Klimaschutz-Zertifikate für Humusbildung: „Nullsummenspiel fürs Klima“
Braucht es einen Emissionshandel für Treibhausgase in der Landwirtschaft? Das grün-geführte Agarministerium hält davon wenig.
Die EU-Kommission will in diesem Jahr einen Rechtsrahmen für sogenannte Carbon Farming-Zertifikate vorschlagen, die bescheinigen, wenn der Atmosphäre entzogener Kohlenstoff im Boden gespeichert wird. Bauern können dann Geld bekommen, wenn sie den Anteil des kohlenstoffhaltigen Humus im Boden erhöhen. Mehr Humus können sie erreichen, indem sie zum Beispiel Bäume und Früchte zusammen auf einem Feld anbauen (Agroforstwirtschaft), den Boden immer von Pflanzen bedeckt halten und Pflanzenreste auf dem Acker lassen. Das System mit handelbaren Zertifikaten soll helfen, die Landwirtschaft klimaneutral zu machen. Diese verursacht in Deutschland laut Umweltbundesamt derzeit 13 Prozent der Treibhausgase.
„Die Festlegung von Kohlenstoff als Humus im Boden ist nicht eine der stabilsten. Das kann auch schnell wieder abgebaut werden“, sagte Bender. In diesem Fall wäre das Klima langfristig nicht entlastet. Zudem seien in den Klimastrategien Deutschlands und der EU bereits erhebliche CO2-Mengen eingerechnet, die insgesamt in natürlichen Senken gespeichert werden müssen. „Wir können nach meiner Auffassung nicht so viel mehr Senkenleistung erbringen, dass überhaupt handelbare Zertifikate generiert werden können“, so die Staatssekretärin. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Industrie ihre eigenen Klimaanstrengungen hintanstellt, weil sie billige Bodenzertifikate kaufen kann und sich damit freirechnet. Für das Klima wäre das ein nicht akzeptables Nullsummenspiel.“
Weiterhin würde ein Zertifikatehandel für in Agrarflächen gebundenes CO2 den „Druck auf die ohnehin schon knappe Ressource Boden weiter erhöhen“. Wenn es ihn nicht nur in der EU, sondern auch in Entwicklungsländern geben würde, könnten internationale Unternehmen „zumindest theoretisch dort Boden kaufen, um Carbon Farming zu betreiben, damit sie ihre Emissionen schönrechnen“. Dieser Boden würde der Bevölkerung im globalen Süden entzogen.
Resilienzfaktor Humus
„Es ist richtig, dass wir den Humusaufbau in der Landwirtschaft fördern, nicht nur weil Humus CO2 bindet, sondern auch, weil er ja auch zur Klimaresilienz der Landwirtschaft beiträgt“, sagte Bender. Böden mit mehr Humus seien fruchtbarer und könnten mehr Wasser speichern. Entsprechende Anbaumethoden sollte die EU-Agrarpolitik fördern. „Wenn wir die Gemeinsame Agrarpolitik weiterentwickeln zu einem wirklichen Honorierungssystem, dann könnten dort solche konkreten Leistungen eingerechnet werden. Carbon Farming ist eine Leistung für das Gemeinwohl, die durch öffentliches Geld vergütet werden sollte.“
Als Beispiel nannte Bender Agroforstsysteme. Die Bodenbearbeitung ohne Pflug und mit Einsatz des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat hält die Grüne dagegen nicht für förderwürdig. Auch diese wird häufig als humusaufbauend beworben. Jüngere Forschungen zeigen jedoch, dass der Verzicht auf den Pflug so gut wie keinen Kohlenstoff bindet.
Ureigenes Interesse der Bauern
Mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Carbon Farming-Zertifikaten schließt sich Bender führenden Agrarwissenschaftlern an. Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock, sagte vor Kurzem, „einige wenige Anbaufehler in einem einzelnen Jahr“ reichten aus, dass der Humus wieder abgebaut und der so gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt wird.
Anders als Bender lehnt Lakner aber auch generell ab, für den Aufbau von Humus EU-Agrarsubventionen zu zahlen. „Hier würde ein Ziel gefördert, das eigentlich im Rahmen des gesetzlichen Bodenschutzes und der guten fachlichen Praxis umzusetzen ist“, so Lakner. Bauern sollten schon aus ihrem eigenem Interesse heraus hohe Humusgehalte in ihren Böden anstreben, etwa um die Fruchtbarkeit zu erhalten.
Statt durch Carbon Farming-Zertifikate will das Agrarministerium die Klimabilanz der Landwirtschaft zum Beispiel dadurch verbessern, dass weniger Tiere gehalten und weniger tierische Lebensmittel wie Fleisch und Milch konsumiert werden. Zudem müsste ein politischer Rahmen gesetzt werden, um Überdüngung weiter zu reduzieren, Moore wiederzuvernässen, in Gewächshäusern Energie zu sparen und Landmaschinen auf alternative Antriebe umzustellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“