Klimadebatte in Deutschland: Die Simulanten
Alle wollen Klimaschutz. Aber wirklich gehandelt wird nicht, denn CDU/CSU haben Umweltpolitik bislang nur vorgetäuscht. Söder könnte das ändern.
W illkommen im Gruselkabinett: Wenn der Weltklimarat (IPCC) heute seinen neuen Sonderbericht zur Landnutzung veröffentlicht, werden einem wieder die Haare zu Berge stehen. Denn auch ohne die Studie im Detail zu kennen, ist klar: Die Erderhitzung bedroht die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen und die Artenvielfalt. Unsere Landwirtschaft gefährdet unsere Lebensgrundlagen. Die Reaktionen auf den Bericht werden ebenso vorhersehbar sein: allgemeines Entsetzen, gefolgt von Mahnungen und Forderungen, jetzt endlich etwas zu ändern. Dann beschließt die Politik Ziele, die möglichst weit in der Zukunft liegen und sehr ambitioniert sind.
Und dann machen wir weiter wie bisher.
In diesem fatalen Dreiklang funktioniert momentan die Klimadebatte in Deutschland. Oder besser: So funktioniert sie nicht. Denn fast alle Fakten, die völlig zu Recht die Menschen verunsichern, sind altbekannt. Die Wissenschaft warnt seit spätestens 2007 vor den Folgen der Klimakrise. Ihre Warnungen werden auch deshalb immer lauter, weil sich das Problem durch jahrzehntelange Untätigkeit immer weiter verschärft. Und Gesellschaft und Politik reagieren nun. Allerdings nicht, indem gehandelt wird. Sondern indem Handeln simuliert wird. Wissen ist Ohnmacht.
Prominentes Beispiel ist die Forderung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, den Klimaschutz ins Grundgesetz zu schreiben. Da steht er allerdings längst – nämlich als Artikel 20a, der den Staat verpflichtet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Wer das will, kann daraus schon heute sehr effektive Umwelt- und Klimagesetze ableiten. Wer das nicht will, hat mit einer solchen Debatte mal wieder Zeit gewonnen, in der sich nichts tut. Söders Strategie riecht deshalb nach Ablenkungsmanöver.
Konkret tut sich kaum etwas
Und alle machen mit. Ein paar heiße Sommer und acht Monate Fridays-for-Future-Demonstrationen haben dazu geführt, dass es in Deutschland sehr viele neue selbst ernannte Klimaschützer*innen gibt. Keine ernst zu nehmende Partei ohne ein mehr oder weniger schlüssiges Klimakonzept. Keine Grillparty ohne Debatte über die Außentemperatur und den Fleischkonsum, kein Unternehmen ohne Hinweis auf seine angeblich grünen Produkte und Bilanzen.
Die Medien entdecken, dass der Klimawandel doch ein Thema ist. Eine Serie jagt die nächste: nachhaltiges Leben, grüne Pioniere, die schlimmsten Folgen des Klimawandels. Irgendwann kommen noch Mikroplastik und Feinstaub dazu. Die haben mit dem Klima nichts zu tun, aber egal.
Konkret tut sich kaum etwas. Eine informierte Debatte darüber, wie die viertgrößte Industrienation der Welt in 30 Jahren aus den fossilen Energien aussteigen kann, liegt in weiter Ferne. Weltweit steigen und steigen die CO2-Emissionen. In Deutschland sind sie 2018 zwar erstmals seit einem Jahrzehnt wieder gesunken, aber vor allem infolge des warmen Wetters.
Gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig sind, stagniert der Ausbau von Wind und Solarkraft. Viel zu wenige Häuser werden gedämmt, viel zu viele SUVs verkauft. Die CDU/CSU – hallo Herr Söder! – hat nichts gegen weitere hochtrabende Ziele, wehrt sich aber gegen konkrete Maßnahmen, um sie zu erreichen. Ist das noch Schizophrenie oder schon Wählertäuschung?
Es braucht echte Lösungen
All das gab es schon einmal: Der grüne Hype, die Schwüre zur Weltrettung prägten vor zehn Jahren die Debatte, als wir auf den Klimagipfel von Kopenhagen zuschlitterten. Dann kamen ein paar andere Krisen, und alles war wieder vergessen. Nur der Klimawandel ging weiter. Noch ein bisschen früher gab es unter Rot-Grün sogar mal einen Plan für einen CO2-Preis, genannt „Öko-Steuer“. Gegen diesen Einsteig in die ökonomische und ökologische Vernunft im Jahr 2000 wütete erfolgreich die „Benzinwut“-Kampagne. Mit dabei: die damalige Oppositionsführerin, eine gewisse Angela Merkel.
Heute kann es den Bremsern von vorgestern nicht schnell genug gehen. Ihr atemloses Geplapper verhindert allerdings eine Verständigung auf echte Lösungen. Ohne viel Aufwand könnte die Parlamentsmehrheit beschließen, dem Rat aller Experten und vieler Nachbarländer zu folgen und einen allgemeinen CO2-Preis einführen. Der Bundestag könnte auch einfach die jährlich etwa 50 Milliarden Euro umweltschädlichen Subventionen streichen, in Ökoenergien, Bahnstrecken und Effizienz investieren oder damit für arme Haushalte höhere Energiepreise abfedern.
Die Regierung könnte in Brüssel darauf dringen, eine EU-Agrarpolitik zu machen, die dem Klimaschutz zumindest nicht frontal widerspricht. Berlin könnte die östlichen EU-Länder mit Geld und guten Worten dazu drängen, das Ziel zu unterstützen, Europa bis 2050 emissionsfrei zu machen. Und die Schülerinnen und Schüler könnten freitags wieder Politik lernen, statt sie in Ermangelung einer Regierung selbst zu machen.
Sind die Sommerlochpläne von Markus Söder (Kohleausstieg bis 2030, Bayern vorn bei Erneuerbaren, Verfassungsänderung) ernst gemeint, dann kann es der CSU-Chef jetzt beweisen: Er kann in der Union einen ordentlichen CO2-Preis durchsetzen. Er kann seine Parteifreunde, Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer – derzeit klimapolitische Rohrkrepierer – zu echtem Klimaschutz verpflichten. Und er kann zusammen mit seinem neuen Freund, dem Grünen Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, eine ökologische Südachse bilden.
Da könnten die beiden ökonomischen Vorzeigeländer Druck für innovative Firmen und zukunftsfähige Jobs machen. Ein Vorbild finden die Bayern in den USA. Aber nicht, wie bislang zu oft, im raubeinigen Ölstaat Texas. Sondern im progressiven Sonnenstaat Kalifornien, der schon immer die US-Bundesregierung in Washington in Klima- und Umweltfragen vor sich hergetrieben hat.
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