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Klimaneutralität bis 2040Wohnungswirtschaft schießt gegen Schleswig-Holsteins Ziel

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen kritisiert das geltende Klimaschutzziel des Landes. Dabei hat er immer Verlässlichkeit eingefordert.

Nicht die ökologischste Art zum Heizen: Rauchender Schornstein auf Wohnhäusern Foto: Daniel Vogl/dpa

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) hat das Land Schleswig-Holstein aufgefordert, von seinem Ziel der Klimaneutralität bis 2040 abzurücken. In einem Schreiben an alle Landtagsabgeordneten warnte der VNW, dieses Ziel, das fünf Jahre vor dem bundesweit geltenden Termin liegt, komme einer „ökologischen Sonderumlage SH“ gleich, die sich das Land nicht leisten könne. Der VNW vertritt vor allem genossenschaftliche und kommunale Vermieter.

VNW-Verbandsdirektor Andreas Breitner hatte sich stark gegen den Hamburger Klima-Volksentscheid engagiert, der am 12. Oktober auch für Hamburg das Zieljahr 2040 durchsetzte. Dabei hatte Breitner unter anderem argumentiert, für das Vorziehen des Klimaschutzziels müssten seine Mitgliedsunternehmen ihre Klimaschutzpläne über den Haufen werfen. Sie hätten ja ihre Sanierungs- und Modernisierungsprogramme auf das Jahr 2045 abgestellt.

Das aktuelle schleswig-holsteinische Klimaziel der CO2-Neutralität bis 2040 hatten die Koalitionspartner CDU und Grüne nach der Landtagswahl 2022 vereinbart. Beschlossen wurde es vom Landtag am 30. Januar2025. In den vergangenen drei Jahren mussten sich die Wohnungsunternehmen des Landes auf die neuen Vorgaben einstellen.

Planbarkeit hin oder her: In seinem Schreiben an die Abgeordneten rechnet Breitner jetzt vor, dass der schleswig-holsteinische Wohngebäudesektor 82,5 bis 151,6 Milliarden Euro ausgeben müsse, um bis 2045 klimaneutral zu werden. Das sind 4,25 bis 7,58 Milliarden pro Jahr. Würde der Zeitraum um fünf Jahre verkürzt, müssten die Wohnungsunternehmen zwischen 5,5 und 10,11 Milliarden pro Jahr aufbringen.

Günther „gespaltene Persönlichkeit“

Ein vorgezogener Termin erhöhe die Finanzierungskosten der Unternehmen und zwinge sie, an sich noch nicht fällige Sanierungen vorzuziehen. Dadurch erhöhe sich der Anteil der Modernisierungskosten, der auf die Mieter umgelegt werden dürfe. „Unsere Unternehmen gehen davon aus, dass Klimaneutralität fünf Jahre früher zu einer zusätzlichen Steigerung der Miete um bis zu einem Euro pro Quadratmeter Wohnfläche führen wird“, warnt der VNW.

Breitner warf Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vor, er argumentiere wie eine gespaltene Persönlichkeit, weil er in Berlin fordere, an 2045 festzuhalten, in Kiel aber 2040 anstrebe. Günther hat in seiner jüngsten Regierungserklärung am 15. Oktober bekräftigt, das Land verfolge klar das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein. „Vom Verkehr bis zur energetischen Sanierung – wir denken Klimaschutz in allen Bereichen“, sagte der Ministerpräsident.

Demgegenüber kommt die schleswig-holsteinische SPD-Fraktion ins Wanken. Unter Federführung ihres wohnungspolitischen Sprechers Thomas Hölck forderte sie von der Landesregierung am 8. Oktober, Gutachten erstellen zu lassen. Diese sollen ermitteln, wie stark die Mieten für das Erreichen der Klimaneutralität 2040 steigen würden und wie stark bis 2045.

Das klingt ganz anders als die Ansage der SPD im Landtagswahlkampf 2022. Damals versprach sie: „Wir werden Schleswig-Holstein zum ersten klimaneutralen Land der Bundesrepublik Deutschland machen und damit zu einem europäischen Leuchtturm werden.“ Kein anderes Land habe so gute Voraussetzungen, klimaneutral zu werden. „Wir wissen, dass der Klimawandel unseren eigenen Wohlstand bedroht und der Meeresanstieg gestoppt werden muss.“ Sofortiges Handeln sei geboten.

Auch die Klimaschutzorganisation Fridays for Future (FFF) warnt, durch das Infragestellen des Klimazieles drohe das Land wertvolle Zeit zu verlieren. „Klimaneutralität bis 2040 ist kein Luxusprojekt, sondern eine Überlebensfrage“, sagt Eva Freitag von FFF. Dem VNW-Direktor Breitner wirft FFF vor, er habe seine Hamburger Kampagne „per ‚Copy+Paste‘ mit einem Dauerfeuer von Pressemitteilungen auf Schleswig-Holstein übertragen“.

Aktuell werden steigende Nebenkosten durch fossile Heizungen auf die Mie­te­r*in­nen abgewälzt

Vincent Schlotfeldt, Fridays for Future

Die Bewegung fordert mehr Geld für die Wärmewende und eine sozialere Wohnungspolitik. Zudem müsse das Gasnetz rasch stillgelegt werden. Klimaschutz dürfe nicht zum Vorwand werden, um soziale Ängste zu schüren. „Aktuell werden steigende Nebenkosten durch fossile Heizungen auf die Mie­te­r*in­nen abgewälzt, während klimaschädliche Subventionen fortbestehen“, kritisiert Vincent Schlotfeldt von FFF. Das Geld müsse stattdessen sowohl dem Klimaschutz als auch Mie­te­r*in­nen zugutekommen.

Gegenüber 1990 hat Schleswig-Holstein seine CO2-Emissionen, Stand 2023, um rund 37 Prozent verringert, Hamburg um rund 43 Prozent. Als Zwischenziel 2030 strebt Schleswig-Holstein 57,5 Prozent an, Hamburg 70 Prozent. Der Klimaplan des Stadtstaates ist mehr als dreimal so umfangreich wie das Klimaschutzprogramm des Flächenlandes und wesentlich konkreter. Unter anderem umfasst er einen langen Katalog von Einzelmaßnahmen.

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5 Kommentare

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  • Dann gibt es eben noch weniger Wohnungen.... die Praxis schlägt - auch die in der TAZ vorgeschlagene Theorie - meistens um Längen. War im Realexistierenden so, ist auch in der BRD nicht anders. Die Gattung Mensch lässt sich oftmals nicht in eine Schublade stecken. Immer bedauerlich für Ideologen....

  • Der Begriff "Planbarkeit" setzt voraus, dass der Plan auch durchführbar ist.



    Und das bleibt zu beweisen: Bisher ist das Theorie. Wird es 2045 ein größeres (brutto-)emissionsneutrales Land geben?



    Ich glaube das nicht. Wir werden sehen.



    Was nicht heißt, dass es nicht sinnvoll ist, auf immer mehr CO2-Reduktion zu setzen. Nur dass das absolute Endziel zu meinen Lebzeiten erreichbar sein soll? Da halte ich dagegen. Und die Politik wird irgendwann der Realität auch folgen müssen. Die Frage ist nur, wann.

  • Die Wohnungsunternehmen sollen lieber die Chancen durch die Kostensenkung bei der Solarenergie zielstrebig nutzen. Das geht am besten mit Photovoltaik-Solarmodulen in Verbindung mit Wärmepumpen und saisonaler Wärmespeicherung.

    Es fehlen jedoch Flächen und Genehmigungen dafür.

    Korrespondierend dazu muss nicht ein ganz so guter energetischer Zustand angestrebt werden, wie er vor einigen Jahren noch kostenminimierend erschien. Damit entfallen auch die zeitlichen zusammenhänge zum baulichen Sanierungsfortschritt. Unterm Strich soll es mit den neuen Maßnahmen natürlich billiger werden als vorher.

    • @meerwind7:

      Haben Sie das nötige Kleingeld für die Durchführung ihres Plans? Oder haben sie vor, stattdessen anderer Leute Geld dafür zu verwenden? Und das unternehmerische Risiko, falls die schöne Utopie hinterher doch nicht so viel billiger geworden ist, wie man das angenommen hatte, wer trägt das?



      Wenn man dem privatwirtschaftlichen Sektor keine attraktiven Investitionsmöglichkeiten bieten kann, braucht man sich nicht zu wundern, wenn von dort keine Investitionen getätigt werden. Dann muss man eben ohne deren Geld selber bauen. Wir werden sehen, ob dadurch irgendetwas tatsächlich besser oder billiger wird.



      Man darf es aber bezweifeln. Schließlich steht es auch jedem einzelnen frei, auszuwandern und seine Steuern dort zu zahlen, wo er seine Interessen besser vertreten sieht.

    • @meerwind7:

      Sollen .... lieber - machen sie aber nicht. Praxis schlägt Theorie!