Kinostart von „Finsterworld“: Deutsche Schrecken

Ein schönes Land, in dem viel Hässliches gedeiht: Der Film von Frauke Finsterwalde und Christian Kracht kratzt an den wunden Stellen der Republik.

Leonard Scheicher als Dominik und Carla Juri als Natalie. Bild: dpa

Deutschland als Abmantelung, als Kokon, als Wundschorf. Eine abgeschottete Finsterwelt mit blasierten, ihren Ekel mit aasig-selbstgerechtem Grinsen vor sich hertragenden Menschen, aber auch solchen, die es immerhin, wenn auch etwas betulich, gut meinen.

Der engagierte Lehrer etwa, der den unbekümmerten Wohlstandskindern wenigstens den Hauch einer Ahnung von Geschichte mitgeben will, da hier vor nur 70 Jahren noch massenhaft Menschen ins Gas geschickt wurden.

Dieser Schrecken ist aus dem Alltag gründlich getilgt: Die Städte sind frisch herausgeputzt, die Autobahnen frisch asphaltiert, die Trümmer und Leichenberge unters Wirtschaftswunder gefegt. Was, Deutsche? Doch nicht wir. Womit man sich der deutschen Geschichte entledigt, zum lässigen Savoir-Vivre aber gerade nicht findet, sondern bloß zur deutschen Tugend der Verkniffenheit.

Dafür scheint, im Film „Finsterworld“ wenigstens, unentwegt die Sonne. Es ist das Spielfilmdebüt der Dokumentarfilmemacherin Frauke Finsterwalder, dessen Drehbuch sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Schriftsteller Christian Kracht, verfasst hat. Und es zeigt Deutschland als schönes Land, in dem allerdings viel Hässliches gedeiht und schon bei leichtem Knibbeln am Schorf der Geist der Zurichtung wieder zutage tritt. Am Ende grölen blonde Jungmänner triumphal vom Sieg.

Keine selbstbesoffene Betroffenheit

„Finsterworld“. Regie: Frauke Finsterwalde. Mit Ronald Zehrfeld, Sandra Hüller u. a. Deutschland 2013, 95 Minuten

Schön an diesem Film ist, wie er etwas zu fassen kriegt, ohne in dröhnendes Anklagepathos oder selbstbesoffene Betroffenheit zu verfallen. Und das ganz ohne Anspruch auf eine umfassende oder gar ästhetisch realistische Darstellung, etwas von der Post-Shoah-BRD, die sich einerseits darin gefällt, die Vergangenheit „bewältigt“ zu haben, die lebendige Erinnerung an den Zivilisationsbruch andererseits aber an terminlich festgelegte Betrübtheitsgesten und ferne Baudenkmäler delegiert und damit unterbunden hat.

Mit ihrem rund um eine bürgerliche Familie gruppierten, tragikomischen Ensemblefilm – die Verbindungen unter den Leuten ergeben sich im Lauf – wählen Finsterwalder und Kracht eine Perspektive auf die Leute, die von intimer Kenntnis zeugt und zugleich Distanz wahrt: Finsterwalde und Kracht lebten beide gemeinsam in Afrika, in dessen Steppe der Film dann auch endet – in einer umwerfenden Szene, in der der romantisch verbrämte, aufs Globale schielende Todesfetisch, der so tief im Deutschen steckt, mit einer Geste lässiger Lakonie wenigstens im Kleinen verpufft.

Pessimismus und Hoffnung

Vielleicht eine Spur zu sehr sucht der Film das Gediegene, manche genüssliche Bösartigkeit wirkt dadurch wattiert. Aber er reibt sich schon schön an manchen wunden Stellen: an der Neigung, den Ekel genussvoll zu zelebrieren, etwa. An verkniffener Ich-Bezogenheit, die sich über den Blick auf die Anderen konstruiert: Ja, die Österreicher, heißt es einmal schwärmerisch resignativ, die machen wenigstens gute Filme.

An der zu toter Materie geronnenen Geschichte, die aus einem offen stehenden KZ-Brennofen so faszinierend entgegenstarrt, dass man am liebsten hineinklettern will – was denn auch mit verhängnisvollen Folgen prompt geschieht.

„Finsterworld“ ist pessimistisch und hoffnungsvoll zugleich. Es geschehen – wie in Krachts Romanen – fürchterliche Dinge, ästhetisch fein ziseliert. Sein Herz verschenkt der Film aber ausgerechnet an die Devianten. In ihrer Welt, lautet die gar nicht ironisch gebrochene Botschaft, könnte sich das solidarische Band einer neuen, fragilen Zärtlichkeit bilden, angesichts derer die ganz auf Verhärtung eingeschossenen Normalo-Nachwuchs-Faschisten am Ende vielleicht doch ein für alle Mal in der Geschichte verblassen.

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