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Klagen gegen Freizeit-ShutdownSchlechte Aussichten vor Gericht

Die Schließung von Kneipen und Freizeiteinrichtungen könnte zu einer Klagewelle führen. Doch die Chancen auf gerichtliche Hilfe dürften gering sein.

Am Montag beginnt der Freizeit-Shutdown, auch Kneipen sollen dicht machen Foto: Sabine Gudath/imago-images

KARLSRUHE taz | Am Montag beginnt der Freizeit-Shutdown: Gastronomie, Kultureinrichtungen und Wellness-Angebote sollen für vier Wochen dicht machen. Viele Betroffene sind empört und drohen mit Klagen. Doch anders als in den letzten Wochen dürften sich Gerichte nun eher zurückhalten.

Gewiss: Die Zahl der erfolgreichen Klagen gegen Corona-Maßnahmen war in den letzten Wochen ungewöhnlich hoch. Vor allem Beherbergungsverbote für Gäste aus inländischen Risikogebieten wurden reihenweise von Verwaltungsgerichten gekippt. Auch Sperrstunden für die Gastronomie wurden mehrfach von Gerichten beanstandet. Für Betroffene liegt der Impuls nahe, nun erst recht gegen den Shutdown ihrer ganzen Branche zu klagen.

Aber die Konstellation ist nun eine andere oder wird zumindest so dargestellt. In den letzten Wochen verwiesen die Gerichte oft auf das Robert-Koch-Institut (RKI), das vor allem private Feiern als Treiber der Pandemie ausmachte – während Hotels und Gaststätten hierzu wenig beitrügen.

Bei 75 Prozent der Fälle ist der Infektionsort unklar

Nachdem das RKI von Seiten mancher Länder gerüffelt wurde, betont es aber inzwischen, dass man in 75 Prozent der Fälle gar nicht wisse, wo und wie sich jemand infiziert hatte. Damit ist jeder Branche die Behauptung erschwert, dass sie nur unwesentlich für das Steigen der Fallzahlen verantwortlich sei. Kurz: Man weiß es eben nicht.

taz am wochenende

Die Politökonomin Maja Göpel hat mit „Unsere Welt neu denken“ einen Besteller geschrieben. Wir haben mit ihr über mögliche Zukünfte, das Befreiende von Verboten und eine Kindheit unter Hippies gesprochen – in der taz am wochenende vom 31. Oktober/1. November. Außerdem: Ein Blick auf die letzten Tage vor der US-Präsidentschaftswahl. Und: Das Wichtigste zum Corona-Teil-Lockdown. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Außerdem wird der Freizeit-Shutdown nun als kohärentes Gesamt-Konzept dargestellt, mit dem ein klar definiertes Ziel erreicht werden soll. 75 Prozent der Kontakte sollen reduziert werden, um die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 neuen Fälle pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zu bringen. Wenn es um ein Gesamtkonzept geht, werden die Gerichte einzelne Maßnahmen vermutlich weniger streng prüfen, solange sie einen nennenswerten Beitrag zum Gesamtkonzept leisten können.

Es genügt dann auch nicht, wenn Gaststätten und Konzertveranstalter auf ihre klug ausgetüftelten Hygiene-Konzepte verweisen. Die Infektionszahlen haben sich nun mal trotz der Hygienekonzepte binnen Wochenfrist jeweils verdoppelt. Die Politik, die ja auch Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung hat, muss also etwas tun. Wenn sie dabei entscheidet, dass sie auf die Schließung von Schulen, Kitas, Handel und Wirtschaft möglichst verzichten will, so gibt es dafür gute sachliche Gründe. Es liegt dann keine rechtswidrige Ungleichbehandlung vor.

Friseure dürfen offen bleiben, Kosmetiksalons aber nicht

Probleme mit der Gleichbehandlung kann es allenfalls in Detailfragen geben: Warum müssen Kosmetiksalons schließen, während FriseurInnen diesmal weiterarbeiten dürfen? Doch ein Erfolg vor Gericht müsste nicht zwingend zur Öffnung der Kosmetik-Angebote führen, sondern könnte auch die Schließung der Friseursalons zur Folge haben.

Natürlich geht es bei allem auch ums Geld. Viele Betriebe sind schon durch die letzten Monate stark gebeutelt. Allerdings hat der Staat diesmal einen großzügigen Ausgleich versprochen. Bei Unternehmen bis 50 MitarbeiterInnen sollen bis zu 75 Prozent des Umsatzes vom November 2019 als Entschädigung ausgezahlt werden. Das ist in vielen Fällen vielleicht sogar mehr als bei geöffnetem Betrieb hätte erwirtschaftet werden können.

Schließlich sind die meisten Kunden derzeit deutlich zurückhaltender als vor der Pandemie. Wenn das Geld fair verteilt wird, haben Entschädigungsklagen also kaum eine Chance. Vielleicht ärgern sich sogar die FriseurInnen, dass sie mit großen Verlusten weiterarbeiten müssen, während die KosmetikerInnen fürs Schließen des Salons 75 Prozent Entschädigung erhalten.

Maßstab ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit

Noch sind das aber alles Spekulationen. Die Absichtserklärung der MinisterpräsidentInnen vom vorigen Mittwoch müssen erst in Rechtsverordnungen der Bundesländer umgesetzt werden. Erst gegen diese kann dann geklagt werden. Zuständig sind in der Regel die Verwaltungsgerichte der Länder. Ihr Maßstab ist angesichts der weiten Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz vor allem das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das für jedes staatliche Handeln gilt.

Es geht also um eine Abwägung zwischen dem Nutzen, der erzielt werden kann und dem Schaden, der dabei angerichtet wird. Die Abwägung kann also von Woche zu Woche anders ausfallen. Je höher die Infektionszahlen und je gefährdeter das Gesundheitssystem, um so tiefere Eingriffe kann der Staat den BürgerInnen und Unternehmen zumuten.

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4 Kommentare

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  • Diese Argumentation dürfte nach hinten los gehen. Zu sagen wir wissen es nicht, daher schließen wir lieber grob, reicht nicht aus. Nicht derjenige, der jetzt zu machen soll, muss belegen, dass man sich bei ihm kaum ansteckt, sondern der Staat muss belegen dass es so ist. Und wenn der Staat es in 75% nicht weiß, dann kann er es auch nicht belegen.

  • 1G
    15797 (Profil gelöscht)

    Man könnte aber auch der Regierung vorwerfen, das diese 75% Dunkelziffer mit Absicht geschaffen wurde, um die Gerichte zu beeinflussen und /oder sogar, beweisen, das die Kontakte Nachverfolgung schon vorher sehr unzureichend war.



    Menschen wurden ja offensichtlich ohne jeden weiteren Kontakt zu Behörden schon davor in Quarantäne geschickt.

    • @15797 (Profil gelöscht):

      Genau. Die böse Regierung erfindet für ihre dunklen Machenschaften Dunkelziffern. Aus Vuetnam haben Sie das natürlich alles im Blick.

      So wie in Vietnam, wo alle Personen, die sich einem der Orte aufhielten, an dem eine positiv getestet Person sich aufhielt, und die, die mit diesen "Kontaktpersonen" Kontakt hatten, für zwei Wochen entweder zu Hause oder in einer staatlichen Einrichtung isoliert wird - wo man wie gewünscht am besten nicht mal den Mund aufmacht - würde es in Deutschland aus mehreren Gründen nicht funktionieren, hauptsächlich aber:



      1. Demokratie mit Datenschutz und Rechtsstaat statt Diktatur.



      2. Individualismus mit teilweise stark egoistischen Individuen statt Kollektivismus.

      Sie können in Krisen natürlich autoritäre Systeme loben und demokratische Strukturen kritisieren, aber nach der Krise leben Sie weiter in einer Diktatur, während wir zurück in einer freiheitlichen - teilweise wohlstandsverwöhnten - Gesellschaft leben. Sollten Teile der Solidarität asiatischer Kulturen bei uns Einzug finden? Definitiv. Aber nicht im vollen Umfang; insbesondere was den ungesund übertriebenen Respekt vor Älteren angeht.

      • @Devil's Advocate:

        Aber Herr Schutze tritt eben nicht für Diktatur ein, sondern ihn irritiert, ebensowie mich, dass die Länder das wissenschaftliche (und damit zur Unabhängigkeit verpflichtete) Institut RKI 'rüffeln', weil die Aussagen nicht genehm sind. Gestern hörte ich ähnlich auf servus Tv Corona Quartett, dass auf einer Pressekonferenz Journalisten 'angewiesen' wurden, die Regierungshaltung als Grundlage der Information zu nehmen. Natürlich gibt es dazu keine Befugnis, aber allein der Versuch zeigt, dass hinsichtlich demokratischer Umgangsformen zur Zeit etwas im Argen liegt.



        In einer Demokratie ist selbstverständlich auch richtig, was Herr Stücker sagt, der Staat muss Freiheitseinschränkungen im Einzelfall! begründen, nicht die Betroffenen den 'Verzicht' des Staates auf Freiheitseinschränkungen. Der Staat ist auch nicht vergleichbar mit einem Erziehungsberechtigten mit Fürsorgepflicht.



        Eine große Anzahl von Bürgern weiss sehr gut, wie sie ihr Immunsystem in Schuss hält, u.a. in Fitnesscentern.