Klimaschutz trifft Landwirtschaft: Theorie und Praxis am Acker
Statt die Klimakrise weiter zu verschärfen, könnte Landwirtschaft an ihrer Lösung teilhaben. „Hof mit Zukunft“ bringt Bauern und Aktivisten zusammen.
K ühe melken, Schafe auf die Weide bringen, Enten füttern, Stall ausmisten: Die To-do-Liste, die auf dem Ökobauernhof Schwalbennest noch vor der ersten Mahlzeit des Tages ansteht, klingt nicht gerade nach der Ruhe und Entschleunigung, die sich viele Städter:innen vom Landleben versprechen. Als Rahel Böhme und Josefa Voigt um zehn Uhr am Frühstückstisch sitzen, liegen bereits drei Stunden Arbeit hinter ihnen. Böhme hat Verständnis für den dicht getakteten Tagesablauf. „Es geht hier halt auch um andere Herzschläge, und die kann man nicht einfach verschieben.“
Die beiden jungen Berlinerinnen arbeiten insgesamt vier Tage auf dem Bauernhof. Im Rahmen der Aktion „Hof mit Zukunft“ wollen sie herausfinden, wie nachhaltige Landwirtschaft in der Praxis funktioniert. Klima- und Umweltbewegte Menschen kommen mit Landwirt:innen zusammen, um sich auszutauschen, zu diskutieren und gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie sich die Agrarwende politisch und praktisch umsetzen lässt – das ist der Grundgedanke der bundesweiten Aktion des agrarpolitischen „Wir haben es satt“-Bündnisses, an dem sich insgesamt 30 Bauernhöfe beteiligten.
Eingeladen waren die Aktivist:innen von Hofinhaberin Martina Bressel. Die zierliche 61-Jährige mit langen grauen Haaren kommt etwas später zum Frühstück, auch sie muss sich nach den Tieren richten. Fanny, eine der Kühe, hatte ein Gerinsel im Euter, da Bressel es nicht selbst entfernen konnte, musste die Tierärztin kommen. Die Landwirtin wirkt, als wüsste sie jederzeit, was gerade wo auf dem Hof passiert – und was zu tun ist, wenn ein Wolf mal wieder ein Schaf gerissen hat, Wildschweine den Garten verwüsten oder Verwaltungsbeamte sich über die Zaunhöhe beschweren.
Zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und drei Mitarbeiter:innen bewirtschaftet Bressel rund 50 Hektar Land in der Nähe von Chorin in Ostbrandenburg. Auf dem Hof halten sie vor allem Tiere: über 80 Schafe, fünf Kühe, Enten und ein paar Hühner. Dazu baut der Familienbetrieb Obst und Gemüse an, alles nach den strengen ökologischen Vorgaben der anthroposophischen Demeter-Landwirtschaft.
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Aber auch für die 26-jährigen Voigt und Böhme ist ökologische Landwirtschaft kein Neuland. Böhme studiert Gartenbau an der Humboldt-Universität und ist bei der BUNDjugend agrarpolitisch aktiv. Voigt arbeitet ebenfalls im Bereich Landwirtschaft und Ernährung für eine Nichtregierungsorganisation.
Dass sich die Landwirtschaft in Deutschland grundlegend verändern muss, um das Artensterben und die Klimakrise zu stoppen, darin sind sich alle am Frühstückstisch einig – nur die Herangehensweisen sind unterschiedlich: Während Landwirt:innen wie Bressel ökologische Landwirtschaft praktisch umsetzten, versuchen Aktivist:innen wie Voigt und Böhme die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. „Hof mit Zukunft“ sei eine super Gelegenheit, den Austausch zwischen beiden Seiten zu verbessern, findet Voigt: „Bei den Nichtregierungsorganisationen denken wir viel darüber nach, wie wir Landwirt:innen helfen können. Nur reden wir viel zu selten mit ihnen darüber“.
Ökosystem Bauernhof
Nach dem Frühstück dürfen die Kühe endlich auf die Weide. Schon auf dem ersten Blick wird deutlich, dass der Hof Schwalbennest kaum etwas mit auf Effizienz und maximale Produktivität getrimmten Großbetrieben gemeinsam hat. Statt der 71 Kühe, die ein Hof in Deutschland im Jahr 2022 durchschnittlich hielt, beschränkt sich Bressels Bestand aktuell auf drei Kühe und zwei Kälber. Die trotten gemächlich vom Stall zur nur wenige Meter entfernten Wiese. Das jüngste Kalb, erst wenige Tage alt, steht ein wenig unsicher auf den Beinen und scheint noch nicht so recht zu wissen, wo es hinsoll. Bressel stupst das Kalb behutsam Richtung Mutter, wo es erst einmal eine kleine Trinkpause einlegt.
Die überschaubare Zahl der Tiere ergibt sich aus dem Wirtschaftsprinzip des Hofes, das eng nach den Prinzipien der anthroposophischen biodynamischen Landwirtschaft ausgerichtet ist. „Wir betreiben eine Kreislaufwirtschaft“, erklärt Bressel, „wir halten nur so viele Tiere, wie wir aus eigener Futterproduktion ernähren können“. Die Kühe bekämen daher auch kein Kraftfutter, sondern nur frisches Gras und Heu. Der Mist der Kühe ist für die Landwirtin unersetzlicher Dünger. „Ohne Kühe geht kein Aufbau der Bodenfruchtbarkeit“ – davon ist Bressel überzeugt.
Sobald sie anfängt, über die Funktionsweise ihres Betriebes zu reden, fangen ihre Augen an zu leuchten. Man könne sich den Hof als „Organismus“ vorstellen, bei dem alle Teile ineinandergreifen. Mit der Molke, die bei der Käseproduktion als Nebenprodukt anfällt, lassen sich Enten und Gänse füttern. Diese fressen auch gerne die Nacktschnecken von den Obstwiesen. „Jedes Tier hat eine Aufgabe, wenn eins nicht da ist, fehlt etwas.“ Regelrecht verärgert berichtet Bressel, dass sie bis vor Kurzem auch Schweine auf dem Hof hatten, diese aber wegen der Schweinepest schlachten lassen mussten. „Schweine sind tolle Abfallverwerter“, nun fehle das fettige Fleisch, um Wurst zu machen.
Die Hingabe, mit der Bressel und ihre Familie nachhaltige Landwirtschaft betreiben, beeindrucke sie besonders, berichtet Josefa Voigt. „Vieles von dem, was auf dem Hof gemacht wird, ist wirtschaftlich überhaupt nicht profitabel.“ Der eigentlich Mehrwert, den ökologische Landwirtschaft für das Klima und die Artenvielfalt erzeuge, werde aber kaum finanziell honoriert. Dafür müssten Förderstrukturen geschaffen werden, findet Voigt. „Wie können wir Landwirte dafür entlohnen, möglichst viel Kohlenstoff in die Böden zu bringen oder Biodiversität herzustellen?“
Trotz ihrer klimapolitischen Bedeutung fristet ökologische Landwirtschaft in Deutschland weiterhin ein Nischendasein. 2021 wurde nur rund 10 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaftet. Von den Biohöfen wiederum befolgen nur die wenigsten so hohen Standards wie der Hof Schwalbennest.
Der geringe Anteil der Ökolandwirtschaft erklärt sich nicht allein durch zu geringe Fördermittel, sondern vor allem durch die Art und Weise, wie sie verteilt werden. Jährlich fließt fast ein Drittel des EU-Haushalts in die Agrarförderung, ein Großteil davon als Direktzahlungen an die Betriebe. 2021 waren das insgesamt über 55 Milliarden Euro.
Trotz der Reform der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) der EU mit den Versprechungen, kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft zu fördern, hat sich an den Grundprinzipien nichts geändert. Der Großteil der Mittel wird immer noch über die Größe der Ackerflächen und Viehbestände verteilt, die Pflege von Ökosystemen wird hingegen kaum gefördert. „Bei der GAP-Reform werden Ökolandhöfe stark benachteiligt“, kritisiert Bressel, am Ende käme dabei immer die Agrarindustrie am besten weg.
Die Folge der Fehlförderung: Immer mehr kleine Höfe machen dicht. Laut statistischem Bundesamt haben zwischen 2010 und 2020 35.600 Höfe aufgegeben: Das sind im Schnitt fast zehn Höfe pro Tag, während die landwirtschaftliche Nutzfläche pro Betrieb insgesamt stieg. Um zu überleben, müssen sich die Betriebe vergrößern – oder aufgeben.
Dass ein verhältnismäßig kleiner Betrieb wie Hof Schwalbennest nun schon fast 20 Jahre überleben konnte, liegt vor allem an den kreativen Vertriebsstrategien. Milch und andere tierische Produkte werden veredelt und im Direktvertrieb verkauft, dadurch sind sie ein Stück weit unabhängig von schwankenden Marktpreisen und können größere Gewinnmargen erzielen. Das funktioniert über den Hofladen, bei dem Anwohner:innen und Tourist:innen einkaufen, aber auch über Gemüsekisten und Märkte von Berlin und Eberswalde.
Solidarität als Chance
Als weiteres unverzichtbares wirtschaftliches Standbein hat sich seit einigen Jahren das Konzept der solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) etabliert: Insgesamt 35 Haushalte unterstützen den Hof mit einem regelmäßigen Betrag und erhalten im Gegenzug eine Kiste mit Gemüse und Tierprodukten, die an eine Abholstelle in der Stadt geliefert wird. Die gelieferte Menge hängt davon ab, was gerade geerntet wurde – für Ernteausfälle durch Trockenheit oder Unwetter muss der Hof nicht aufkommen. Die Empfänger:innen verpflichten sich außerdem, dreimal im Jahr zum vierstündigen Arbeitseinsatz auf den Hof zu kommen, dafür erhalten sie die Produkte zu einem vergünstigten Preis.
„Die SoLaWi ist eine Chance für die Leute, wieder einen Bezug zum Land zu bekommen“, sagt Bressel. Dadurch entstünde eine viel persönlichere Bindung zwischen Erzeuger:innen und Konsument:innen – und eine ganz andere Verbindlichkeit: „Während der Ukraine-Krise sind die Umsätze überall eingebrochen, aber nicht bei der SoLaWi“, erzählt Bressel, „unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingung hätten wir ansonsten keine Chance zu existieren.“
Die regelmäßigen Arbeitseinsätze seien ein weiterer positiver Nebeneffekt des SoLaWi-Konzepts, auch wenn sich ein nicht unwesentlicher Teil davor drücken würde, sagt Bressel. Denn mit regulär bezahlter Arbeitskraft sei der enorme Arbeitsaufwand auf dem Hof kaum zu bewältigen. „Es funktioniert nur dadurch, dass wir Arbeitskraft kompensieren.“ Für sie selbst seien Zwölfstundentage auf dem Hof keine Seltenheit, „nach einem Stundenlohn darfst du gar nicht fragen“, sagt Bressel lachend. Angewiesen seien sie auch auf Schüler-Praktikant:innen, Bundesfreiwilligendienstleistende und nicht zuletzt die Hilfe ihrer Kinder, die nicht mehr auf dem Hof lebten, aber regelmäßig vorbeikämen.
Auch an diesem Samstag sind fünf Helfer:innen aus der SoLaWi zum Arbeitseinsatz gekommen. Die Aufgaben heute: Erdbeeren pflücken, Beete mulchen und Beikraut jäten – zu tun gibt es immer genug. Bei den zugewucherten Möhrendämmen zeigt sich, dass auch Freiwillige nicht alles kompensieren können. Die kleinen Möhrensprößlinge sind zwischen den hochgewachsenen Kamillen, Kornblumen und Hirtentäschchen kaum noch zu erkennen.
Lena Fender beugt sich über die Dämme und zeigt, wie sich das Beikraut am besten mit der ganzen Wurzel entfernen lässt, und wie sich junge Kamillenpflanzen von den Möhrensprößlingen unterscheiden lassen. Fender hat früher die SoLaWi auf dem Hof Schwalbennest geleitet, heute ist sie nur noch als Freiwillige da. Ein Problem des Konzepts sei, dass die wenigsten zu den vereinbarten Arbeitseinsätzen kämen. „Für viele ist es eher ein Nehmen als ein Geben“, sagt Fender. Dass es schwierig sei, Leute zu motivieren, kenne sie auch von vielen anderen Betrieben.
Blick in die Zukunft
Beim gemeinsamen Mittagessen unter dem Kastanienbaum entsteht eine lebhafte Diskussion über die Zukunft der ökologischen Landwirtschaft in Deutschland. Die hohe Arbeitsbelastung und die wirtschaftliche Unsicherheit würde viele junge Menschen abschrecken, ökologische Landwirtschaft zu betreiben, vermutet Bressel. Doch der Hauptgrund, warum kaum neue Höfe gegründet werden, liege woanders: In den letzten Jahrzehnten seien die Bodenpreise für landwirtschaftliche Fläche extrem gestiegen.
„Damals haben wir vielleicht ein Zehntel von dem bezahlt, was heute für einen Hektar verlangt wird“, erinnert sich Bressel. „Einen neuen Hof aufmachen, das wäre heute gar nicht möglich.“ Um Land zu erwerben, bräuchten junge Landwirt:innen riesige Mengen an Kapital, und die durchweg hohen Pachten seien aus den Erträgen ökologischer Landwirtschaft überhaupt nicht finanzierbar.
Tatsächlich hat sich in Brandenburg, wie fast überall in Deutschland, der durchschnittliche Preis pro Hektar in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Grund sind vor allem branchenfremde Investor:innen, die Ackerland als renditestarke Anlagemöglichkeit sehen. In direkter Nachbarschaft zum Hof habe der Elektronikkonzern Philips kürzlich viele Flächen erworben, erzählt die Landwirtin.
Dinge wie Mutterkuhhaltung, samenfestes Saatgut oder Humusaufbau würden den Konzern kaum interessieren, am Ende ginge es nur um maximalen Profit mit minimalen Arbeitsaufwand. Monokulturen, Hybridsaatgut, Pestizide, chemische Dünger – um den Kaufpreis wieder reinzukriegen, sei eine andere Form der Landwirtschaft auch gar nicht möglich, sagt die Landwirtin.
BUND-Jugend-Aktivistin Rahel Böhme stimmt zu. Auch sie habe überlegt, nach ihrem Gartenbaustudium einen eigenen Betrieb aufzumachen, ist dabei aber wenig zuversichtlich. „Es gibt für mich einfach keine Flächen, die ich bezahlen könnte“.
Am Ende des Tages wird klar, die To-do-Liste in der Politik in Sachen Agrarpolitik ist nicht kleiner als die auf einem Bauernhof. Fördermittelvergabe reformieren, Boden gerecht verteilen und auch noch junge Leute für ökologische Landwirtschaft motivieren – wie schön es wäre, wenn die Politik sie auch so gewissenhaft abarbeiten würde wie die engagierten Menschen auf dem Hof Schwalbennest.
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