Klage gegen Abschiebung: Gefährder oder Sprücheklopfer?

Niedersachsen will Ahmet K. abschieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat Zweifel daran, dass der 29-Jährige aus Göttingen gefährlich ist.

Flugzeug auf einem Rollfedl von vorne

Auch bei neuer Gesetzeslage: Nicht jedes Problem lässt sich einfach ausfliegen Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Ist Ahmet K. ein islamistischer Gefährder oder ein Krimineller, den das Land Niedersachsen mit unlauteren Mitteln loswerden will? Mit dieser Frage wird sich am Dienstag das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig befassen.

Am 5. April 2019 hatte das Ministerium die Abschiebung des damals 28 Jahre alten türkischen Staatsangehörigen Ahmet K. verfügt. Dieser klagte daraufhin gegen das Land Niedersachsen. Und die Chancen scheinen gut zu stehen, dass der Göttinger mit seiner Klage Erfolg haben könnte.

2017 schob das Land Niedersachsen bereits zwei mutmaßliche islamistische Gefährder aus Göttingen in ihre Heimatländer Algerien und Nigeria ab. Das Innenministerium machte damit von einer Regelung im Ausländerrecht Gebrauch, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen wurde. Der Paragraf 58a ermöglicht es den obersten Länderbehörden, AusländerInnen ohne vorherigen Ausweisungsbescheid abzuschieben, wenn von ihnen eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht oder gar eine terroristische Gefahr droht.

Das in diesen Fällen als einzige Gerichtsinstanz zugelassene Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte die Rechtmäßigkeit der beiden Abschiebungen bestätigt. Im Fall von Ahmet K. könnte Niedersachsen mit einem solchen Vorgehen nun aber scheitern.

Das niedersächsische Innenministerium hatte die Abschiebungsanordnung gegen K. damit begründet, dass es sich bei dem in Deutschland geborenen Mann um einen radikalisierten Islamisten und Gefährder handele. Zwar sei den Behörden aktuell noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt. Doch rechtfertigten tatsächliche Anhaltspunkte die Prognose, dass K. eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik darstelle.

(1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht.

Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG), § 58a

Es sei davon auszugehen, argumentierte das Ministerium, dass Ahmet K. nicht nur eine radikal-religiöse Einstellung habe, sondern mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ und deren Märtyrer-Ideologie sympathisiere. Er habe sich in hohem Maße mit einer militanten und gewaltbereiten Auslegung des Islams identifiziert und halte den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung seiner islamistischen Auffassung für gerechtfertigt. Grundlage für die Prognose sind vor allem abgehörte Telefonate.

K. wehrte sich juristisch gegen die Abschiebeanordnung. Von ihm gehe weder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung noch für einzelne Personen aus, argumentiert er in seiner Klage. Er habe lediglich versucht, mit durch den Islam inspirierten Motiven und Aussagen die Anerkennung bestimmter Personen zu erlangen. Dieses „Schocken“ mit Angeberei über Waffen und Gewalt, wie er in seiner Klage schrieb, sei in Rockerkreisen üblich.

Tatsächlich beschreiben Bekannte K. gegenüber der taz „nicht unbedingt als Sympathieträger“. Er gilt als Sprücheklopfer – und hat in der Vergangenheit bereits mehrere Straftaten begangen, etwa Körperverletzungen und Betrugsdelikte. Eine Verwandte äußerte durchaus Verständnis dafür, wenn Deutschland einen vorbestraften Mann loswerden wolle.

Sie bezweifelt aber, dass er ein Gesinnungstäter ist. K. selbst betont, er sei weit davon entfernt, ein Sympathisant des Islamismus oder Salafismus zu sein. Er habe in Göttingen schlicht die falschen Freunde gefunden, seine wahre Bezugsgruppe sei für ihn aber die Familie.

In einem Eilverfahren Ende Juni gab der 1. Senat des Leipziger Gerichts der Klage statt. Ahmet K. durfte also zunächst nicht abgeschoben werden. Die vom Innenministerium angeführten Erkenntnisse belegten nicht hinreichend, dass von K. tatsächlich eine konkrete Gefahr ausgehe, so das Urteil. Ebenso sei nicht ausreichend zu belegen, dass K.s Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus „nach Intensität und Nachhaltigkeit bereits einen Grad erreicht“ habe, der die Prognose rechtfertige, dass bei dem „im Grundsatz gewaltbereiten Antragsteller“ ein beachtliches Risiko im Sinne des Paragrafen 58a bestehe.

Somit, entschied das Gericht, bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Gleichzeitig verfügte der 1. Senat, dass K. aus der vom Amtsgericht Hannover angeordneten Sicherungshaft entlassen werden musste. Sein Pass wurde aber eingezogen. Er hat zur Auflage, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden, und darf Göttingen nicht ohne behördliche Genehmigung verlassen.

Zweifel an der Darstellung des Ministeriums sollen sich laut K.s Anwalt Stanley König auch aus einem Gutachten des Bundeskriminalamts ergeben. „Der Risikoanalysebericht des BKA kommt zu dem Schluss, dass zwischen meinem Mandanten Ahmet K. und einer fundamentalistischen islamistischen Szene keine Verbindung herzustellen ist“, wird König vom NDR zitiert.

Gegenüber der taz wollte der Anwalt lediglich die Existenz eines solchen Gutachtens bestätigen. Was genau drinstehe, werde erst am Dienstag bei der Verhandlung in Leipzig bekannt gemacht.

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