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Klimaproteste gehen weiterNach dem Streik ist vor dem Streik

Aktivist*innen demonstrieren vor dem Kanzleramt, heute verkündet Neukölln den Klimanotstand und bald gibt es ein Klimapaket von unten.

Auf dem Transparent dieser Cellistin stand: Ich will lieber spielen und nicht aussterben Foto: Christoph Soeder

Berlin taz | Auf der Wiese neben dem Kanzlerinnenamt steht Florian Betz im nassen Gras und wartet auf einen Politiker, der sich gleich das „We4Future“-Camp anschauen soll. Hinter ihm stehen weiße Zelte: Willkommenszelt, Kochzelt, Schlafzelte, Workshopzelte.

Betz hat das Camp mitorganisiert. Es soll Initiativen, Organisatio­nen und Einzelpersonen aus der Klimabewegung Raum für Workshops und Vernetzung bieten – und das in Sichtweite des Reichstagsgebäudes. Zum Beispiel ein Workshop zum Thema „Wie reagiere ich am besten auf Klimakritik?“.

Warten auf die Politik ist überhaupt das Thema der letzten Tage: Nachdem vergangenen Freitag fast 300.000 Menschen für den Klima­streik in Berlin auf die Straße gegangen waren, verabschiedete die Regierung ein Klimapaket, das weit hinter die Demo-Forderungen zurückfiel. Auch deswegen hat Mittwoch früh um zehn erneut eine Demo die Kanzlerin, die frisch aus New York zurückgekehrt war, in Empfang genommen. Ihr Slogan: „How dare you?“ – Wie kannst du es wagen?

Auch für Rebe Rinser ist das Paket eine Enttäuschung. „Das Warten auf die Politik hat jetzt ein Ende“, sagt sie, während sie im Zelt der Initiative „Klimaplan von unten“ steht. Die Ini­tiative möchte einen besseren Klimaplan ausarbeiten, bei dem jede und jeder sich bei „Write-ins“ mit Vorschlägen einbringen kann.

Diese werden dann von Expert*innen geprüft und zu einem konkreten Katalog aus Maßnahmen zusammengeschrieben. Der Plan soll darauf abzielen, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr findet das erste „Write-in“ im Camp statt, beteiligen könne sich jeder.

Berliner Bezirke rufen Klimanotstand aus

Während die Bundespolitik die Kli­ma­demonstrant*innen enttäuscht hat, kommt das Thema in der lokalen Politik immer mehr an. Schon Mitte August hat der Bezirk Pankow als erster in Berlin den Klimanotstand erklärt. Das Gleiche soll nun in Neukölln passieren: Auf Antrag der Linksfraktion wird der Umweltausschuss heute wohl den Klimanotstand ausrufen.

Ganz klar ist nicht, was Bezirke in puncto Klima tun können, aber Ideen gibt es viele: die Pankower SPD hat vorgeschlagen, bezirkliche Gebäude mit erneuerbaren Energien zu versorgen und eine energiesparende Raum- und Bauleitplanung einzuführen.

Und vor allem könnte die Einbeziehung klimapolitischer Überlegungen bei der Planung neuer Viertel etwas bewirken. „In Pankow liegen 20 Prozent der Wohnungsbaupotenziale von Berlin. Das hat riesige Auswirkungen“, sagte Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) kürzlich der Morgenpost.

Auch die Erhaltung oder Erweiterung von Grünflächen, eine ureigene Bezirksaufgabe, hat Auswirkungen aufs (lokale) Klima. Welche genau, wird der Stadtökologe Ingo Kowarik vom Institut für Ökologie der Technischen Universität und Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege am heutigen Donnerstag den Neuköllner Bezirkspolitikern erklären (17 Uhr, Rathaus Neukölln, Raum A 105, Karl-Marx-Str. 83). Der Termin ist öffentlich.

Friedrichshain-Kreuzberg stellt um

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist über das Stadium der Absichtserklärungen bereits hinaus. Der Fuhrpark des Bezirksamts wird gerade umgestellt. An erster Stelle steht nach Angaben von Umweltstadträtin Clara Herrmann (Grüne) der Fahrradverkehr. Beim Straßen- und Grünflächenamt werden schon bezirkseigene Fahrräder und E-Lastenräder eingesetzt (taz berichtete). Auch sechs elektrisch betriebene Pkws und Nutzfahrzeuge gibt es, weitere sollen folgen.

Wir müssen noch viel mehr tun

Clara Herrmann, Umweltstadträtin Friedrichshain-Kreuzberg

Eine Million Euro sind Herrmann zufolge im Haushalt 2010/21 für die Umstellung vorgesehen. Zudem sei geplant, die Bunkerberge im Volkspark Friedrichshain zu einem Wald mit heimischen Bäumen und Sträuchern umzugestalten.

Die Dächer der bezirkseigenen Gebäude werden laut Herrmann auf die Eignung für Photovoltaikanlagen überprüft, die ersten Anlagen seien geplant. Auch mehr Trinkbrunnen würden gebaut, um die Menschen klimafreundlich mit Trinkwasser zu versorgen. Was sie am Freitag bei der großen Klimastreik-Demo gesehen und gehört hat, habe sie sehr bewegt, sagt Herrmann – „wir müssen noch viel mehr tun“.

Brandanschlag ist keine neue Aktionsform

Einen kleinen Dämpfer erlitt die Klimabewegung am Montag, als der S-Bahn-Verkehr zwischen Karlshorst und Wuhlheide durch einen Brandanschlag auf Kabelschächte lahmgelegt wurde. Weil die Täter in ihrem Bekennerschreiben Bezug auf Fridays for Future und den Klima­streik genommen haben, stehen die jugendlichen Aktivist*innen unter Rechtfertigungsdruck. Dabei deutet nichts darauf hin, dass die Täter zu den Klimaaktivist*innen gehören.

Seit 2011 kam es in Berlin zu mindestens sechs Anschlägen, etwa auf Bahnanlagen oder Stromnetze. Es wurden stets aktuelle politische Themen zur Rechtfertigung herangezogen: vom Konflikt in Kurdistan bis zum G20-Gipel. Die aktuelle Sabotage ist als Fortführung einer anarchistischen Anschlagsserie zu werten, nicht als neue Aktionsform der Klimabewegung.

Seraphina Rustemeyer schaut im Camp vor dem Kanzleramt auf ihr Werk: T-Shirts mit Schriftzügen wie „Hauptsache dem DAX gehts gut“. Sie hat die letzten Stunden vor dem Kinderzelt Siebdrucke hergestellt. Rustemeyer hat vergangene Nacht auf einem Feldbett im Camp geschlafen. Sie sagt: „Man ist hier völlig in seiner eigenen Blase. Und dann guckt man hoch und sieht da drüber die Politiker*innen vorbeigehen.“

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