Klausur der schwarz-roten Regierung: 80 Maßnahmen und keine Botschaft
Die Bundesregierung einigt sich auf eine Modernisierungsagenda – vom digitalen Führerschein bis zu KI-Visaverfahren. Doch die Botschaft setzen andere.

Es war das erste Treffen, seitdem die schwarz-rote Regierung im Amt ist, die abschließende Pressekonferenz fiel allerdings kurz aus, weil Merz zum informellen Treffen der europäischen Staatschef:innen nach Kopenhagen musste. Diese tauschen sich noch bis Donnerstag über europäische Rüstung, russische Drohnen und ukrainische Finanznöte aus. Das spiegelte auch die Lage in Tegel ziemlich genau wider: Die außenpolitischen Probleme überlagern die innenpolitischen.
Eine der wichtigsten Botschaften am Rande der Regierungsklausur teilte denn auch Innenminister Alexander Dobrindt eher beiläufig mit: Der Bundeswehr soll es künftig erlaubt sein, im Zuge der Amtshilfe Drohnen im Inland abzuschießen. „Spionage und Sabotage, das sind steigende Bedrohungen, auch wenn sie abstrakt sind und noch nicht sehr konkret“, sagte Dobrindt in der Pressekonferenz. Es gelte also, neue Antworten zu finden, etwa wenn es um das Aufspüren, Abwehren und Abfangen von Drohnen ginge. „Das beinhaltet auch Abschießen.“
Das Bundespolizeigesetz soll überarbeitet werden und Bund und Länder wollen ein gemeinsames Drohnenabwehrzentrum einrichten, um sich gemeinsam zu rüsten. Nicht jede Drohne sei allerdings eine Bedrohung, betonte Dobrindt, vieles sei als Provokation gemeint. Als solche stufte er auch die Drohnenschwärme über dem Großraum Kiel ein.
Klausur überschattet von Zwischenfällen
Merz bemühte sich ebenfalls, die Spannung etwas zu lindern. Deutschland sei nicht im Spannungsfall, betonte er und erteilte damit einem Vorstoß seines Parteifreundes Roderich Kiesewetter eine Absage.
Zuvor hatte Merz die Ergebnisse der Klausur zusammengefasst. Auch diese war überschattet worden: Verkehrsminister Patrick Schnieder war am Dienstagmorgen mit Kreislaufkollaps am Tisch zusammengebrochen, Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer musste wegen eines Todesfalls im Familienkreis abreisen.
Merz versuchte Zuversicht zu verbreiten: Die Arbeitsatmosphäre in der Regierung sei kollegial und man habe sehr konkrete Beschlüsse gefasst, betonte der Kanzler, um im Stile eines Verwaltungsbeamten vom Blatt zu referieren: Zentralisierung der Portale für internetbasierte Fahrzeugzulassung im Kraftfahrzeugbundesamt, Automatisierung von Visumverfahren und die Modernisierung des Dienstrechtes.
Kurz gesagt: Der Staat will kräftig Bürokratie abbauen, vieles, was bisher analog und dezentral beantragt werden musste, wie der Führerschein, soll künftig einheitlich und digital möglich sein. Eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung, die im Hause von Digitalminister Karsten Wildberger verfasst und am Mittwoch beschlossen wurde, enthält rund 80 Einzelmaßnahmen und verspricht Einsparungen in Höhe von 16 Milliarden Euro durch Bürokratieabbau.
Die Suche nach der Botschaft
Die EU arbeitet außerdem an einer elektronischen Brieftasche, mit der Menschen vom Führerschein bis zum Rentenausweis alles auf ihrem Handy haben. Irgendwann werden all diese kleinteiligen Beschlüsse und Projekte das Leben der Menschen wahrscheinlich enorm erleichtern – Stoff für eine größere Erzählung bieten sie aktuell aber noch nicht.
Der rhetorische Stilbruch bei Merz vom schneidigen Ankündiger zum detailversessenen Referenten war beachtlich. Vom Herbst der Reformen war jedenfalls nicht mehr die Rede, stattdessen klang Merz schon fast wie sein Vorgänger Olaf Scholz, den er mal höhnisch als „Klempner“ bezeichnet hatte.
Vizekanzler Lars Klingbeil wagte ein wenig mehr Emotion: „Es hat Spaß gemacht, aber es war auch effektiv“, so das Fazit des SPD-Vorsitzenden. Es gebe aber keinen Grund, sich zurückzulehnen. „Der Status quo ist unser Gegner“, es brauche die Bereitschaft, maßgebliche Veränderungen herbeizuführen. Das war wohl einerseits ein Nachhall vom Vortag, als der eingeladene Princeton-Professor Marcus Brunnermeier den Regierungsmitgliedern ins Gewissen redete. Das bisherige deutsche Erfolgsmodell, nämlich Prozesse und Produkte zu verfeinern, sei kein Modell für die Zukunft. Es brauche mehr Mut zur Beweglichkeit.
Klingbeils Appell könnte aber auch an die eigenen Parteifreunde gerichtet sein. Denn die großen Veränderungen, darunter die Reform des Sozialstaates, um diesen demografiefest zu machen, muss die Regierung noch angehen. Die Themen Pflege, Rente und Arbeit, bei denen im Herbst und zu Beginn des kommenden Jahres erste Entscheidungen fallen sollen, werden wohl sowohl die Nerven der Sozialdemokraten als auch die kollegiale Atmosphäre in der Koalition noch gewaltig strapazieren.
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