Klimaneutrale Salzgitter AG: Grüner Stahl ist keine Utopie
Im Gegensatz zum Konkurrenten ArcelorMittal hält die Salzgitter AG an der Umstellung auf klimaneutralen Stahl fest. Was läuft dort anders?
„Wir sind mitten in der Bauphase der Stufe eins“, sagt Salzgitter-Vorstandschef Gunnar Groebler, „die neuen Anlagen wachsen in die Höhe.“ Das Unternehmen gehe davon aus, dass die Produktion im ersten Halbjahr 2027 beginnen könne und dann auch die ersten Kunden beliefert würden.
ArcelorMittal hat eine ähnliche Entwicklung dagegen jetzt abgebrochen. Zugesagte Fördermittel von etwa 1,3 Milliarden Euro nimmt der Konzern mit Hauptsitz in Luxemburg nicht in Anspruch. Wie es mit den Hochöfen von Thyssenkrupp im Ruhrgebiet beim grünen Stahl weitergeht, ist unklar. Weiter an der Dekarbonisierung arbeitet die SHS (Stahl-Holding-Saar).
Unbeirrt sind auch die Stahlkocher im östlichen Niedersachsen. Knapp 1 Milliarde Euro Fördergelder des Bundes und des Landes werden investiert, 1,4 Milliarden finanziert die Salzgitter AG zusätzlich selbst. Das ist ein erster Schritt, bis zum Jahr 2033 soll alles Eisenerz fast ohne Kohlendioxidaustausch geschmolzen werden.
Elektrolyseur spaltet Wasser in Sauer- und Wasserstoff
Die Aktiengesellschaft ist dabei, eine neue Fertigungsstrecke zu konstruieren, die nicht mehr Kohle als Brennstoff nutzt. Stattdessen soll perspektivisch „grüner“ Wasserstoff verwendet werden, der so heißt, weil er mittels Wind- und Solarstrom aus Wasser erzeugt wird. Der produzierte Stahl wird „grün“ genannt, weil im Herstellungsprozess kaum mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) entweicht.
Sieben Windräder stehen schon auf dem Werksgelände. Einer der beiden großen Hochöfen macht in den nächsten Jahren Platz für die neue Anlagen-Kombination: Ein Elektrolyseur spaltet Wasser in Sauer- und Wasserstoff.
Unter anderem letzterer speist die Direktreduktionsanlage, die Eisenerz in Eisenschwamm verwandelt. Aus diesem wird im neuen Lichtbogenofen Stahl. Später könnten der andere große und ein kleiner Hochofen einer ähnlichen Konfiguration weichen.
„Der laufende Umbau des Stahlstandorts Salzgitter ist auch ein Programm zu dessen Zukunftssicherung“, sagt Unternehmenssprecher Olaf Reinecke. Zentral dabei: Es gibt nur dieses eine Werk, das im Konzern Stahl herstellt. Zudem gelten dafür die deutschen und europäischen Ziele: Klimaneutralität bis 2045 beziehungsweise 2050.
Niedersachsen will Jobs sichern
In 20 Jahren muss Schluss sein mit Kohlendioxid. Stahlproduktion geht in Deutschland dann nur noch grün. Das weiß auch der größte Miteigentümer der Salzgitter AG, das Land Niedersachsen, das 26,5 Prozent der Anteile hält. Die Politik will die örtliche Stahlproduktion und die rund 6.000 Arbeitsplätze unbedingt sichern.
Ein globaler Konzern wie ArcelorMittal ist anders aufgestellt. Er fertigt Stahl in mehreren Staaten, auch außerhalb Europas. Werke stehen etwa in den USA, Indien und Brasilien. Das Unternehmen ist nicht darauf angewiesen, die politischen Regularien an einem speziellen Standort zu erfüllen. Die Fertigung lässt sich verlagern.
In Salzgitter sagt Konzernsprecher Reinecke dagegen: „Ab 2033 wollen wir technisch in der Lage sein, zu 95 Prozent CO2-freien Stahl zu erzeugen.“ Dazu müssten aber auch „die infrastrukturellen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen gegeben sein“. Eine wichtige Einschränkung – denn die große Frage lautet: Steht dann genug grüner Wasserstoff zu akzeptablen Konditionen bereit, um wirklich grünen Stahl zu fertigen? Die benötigte Menge kann die Firma nicht selbst generieren, sie muss zukaufen.
Auf seine Ausschreibung im vergangenen Jahr erhielt das Unternehmen von potenziellen Wasserstofflieferanten die Antwort, dass das Gas grundsätzlich in ausreichender Menge geliefert werden könnte. Aber wie kommt es nach Salzgitter? Pläne der Bundesregierung, der Bundesnetzagentur und der Pipeline-Betreiber existieren, doch viele Rohre müssen erst noch verlegt werden.
Doppelt so teuer wie aus Erdgas erzeugter Wasserstoff
Eine entscheidende Rolle spielt der Preis des grünen Wasserstoffs. Heute ist er noch etwa doppelt so teuer wie aus Erdgas erzeugter Wasserstoff, hieß es kürzlich in einer Studie des Öko-Instituts und der Unternehmensberatung Deloitte. Auch die direkte Einspeisung von Erdgas bringt einen erheblichen Kostenvorteil.
Deshalb geht die Salzgitter AG davon aus, dass zusätzlich zu kleineren Mengen grünen Wasserstoffs vorläufig auch größere Mengen Erdgas in die neue Direktreduktionsanlage strömen werden. Wie schnell sich das Mischungsverhältnis umdreht, ist unklar. Das hängt von vielen Faktoren ab.
Die Bedingungen für die Herstellung grünen Stahls in Deutschland würden besser, sagt Sprecher Reinecke, wenn es hierzulande zum Beispiel „im internationalen Vergleich wettbewerbsfähige Industriestrompreise“ gäbe. Mit anderen Worten: Die Regierung solle den Strompreis für Firmen wie Salzgitter subventionieren. Auch Schutzzölle gegen billigen Stahl aus China könnten helfen – ebenso wie „Leitmärkte für Kohlendioxid-freie Produkte“. Letzteres sind staatliche Vorschriften, dass die Wirtschaft einen bestimmten Anteil grünen Stahls verwenden muss.
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