Kleiner Parteitag der Grünen: Grünes Licht für die Ampel
Mehrheitlich stimmen die Grünen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP. Mit nur zwei Neinstimmen und einer Enthaltung.
„Wir haben Verluste zu verzeichnen“, sagte Habeck und verwies darauf, dass die Grünen kein Tempolimit durchsetzen konnten und auch keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Dennoch wirbt er darum, den Weg frei zu machen für Ampel-Koalitionsverhandlungen.
Es sei ja dennoch ein „gutes Sondierungspapier“, sagte der Grünen-Vorsitzende und nannte die Errungenschaften: eine Kindergrundsicherung etwa, die Erhöhung des Mindestlohns, ein modernes Einwanderungsrecht bis hin zum Ausbau der erneuerbaren Energien und den früheren Ausstieg aus der Kohle. „Wir muten uns etwas zu, den anderen aber auch“, so Habeck. Die Grünen seien eine „reife Partei“, die nun die Chance habe, Regierungsverantwortung zu tragen und künftig „nicht nur Papier für Parteitage zu schreiben“.
Er griff auch die Kritik auf, dass das Sondierungspapier zu wenig über die Finanzierung nötiger Maßnahmen enthalte. Habeck versicherte, dass alle notwendigen Investitionen gestemmt werden, auch innerhalb der bestehenden Schuldenbremse. Es sei in den Sondierungsgesprächen mehr besprochen worden, als sich im Papier finde. „Die Korridore sind gesetzt, buchstabieren wir es also aus“, sagte er.
Insgesamt war die Stimmung harmonisch bis euphorisch auf dem kleinen Parteitag, auch wenn durchaus ein paar Nachbesserungen gefordert wurden. Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt und selbst Krankenpflegerin, mahnte in Verhandlungen etwa, „die Pflegekrise im Blick zu behalten“. Der Sozialpolitiker Sven Lehmann forderte, dass die Regelsätze steigen müssen und künftig niemand Angst vor Sanktionen haben sollte. Etwas mäkeln konnten alle, aber irgendwie schienen auch alle fröhlich.
Zweimal nein, eine Enthaltung
Scharfe Kritik gab es erst, als Cansin Köktürk aus dem Kreisverband Bochum auf die Bühne trat. Sie habe bei dem Sondierungspapier das Gefühl, „dass die FDP die Bundestagswahl gewonnen“ habe. „Wo“, fragte sie „steht darin die wahrhaftige Bekämpfung von Armut?“. Sie kritisierte, dass keine Bürgerversicherung geplant sei, keine gerechte Steuerpolitik, keine richtige Pflegereform – das klang nach einer echten Absage.
Ganz zum Schluss hielt Annalena Baerbock ihre Rede und warb dennoch gut gelaunt für einen „Aufbruch, der wirklich was verändert“. „Ich glaube, wir spüren eine gemeinsame Lust, das jetzt anzupacken“, sagte sie. In den Koalitionsverhandlungen müsse noch vieles konkretisiert werden: „Das wird noch ein dickes, hartes Brett.“ Aber die Vereinbarungen zum Klimaschutz im Sondierungspapier für eine Ampelkoalition nannte sie einen „echten Erfolg“ der Grünen. Zum Schluss ihrer Rede: Standing Ovations. Keine Gegenrede.
Dann folgte die Abstimmung: Mit großer Mehrheit stimmte der Länderrat der Grünen am Sonntag dafür, gemeinsame Koalitionsgespräche mit SPD und FDP aufzunehmen. Nur eine Enthaltung und zwei Neinstimmen gab es. Aber Revolutionen waren ohnehin nicht zu erwarten. Sehr brav, sehr geschlossen und diszipliniert traten die Grünen bereits im Wahlkampf auf. Und in neuer Harmonie zeigte sich das grüne Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck zuletzt mit dem einstigen politischen Feind namens FDP.
Fridays-for-future-Aktivist Jakob Blasel bezeichnete das Sondierungspapier gegenüber der taz in vielen Punkten als „tragbar“. Er wies aber auf die Finanzierbarkeit von Klimaschutz hin. „Ich sehe einen großen Widerspruch zwischen der angestrebten Finanz- und Klimapolitik“, sagte er. Man sei auf „massive öffentliche Investitionen angewiesen, wenn es zum Beispiel um die Bahn, Gebäudesanierungen und andere Aspekte der Klimaneutralität“ ginge. „Alle verhandelnden Parteien müssen über sich hinauswachsen, damit die nächste Regierung der Klimakrise gerecht wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers