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Kirchenasyl in BremenAb jetzt wird wieder abgeschoben

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) will wieder aus dem Kirchenasyl abschieben lassen. Die Kirchengemeinden kündigen Widerstand an.

„Space as an invitation to stay“, Raum als Einladung zum Bleiben, hieß das Kunstprojekt in dieser Bremerhavener Kirche Foto: Sina Schuldt / dpa

Bremen taz | Bis Ende Januar würde niemand abgeschoben, der in einer Bremer Kirchengemeinde Schutz vor Abschiebung gesucht hat. Das hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) kurz vor Weihnachten per Pressemitteilung zugesagt; überschrieben war diese mit „Innensenator Mäurer und evangelische Kirchen verständigen sich zum Kirchenasyl“.

Das Moratorium war vorläufiger Schlusspunkt einer Auseinandersetzung um das Kirchenasyl im Land Bremen. „In dieser Zeit sollen weitere, notwendige Klärungen erfolgen. Dazu gehört, feste Kriterien für ‚Härtefälle‘ und 'unzumutbare Härten“ abzustimmen und festzulegen“, hatte es weiter in der Pressemitteilung geheißen.

Allein: Die ebenfalls angekündigten Gespräche mit den betroffenen Kirchengemeinden haben nicht stattgefunden, „feste Kriterien“ sind nicht festgelegt worden. Letzteres ist auch schwer möglich, weil zum einen das Bundesamt für Migration (Bamf) darüber entscheidet, wer als Härtefall in Deutschland bleiben darf – und nicht die Bremer Ausländerbehörde und ihr Dienstherr, der Innensenator. Zum anderen nehmen Kirchengemeinden Menschen auf, weil das Bamf ihnen unzumutbare Härten abspricht – die Gemeinden das aber anders sehen.

Trotz der fehlenden Klärung wird Bremen jetzt wieder Menschen aus dem Kirchenasyl abschieben. Das teilte ein Sprecher des Innensenators auf Nachfrage mit. Und zwar dann, wenn das Bamf im ­sogenannten Dossierverfahren auf Bitten der Kirchengemeinden den Fall erneut geprüft hat und weiter keine Härten erkennen kann. Dies ist nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche fast immer das Ergebnis der Prüfung.

Kirchenasyl ist illegal

„Sollte es zu Fällen kommen, in denen Personen auch nach dem Dossierverfahren in den Gemeinderäumen bleiben, muss die Gemeinde auch mit einer Überstellung aus diesen Räumen rechnen“, schreibt der Sprecher des Innensenators in einer Mail. Und: „Das wird jeweils eine Einzelfallentscheidung sein.“

Er schreibt auch von „Recht und Gesetz“, an die sich alle Beteiligten halten müssten, sowie von zu befolgenden Regeln, damit es keine Abschiebeversuche mehr aus Gemeinderäumen wie Anfang Dezember gibt. Damals sollte ein junger Somalier nach Finnland abgeschoben werden; er hatte Angst, von dort nach Russland und dann in sein Herkunftsland gebracht zu werden. De­mons­tran­t:in­nen hatten den Polizeieinsatz in einer Kirche im Bremer Süden so behindert, dass er abgebrochen wurde.

Doch worin genau Regeln, Recht und Gesetz bestehen sollen, kann der Sprecher nicht sagen. Kein Wunder, denn es gibt keinen Rechtsrahmen, in dem sich das Kirchenasyl bewegt. Auch mit den Regeln ist es so eine Sache. 2015 hatten sich Ver­tre­te­r:in­nen der beiden christlichen Kirchen in Deutschland mit dem Bamf auf eine bessere Zusammenarbeit geeinigt.

Ein Bestandteil ist nach einem Protokoll der Gespräche „ein zentrales Postfach“ für „die Prüffälle in Form von Dossiers“, die das Bamf bearbeiten soll. Anders als vom Bremer Innensenator und Amts­kol­le­g:in­nen in anderen Bundesländern behauptet, enthält die Einigung keinen Passus darüber, was passiert, wenn das Bamf bei seiner ersten Einschätzung bleibt.

Sprunghafter Anstieg der Fallzahlen

Doch solange das Bamf weiter reihenweise „die Dossiers ohne näheres Eingehen auf den Einzelfall“ ablehne, würden die Bremer Kirchengemeinden die Kirchenasyle weiterhin so lange aufrecht erhalten, wie sie es für richtig erachten. Das teilte am Mittwoch der Verein Zuflucht mit, der in der Stadt Bremen die Kirchenasyle koordiniert. Weiter heißt es in einer Erklärung, der Verein erhoffe sich „für Bremen eine Rückkehr zum konstruktiven Miteinander von staatlichen und kirchlichen Stellen, wie es bis November 2024 praktiziert wurde“.

Bis dahin hatte der Innensenator toleriert, dass in den letzten Jahren im Land Bremen überdurchschnittlich viele Geflüchtete Zuflucht in Kirchengemeinden gefunden hatten. Mäurers Position hatte sich erst im letzten Jahr geändert, nachdem die Bremer Fallzahlen infolge der stärkeren Abschiebebemühungen Deutschlands noch einmal deutlich angestiegen waren. Laut Innensenator waren es im Jahr 2021 16 Fälle, 2022 30 und 2023 schon 90 Fälle, in der Mehrzahl handelte es sich dabei um Einzelpersonen. Im vergangenen Jahr seien es bis einschließlich Oktober 202 Fälle gewesen.

Dabei lag dieser neuerliche sprunghafte Anstieg vor allem daran, dass Bremerhavener Gemeinden sehr viele Geflüchtete aufgenommen hatten. Etwa 100 Fälle sollen es dort bis Dezember gewesen sein – das hatte die Hannoversche Landeskirche der taz mitgeteilt, zu der die Bremerhavener Gemeinden gehören. Für die Stadt Bremen gab der Verein Zuflucht 125 für das ganze Jahr 2024 an.

Sowohl die Bremer als auch die Bremerhavener Gemeinden nehmen jetzt nur noch wenige Geflüchtete auf und vor allem kaum noch aus anderen Bundesländern – das hatte der Bremer Innensenator gefordert. Aktuell leben in der Stadt Bremen zwölf Menschen aus Somalia, Afghanistan und Syrien im Kirchenasyl. Sie sollen in verschiedene andere europäische Länder „überstellt“ werden, wie es die Dublin-Verordnung vorsieht.

Danach müssen Geflüchtete in dem Land Asyl beantragen, in dem sie zuerst als Einreisende registriert wurden. Halten sie sich mehr als sechs Monate in Deutschland auf, können sie hier Asyl beantragen. Um diese Frist verstreichen zu lassen, gewährt ein Bruchteil der Kirchengemeinden in Deutschland den vorübergehenden Schutz vor Abschiebung.

Auch in Bremerhaven seien es in allen vier Gemeinden mit aktuell neun Fällen deutlich weniger bisher, sagte am Donnerstag Sebastian Ritter von der Johannesgemeinde. Nicht nur wegen des Drucks des Innensenators: „Es war auch für uns zu viel, das ging über meine Kraft hinaus.“ Im Sommer hätten täglich 20 Leute bei ihm geklingelt. Er konnte so gut wie niemand aufnehmen. „Aber sie haben gesagt, ich sei der Erste, der sich ihre Geschichte angehört habe.“

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9 Kommentare

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  • Das Kirchenasyl ist eine wichtige Errungenschaft für Schutzsuchende und es ist leider weiterhin in diesem Ausmaß notwendig solange das BAMF immer noch veralteten Strukturen nachhängt.

    Noch immer gibt es die Trennung von anhörender und entscheidender Person beim Bundesamt, ersetzen Textbausteine die persönlichen Ausführungen etc.

    Dementsprechend hoch ist die Fehlerquote bei den ablehnenden Asylentscheidungen.

    Etwa ein Drittel aller Flüchtlinge, die gegen die Ablehnung ihres Asylantrags klagen, hat bei inhaltlicher Prüfung durch die Verwaltungsgerichte Erfolg.

    Kritik an den internen Strukturen des BAMF gibt es seit längerer Zeit. Besonders vom Bund Deutscher Verwaltungsrichter. Dessen Vorsitzender Robert Seegmüller kritisiert seit langem, dass das BAMF seine Hausaufgaben nicht vernünftig erledige und strittige Entscheidungen gerne auf die Gerichte abwälze statt fehlerhafte Bescheide in Eigenkorrektur zu berichtigen.

    Daher verwundert es auch nicht sonderlich, das besonders beim Dublin Verfahren das BAMF oftmals eine sehr hinterfragenswerte Ansicht vertritt bzw eine ganz spezifische Auffassung davon hat, was unter einem Härtefall zu verstehen ist.

  • Nach Einhaltung des Rechts muss man in dieser Republik nur rufen, wenn es eigenen politischen Interessen dient!



    Ihr solltet einmal die Reaktion dieser nach A 14 bezahlten Pastoren sehen, wenn ihr die Kirchensteuer nicht zahlt! Dann wird nach Einhaltung von Recht geschrien!

  • Asylrecht ist auch, dass jemand, dessen Asylantrag rechtsgültig abgelehnt ist, das Land verlässt. Punkt.



    Wenn Kirchen meinen, sich über gültiges Recht hinwegsetzen zu können, sollten sie auch alle Kosten übernehmen, die für diese Migranten entstehen, und wenn es lebenslang ist.



    Zudem ich nicht sehe, was an Abschiebungen nach Finnland oder Spanien so schlimm ist.

  • Jede Abschiebung beruht auf einem weltlichem Gesetz. Jeder Widerspruch wurde von einem weltlichem Gericht geprüft. Eine kleine Bremer Kirchengemeinde ermächtigt sich selbst ihr "Kirchenrecht" sowie ihre eigene Rechtsprechung über staatliche Gesetze und Gerichte zu stellen. Aber nur so weit es ihnen genehm ist. Sobald z.B. staatliche Rücküberführungsfristen abgelaufen sind, verlassen sie sich darauf, daß die Allgemeinheit gesetzlich verpflichtet ist, den Schutzbefohlenen weiter zu versorgen. Das hat schon etwas pharisäerhaftes.







    Warum wurden die Entscheidungen von Scharia-Gerichten bisher nicht akzeptiert? Wenn es keine Diskriminierung nach Relegion geben darf, müssen religiöse Gruppierungen gleich behandelt werden.

  • Wenn jemand (und das gilt auch für die Kirchengemeinden) eine rechtlich einwandfreie Abschiebung verhindert, sollte er auch für die Folgen, insbesondere was die Kosten angeht, aufkommen. Bisher machen sich die Kirchen und Vereine einen schlanken Fuß, verzögern die Verfahren, bis die 6-Monats-Grenze gerissen ist, und überlassen dann dem Staat (sprich der Gesellschaft allgemein, den Kommunen, Ländern und dem Bund) die weiteren Aufgaben und Kosten.

    • @Offebacher:

      Die bezahlten ja nicht einmal ihre Pastoren selbst. Das sind alles Beamte mit hoher Besoldungsstufe.

      Die einzigen Beamten die offenbar ganz offen gegen den Staat arbeiten dürfen.

      • @Rikard Dobos:

        Das hat seine Berechtigung im Reichsdeputationshauptschluss von 1803. V

        Von der Säkularisierung mit der Enteignung der kirchlichen Ländereien profitiert der Staat und auch seine Bevölkerung bis heute.

        Die geschätzten Zahlungen der Länder von jährlich fast 600 Millionen sind ein im Verhältnis angemessener Ausgleich für den Landverzicht.

        Kleiner Zusatz: Hanseatische Kirchen haben im Laufe ihrer Geschichte Wert auf Unabhängigkeit gelegt. Früher von dem Bischof, heute von der Landesverwaltung. Daher sind die Pfarrer der evangelischen Gemeinden in Hamburg und Bremen keine Kirchenbeamte und bekommen ihr Gehalt dementsprechend auch nicht vom Staat.

  • Erstaunlich, dass „Recht und Gesetz“ näher erklärt werden muss. Wenn das Bamf einen Fall nochmals prüft und erneut ablehnt, dann ist dieser Fall erledigt. Wenn sich dann die Kirchgemeinden immer noch nicht daran halten, dann muss im Interesse des Rechtsfriedens vollzogen werden.

  • Wenn die Kirchen die Menschen unterbringen und alle Versorgung und Kosten übernehmen für die nächsten Jahrzehnte und auch alle Kosten die durch eventuelle Straftaten anfallen dürfen sie gerne Kirchenasyl gewähren.