Klimadebatte und Emotionalität: Von wegen hysterisch
Der Klimabewegung wird vorgeworfen, zu emotional zu argumentieren. Dabei helfen Gefühle gerade dabei, die Realität der Klimakrise zu begreifen.
N ur mit Unwissen lässt es sich erklären, wenn, wie kürzlich in der FAZ, die Klimadebatte als „zu emotional“ kritisiert wird. 79 Prozent der Beiträge zum Klimawandel in den sozialen Medien zeigen eine ängstliche Haltung, wundert sich der Wirtschaftsredakteur. Und das, obwohl es doch durchaus „wirksame Maßnahmen“ gäbe, wie etwa „Thermostate, mit denen die Raumtemperatur reguliert werden kann, oder eine nachhaltige Geldanlage“. In diesem Beitrag spiegelt sich ein verbreitetes Phänomen wider: dass manche Mitmenschen sich über Klimaangst irritiert zeigen und gleichzeitig auf der Ebene von Kleinstlösungen argumentieren – ein klarer Hinweis, dass sie die Dimensionen der Klimakrise nicht begriffen haben.
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Dabei ist die Klimadebatte nicht „zu emotional“, im Gegenteil: Unsere Gefühle helfen uns, die Klimakrise zu begreifen. Klimaangst, -trauer und -wut sind angemessene Reaktionen auf zutiefst deprimierende und beängstigende Realitäten. Nur wenn wir sie zulassen und anerkennen, kann die Wucht der Klimakrise zu uns durchdringen. Und nur wenn das geschieht, können wir die Kraft finden, eine Klimakatastrophe zu verhindern.
Dafür gibt es auch wissenschaftliche Argumente: Schon länger ist in den Kognitionswissenschaften klar, dass Gefühle unseren Verstand nicht automatisch vernebeln. Im Gegenteil: Emotionen erlauben uns überhaupt erst, reale Bedrohungen zu verstehen und angemessen auf sie zu reagieren. Menschen mit Hirnschäden, die ihre Gefühle nicht mehr als Kompass heranziehen können, treffen entweder schlechte Entscheidungen oder gar keine.
Eine gefühlsgeladene Klimadebatte bedeutet, dass zunehmend mehr Menschen verstanden haben: Die ökologische Katastrophe ist nichts Abstraktes, sondern wird in den nächsten Jahrzehnten massive Auswirkungen auf unsere eigenen Lebenspläne haben. Diese Erkenntnis ist wichtig, um zum Handeln zu kommen. Mit Die-ins, Trauerzügen und emotionalen Reden bieten die Klimabewegung(en) einen Resonanzraum für solche Klimagefühle – und werden dafür häufig medial als hysterisch, überemotional, irrational und realitätsfremd diffamiert. Die Angriffe, die auf Greta Thunbergs emotionale „How dare you“-Rede folgten, dürften noch in guter Erinnerung sein.
ist Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung, lebt in Berlin und engagiert sich bei Extinction Rebellion Deutschland.
Warum wird Klimagefühlen oft kritisch begegnet? Warum werden Trauer, Wut und Angst diskreditiert, oft mithilfe einer fundamentalen Gefühlsskepsis? Die Abwertung von emotionalem Begreifen ist nicht neu, sie wurzelt in der westlichen Denktradition, für die Gefühle und Vernunft lange als Gegensätze galten. Es war jene Denktradition, die in der Geschichte oft blind machte: Sei es für die Gefahren von emotionaler Kälte, die unser Gegenüber entmenschlicht, oder dafür, Ausbeutung und Zerstörung zu rationalisieren und zu verdrängen.
Es ist dieselbe Denktradition, die Frauen als „emotionale Wesen“ klassifizierte und ihnen über Jahrhunderte den Zugang zur politischen Debatte verwehrte. Aber unsere Gesellschaft hat sich weiterentwickelt: Ebenso wie der Ausschluss weiblicher Stimmen ist das Entgegensetzen von Gefühlen und Verstand zwar noch nicht überwunden, stößt aber doch zunehmend auf Kritik.
studierte Soziologie in Hamburg und Freiburg, lebt in Berlin und ist bei Extinction Rebellion Deutschland aktiv.
Anders verhält es sich mit der Gefühlsskepsis, die sich aus Argwohn gegenüber „gefühltem Wissen“ speist. Denn dieser Argwohn ist berechtigt: Vorurteilsbasierte Ängste und Ressentiments können gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nähren. Unreflektierte Intuitionen verfestigen in unserer rassistischen und sexistischen Gesellschaft eben genau diesen Rassismus und Sexismus, wenn wir ihnen nicht entgegenwirken.
Beispielsweise konnte in der Sozialpsychologie mithilfe des impliziten Assoziationstests gezeigt werden, dass unsere eigenen Stereotype uns häufig nicht bewusst sind, sich jedoch trotzdem auf unser Verhalten auswirken.
Gefühle auf ihre Realitätsbasis prüfen
Nur wenn wir herausfinden, welche unbewussten Stereotype wir haben, können wir lernen, unseren emotionalen Reaktionen in bestimmten Situationen zu misstrauen. Und die Versuchung, gefühlsbegründete „alternative Fakten“ einer unschmeichelhaften oder verunsichernden Realität vorzuziehen, kann von Demagogen überall auf der Welt für die eigene politische Agenda ausgenutzt werden.
Ein Blick in die Vereinigten Staaten reicht, um zu verstehen, wie gefährlich solch ein Missbrauch von Gefühlen für unsere Demokratie werden kann. Solche Phänomene beflügeln berechtigterweise den Argwohn gegenüber Gefühlen im politischen Raum.
Nun kann es aber nicht die Lösung sein, die Möglichkeiten des emotionalen Verstehens im Ganzen abzuwerten. Stattdessen sollte es darum gehen, entstehende Gefühle fortwährend zu reflektieren und auf ihre Realitätsbasis zu prüfen: Eine starke emotionale Reaktion auf die eklatante Trantütigkeit unserer Klimapolitik (und die damit in Kauf genommenen Klimafolgen) ist dabei alles andere als blinde Gefühlsduselei. Sie ist mehr als angebracht.
Nicht länger „kalte“ wissenschaftliche Fakten
Die Klimabewegung reagiert nicht überemotional – sie hat es vielmehr geschafft, affektiv zu erfassen, was „kalte“ wissenschaftliche Fakten über den ökologischen Kollaps bedeuten. Was es bedeutet, wenn wir das Pariser Abkommen verfehlen: Hundertmillionen- bis milliardenfaches persönliches, menschliches Leid.
Eine ungeheure Potenzierung aller Krisen, aller Ungerechtigkeiten und aller Ausbeutungsverhältnisse, die sowieso schon existieren und für die wir mit unserer fossilen Emissionsvergangenheit maßgeblich mitverantwortlich sind.
Emotionales Verständnis ist keine Schwäche. Sondern ein Fortschritt, den wir verteidigen sollten, wenn im öffentlichen Diskurs Klimagefühle diskreditiert und im selben Atemzug eine zerstörerische Politik als „vernünftig“ dargestellt wird.
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