Klimakrise und Wunsch nach Beständigkeit: Konservatismus wird zur Verheißung
Unwetter und Brände zerstören gerade die südlichen Sehnsuchtsorte der Urlauber. Mit der Klimakrise gibt es keine Kontinuitäten, keine Sicherheiten.
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E s ist nicht mehr banal, übers Wetter zu reden. In unseren Breitengraden pendelte man diesen Sommer zwischen unfassbarer Hitze, klebriger Schwüle und endlosem Regen bis hin zu Unwettern und Überflutungen. Von weiter weg erreichten uns neue, drastische – und leider wohl nicht einmalige – Bilder: Peking, wo Wasserfluten Zivilisationsobjekte wie Autos auf kleine Spielklötzchen reduzieren, die von den Fluten mitgerissen werden.
Und am Mittelmeer: Rhodos, wo Touristen sich in Vagabunden, in Wanderer verwandeln mussten, um sich vor den brennenden Wäldern zu retten. Der Soziologe Zygmunt Bauman hat zwischen Touristen als freiwilligen Vagabunden und Vagabunden als Touristen wider Willen unterschieden. Auf Rhodos verschwand diese Unterscheidung. Mailand, wo sich der Hagel verdichtet hatte und als Eisschollen durch die Straßen trieb.
All diese südlichen Sehnsuchtsorte – ein Inferno aus Wasser, Feuer oder maßloser Hitze. Von Athen bis Sizilien. Sizilien! Hier spielt der Film „Der Leopard“ – jener Film zu dem einen, entscheidenden Satz: „Es muss sich alles ändern, damit alles gleich bleibt.“ Ein Abgesang auf alle geschichtsverändernde Kraft des Handelns. Der Inbegriff des Geschichtspessimismus: Alles Aufbegehren – jede Rebellion, Revolution würde nur in neue Formen der Autorität und der Unterwerfung münden. Die Losung des Konservativismus, die in ihrem Triumphalismus an Trostlosigkeit nicht zu überbieten ist – denn sie setzt auf die Vergeblichkeit allen politischen Handelns.
Und heute? Heute ändert sich alles – und dennoch bleibt dabei nichts gleich. Das ist die Erfahrung eines unwiderruflichen Bruchs. Die Erfahrung dieses Sommers ist, dass die bisherigen Erfahrungen nichts mehr wert sind. Im Sommer ist es im Süden schön? Warm? Lebenswert? Man kann mit nichts mehr rechnen. Die alten Erfahrungswerte, an denen man sein Handeln bisher ausgerichtet hat, gelten nicht mehr: Keine Kontinuitäten. Keine Sicherheiten. Nicht mal mehr Wahrscheinlichkeiten.
Handeln und Planen ist völlig neu zu denken
Selbst der Rahmen der Abweichungen vom Üblichen ist verloren gegangen. Es ist der Einbruch einer neuen Kontingenz – alles kann ganz anders sein als bisher. Handeln – von der Urlaubsplanung bis zur Ausrichtung des Lebens – ist völlig neu zu denken. Es ist ein blindes Handeln. Für den Einzelnen. Sein Wissen, das Alltagswissen verliert an Wert. Es braucht Experten, Spezialisten, die zumindest Richtwerte ausschildern.
Für diese Experten sind die Geschehnisse dieses Sommers keineswegs überraschend. Das bewegt sich alles, so ein Ökologe, „im Rahmen der Vorhersagen“ – denn diese beruhen eben nicht mehr auf den alten Erfahrungswerten. Wir müssen uns neu einstellen – aufs Nichteinstellbare. Auf Temperaturen über 40 Grad, auf mehrere Hitzewellen pro Jahr. Aber auch auf Überflutungen und Unwetter. Ebenso wie auf anhaltende Dürren. Auf Brände von Wäldern und Feldern (selbst wenn diese gelegt sind, so werden sie doch durch ein so genanntes „Feuerwetter“ begünstigt – hohe Temperaturen, übermäßige Trockenheit, Wind).
Bis hin zum schrecklichsten Wort, zum schlimmsten Szenario: der Habitabilität – also der Frage, ob Gegenden noch bewohnbar sind. So ist der Süden, der Mittelmeerraum bereits mutiert: vom Sehnsuchtsort zum „Labor der Veränderung“, wie die Zeit schreibt.
Auch wenn diese Veränderungen Folgen des selbst-, also des menschengemachten Klimawandels sind, so werden sie dennoch als Schicksal erlebt, erfahren. Als Einbruch. An manche Folgen wird sich die Gesellschaft anpassen können. Man wird sein Handeln neu ausrichten. Etwa die Landwirtschaft. Aber: „Es muss sich alles ändern, damit alles gleich bleibt“ – die fatale Losung des Konservativismus – heute wäre sie eine Verheißung!
Neu formuliert wurde sie von einem Gastronomen auf Rhodos, den die Brände um seine Existenz gebracht haben. In der Asche seines Strandrestaurants pflanzt er nun neue Samen ein. Damit es wieder blüht und Früchte trägt. Damit es „wieder so wird, wie es mal war“. Das ist die letzte Version der Hoffnung.
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