Kinostart „Der Teufelsgeiger“: Geiler Geiger

David Garrett inszeniert sich als Rebell, der ein Massenpublikum mit Rock-Hits an die Klassik heranführen will. Nun spielt er Paganini – und sich selbst.

David Garrett als Niccolò Paganini in „Der Teufelsgeiger“. Bild: dpa / Universum Film GmbH

Der Škoda hatte stets gute Dienste geleistet. Nie hatte er gemuckt oder gar gestreikt, brav war er überall hingefahren. Erst an diesem Sommertag, auf dem Weg in die Waldbühne, entschied er sich, zu dramatischen Mitteln zu greifen. Der Motor begann zu qualmen, Flammen stießen durch die Lüftungsschlitze, bis er am Straßenrand eine Pause bekam.

Die Temperaturen an diesem strahlenden Sonnentag hatten zu einer Überhitzung des in Ehren ergrauten Wagens geführt. Spötter allerdings merkten an, der gute alte Škoda habe sich sich zu sehr darüber aufgeregt, seine Insassen zu David Garrett kutschieren zu müssen.

Damit wäre der Škoda einer Meinung mit der einen Hälfte Deutschlands und der anderen Hälfte auch. Die eine hasst den Geiger dafür, dass er sein Talent für die klassische Musik an die Populärkultur verschwendet. Die andere verachtet ihn dafür, dass er sich an der Rockmusik vergreift.

Der Violinist kam am 4. September 1980 als David Christian Bongartz in Aachen zu Welt. Garrett ist der Mädchenname seiner Mutter, einer amerikanischen Primaballerina

Mit drei Jahren bekam er seine erste Violine, mit fünf gewann er einen Preis im Wettbewerb Jugend musiziert, mit zwölf schloss er den ersten Plattenvertrag ab.

Mit 19 Jahren ließ Garrett den Klassikbetrieb hinter sich und zog nach New York.

Die Frage ist nur: Wo kommen die Zehntausenden her, die in seine Konzerte gehen? Woher die Millionen, die seine Platten kaufen? Und woher jene sicher auch wieder zahlreichen, die nun ein Kino aufsuchen werden, um „Der Teufelsgeiger“ zu sehen, den ersten Film, in dem sich David Garrett als Schauspieler versucht?

Garrett spielt in „Der Teufelsgeiger“ Niccolò Paganini. Aber eigentlich spielt Garrett sich selbst. Zu offensichtlich sind die Parallelen in den Lebensgeschichten zwischen dem italienischen Musiker und Komponisten, der von 1782 bis 1840 gelebt hat, und dem 1980 in Aachen geborenen Garrett.

Beide waren hochtalentierte Wunderkinder, geformt von zu ehrgeizigen Vätern, beide gingen später das Wagnis ein, die eingetretenen Pfade der Musikvermarktung zu verlassen: Paganini ließ die Abhängigkeit des Mäzenatentums hinter sich und spielte sich auf eigene Rechnung durch Europa, Garrett verließ den Klassikbetrieb und füllt mit seiner elektrisch verstärkten Geige und einem Crossover zwischen Klassik und Rock die großen Hallen. Beide begannen als geschätzte Virtuosen, bevor sie sich in Zirkuspferde verwandelten.

Groupies und Millionen

Der Film porträtiert Paganini als ersten Rockstar der Musikgeschichte. Der lange schwarze Mantel, die runde Brille und die feisten Koteletten entsprechen zwar dem historischen Bildnissen von Paganini, aber Garrett wirkt in diesem Aufzug trotzdem nicht wie eine Figur des frühen 19. Jahrhunderts, sondern eher, als sei er gerade mit Led Zeppelin auf Tour. Vor der Bühne kreischen die Teenager, hinter der Bühne warten die Groupies, neben der Bühne zählen gierige Manager die Millionen.

Dass der Film schauerlich missglückt ist, liegt überraschenderweise nicht am Neuschauspieler Garrett. Dessen darstellerisches Vermögen fällt kaum ab im Vergleich zu den Profikollegen wie Veronica Ferres, die den erschreckend leblosen Film koproduziert hat. Garrett gibt sich redlich Mühe, mit seinem Schlafzimmerblick den legendären Womanizer darzustellen – und ähnlich gut Geige spielen wie sein Vorbild kann er ja. Bis vor Kurzem stand Garrett noch im Guiness-Buch der Rekorde als schnellster Interpret des „Hummelflugs“. Derartige populistische Meriten hätten sicherlich auch Paganini gefallen.

Das ist es, was schlussendlich Paganini zum Verhängnis wurde und Garrett zum am meisten verachteten Mann im Showgeschäft macht: die Kunst zugunsten des Populismus aufgegeben zu haben. Paganini starb, gezeichnet vom Konzertstress und den Drogen, verarmt und beinahe vergessen, ein frühes Opfer von Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll. Übrig geblieben sind nur wenige seiner Kompositionen, vor allem aber seine Reputation als geiler Geiger, dessen Spiel so exaltiert war, dass sein Publikum einen Pakt mit dem Teufel vermutete.

Zwischen den Stühlen

Garrett wiederum sagte sich los aus dem einengenden Klassikbetrieb, wollte seine fremdbestimmte Kindheit hinter sich lassen und landetet aber bloß zwischen den Stühlen. „Seine Kritiker“, so postulierte es erst unlängst wieder die Ansagerin in der ZDF-Kultursendung „aspekte“, „nehmen ihm die Bandbreite seines Geschmacks übel.“

Auf der anderen Seite nimmt ihn die Popklientel nicht ernst, weil er bloß Gassenhauer von Coldplay über AC/DC oder Guns ’n’ Roses bis zu Nirvana mit Orchesterklängen ausstopft, als seien sie tot geschossene Jagdtrophäen. Die hängen dann an den Wänden seiner Wohnungen in New York und Berlin, die ansonsten kaum eingerichtet sind, weil der Geiger zu dreihundert Auftritten im Jahr reist und deshalb nur sehr selten zu Hause ist.

Der Crossover selbst ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass Garrett keine künstlerische Idee hat, was sein Crossover soll. Wenn Nigel Kennedy mit Rockmusikern arbeitet oder der Pianist Francesco Tristano mit Techno-Produzenten, dann suchen sie nach Neuland und schaffen im Idealfall neue, spannende Musik. Wenn Garrett altbekannte Hits rekapituliert und in möglichst effektvolle, aufgeplusterte Arrangements steckt, dann geht er kein künstlerisches Wagnis ein, ja nicht einmal ein kommerzielles.

Genau deshalb findet Garrett aber auch sein Publikum. Es sind Menschen, für die Musik, sei es nun klassische oder Pop, nicht wirklich wichtig ist, die aber gern dabei sein wollen, wenn ein Ereignis zelebriert wird, sei es im Fußballstadion oder auf der Talkshow-Couch, bei Carmen Nebel oder in der Philharmonie – Garrett ist überall zu Hause.

Inhalte sind egal

Dieser Event-Kultur sind die Inhalte egal, wichtig sind nur Superlative, die sich das Publikum wie einen Orden an die Brust heften kann: Ich habe den schnellsten Geiger der Welt gesehen. Den jüngsten Solisten, der je bei der Deutschen Grammophon einen Vertrag bekommen hat. Den Klassik-Rebellen, der schon vor Barack Obama, Angela Merkel und der Queen auf großer Bühne spielte.

Das alles ist nicht schlimm, nur ein erfolgreiches Marketingkonzept, das deshalb so hervorragend funktioniert, weil der Durchschnittskonsument die Unterschiede im technischen Vermögen zwischen Garrett, einem André Rieu oder dem neuen Favoriten der technikverliebten Klassik-Puristen weder hören will noch hören kann. Die Tragik liegt darin, dass Garrett zwar kein Klassikmusiker mehr sein will, aber darunter leidet, dass ihn der Klassikbetrieb ablehnt, dass die Kritiker, nicht nur der der Süddeutschen Zeitung, mit Häme „die kantenlose Harmlosigkeit seines Spiels“ kommentieren.

Sein Zuhause sei weiterhin die Klassik, sagt Garrett, die Ausflüge in die Pop- und Rockmusik seien „ein angenehmer Urlaub“ und bloß „Mittel zum Zweck“, das Publikum dann doch wieder an die wirklich wertvolle Musik, die klassische nämlich, heranzuführen. Die Rockmusik aber, in die er sich geflüchtet hat, hat er nicht verstanden. Nicht nur, weil sie ihm bloß zweckdienlich ist, sondern weil er tatsächlich noch glaubt, die Rockmusik und ihre Posen seien tauglich als Mittel der Abgrenzung.

Entleerte Symbole

Deshalb sitzt Garrett, auch wenn er Brahms spielt, zwar im Frack auf dem Schemel, aber ohne Krawatte. Das Hemd hängt demonstrativ aus der Hose. Sie wirken fast kindisch, diese Versuche, sich vom Klassikbetrieb zu distanzieren, so wie die Stiefel, die er stets ohne Schnürsenkel trägt und mit Nieten in Totenkopfform hat verzieren lassen. Entleerte Symbole, die bloß noch kalkuliert das Image vom Klassik-Rebellen formen, das sich allerdings weit besser verkauft als das vom besten Geiger der Welt.

„Der Teufelsgeiger“ von Bernard Rose, mit David Garrett, Joely Richardson, Jared Harris. Kinostart am 31. Oktober 2013 (2 Std. 3 Min.)

Der war denn auch an jenem Sommerabend in der Waldbühne nicht zu erleben. Stattdessen ein Verwurster, dem alles eins ist, Hauptsache, es knallt. Und wenn dazu die Musik nicht genügte und wenn der Schlagzeuger die letzten Nuancen in den Boden getrommelt hatte, dann wurden am Bühnenrand ein paar Feuerwerkskörper gezündet. Das Publikum war trotz alledem begeistert. Und auch der Škoda schaffte, als er sich abgekühlt hatte, doch noch glücklich den Weg nach Hause.

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