt es parteipolitische Parolen.
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Die Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“ wurde vor zwei Jahren von allen Fraktionen eingesetzt. Ihre Aufgabe: dem Land ein konkretes Klimaziel inklusive Fahrplan zu verpassen, basierend auf dem Pariser Abkommen. Je neun Expert:innen und Abgeordnete begannen im Frühjahr 2020 mit ihrer Arbeit, im Dezember 2021 stand der Abschlussbericht.
Demnach ist der Plan, Bremen bis 2038 klimaneutral zu machen, de facto also 95 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber 1990 einzusparen. Bis 2030 soll um 60 Prozent, bis 2033 um 85 Prozent reduziert werden. Das besondere: Erstmals ist das Stahlwerk von Arcelor Mittal Teil der Rechnung. Der Weg dahin ist mit Maßnahmen hinterlegt, aufgedröselt nach Sektoren.
Mittwoch wurde der Bericht im Parlament besprochen, zwei Anträge zur Umsetzung des Klimaziels diskutiert. Einer von den Koalitionsfraktionen SPD, Grünen und Linken, ein weiterer von der CDU. Ersterer soll den Senat unter anderem dazu verdonnern, „bis zum Herbst 2022 einen Klimaschutz-Aktionsplan vorzulegen“. Aber was heißt Herbst? Das fragte Martin Michalik, Vorsitzender der Enquete und umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Dezember, schätze ich.“ Michalik bezeichnet den Antrag als „Vorbereitung eines Ausstiegs aus dem wissenschaftlich fundierten Enquetebeschluss“.
Gemeinsamer Antrag kam nicht zustande
Auch weil darin die Rede ist von „alternativen Maßnahmen“. Wozu dann die Enquete? Linken-Politiker Ingo Tebje antwortete: Die Formulierung schaffe lediglich die Möglichkeit, noch bessere Maßnahmen zu finden. Und sie sei für den Fall, dass eine Maßnahme am geltenden Recht scheitert, sagte Philipp Bruck von den Grünen.
Der Antrag der Regierung ging wie erwartet durch, auch die FDP stimmte ihm in Teilen zu. Der CDU-Antrag scheiterte. Dieser sah vor, dass der Senat schon bis Ende Juni einen Umsetzungsplan vorlegen muss. Eigentlich wollte man aus beiden Anträgen einen gemeinsamen zimmern, sagte Michalik – ganz im Sinne des Enquete-Geistes. Dass das nicht geklappt hat, schiebt er der SPD in die Schuhe. „Halten Sie noch an den Ergebnissen fest oder wird das langsam ungemütlich für Sie?“
Gehören solche Spitzen zur Politik dazu? Schon. Ist es in diesem Fall ärgerlich, angesichts der Außenwirkung und des Zeitdrucks? Vielleicht, denn es gibt viele Probleme, vor denen die Regierung bei der Umsetzung steht: der Fachkräftemangel, vor allem im Handwerk, die Akzeptanz der Bevölkerung auch für unbequeme Maßnahmen – und die Finanzierung. Ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten zeigt Wege auf, wie die sechs bis sieben Milliarden einmalige und 200 bis 380 Millionen Euro jährliche Kosten gestemmt werden könnten.
Die Regierungsfraktionen können sich vorstellen, deshalb die Schuldenbremse aufzuweichen. Das ist laut Gutachten möglich, da die Klimakrise eine Notsituation darstelle. „Die Versündigung an künftigen Generationen ist nicht mehr, wenn man Schulden macht und Zinsen zahlen muss, sondern wenn wir nicht handeln“, sagte Ex-Bürgermeister und Co-Vorsitzender der Enquete, Carsten Sieling (SPD).
Zivilgesellschaft fordert Sofortprogramm
CDU und FDP wollen lieber andere Wege. „Man muss den Eindruck bekommen, dass die CDU lieber schon in den Wahlkampf einsteigt“, so Bruck dazu. „Denken Sie doch noch mal darüber nach“, sagte er in Richtung Michalik, es sei „bedauerlich, wenn Sie sich nach weitgehend konstruktiver Mitarbeit in der Enquete vom Acker machen“.
Vor der Sitzung hatten am Morgen Vertreter:innen von mehr als 50 Organisationen aus verschiedensten zivilgesellschaftlichen Bereichen das Gespräch mit den Abgeordneten gesucht. Sie fordern ein Sofortprogramm Klimaschutz noch in diesem Jahr.
Die Debatte zeigt, wie emotional das Thema ist. Ebenso zeigt sie, wie groß die Aufgabe ist, das Ziel in politisches Handeln zu gießen. Da sich alle Fraktionen klar zum Bericht bekennen, ist spätestens seit Mittwoch ebenso klar, dass sich ausnahmslos jede Landesregierung in Zukunft am Erreichen der Ziele messen lassen muss.
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