Kinofilm über eine lesbische Liebe: Wahrhaftige Heldinnen
Eine Malerin fährt für einen Auftrag auf eine Insel und entdeckt ihr Begehren neu: „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma.
Ein Modell, das Anweisungen gibt. Eine junge Frau und Lehrerin, die ihren Schülerinnen erklärt, auf welche Details sie beim Malen eines Porträts zu achten haben: auf den Faltenwurf des Kleides, auf die Zartheit der Ohrläppchen, auf die Haltung der Hände. Die Blickverhältnisse haben sich hier verkehrt.
Das Modell setzt sich in Pose, blickt zurück, möchte wahrgenommen werden. Dieser kurze, in einem Atelier angesiedelte Prolog nimmt das große Thema einer fein- und eigensinnig erzählten Liebesgeschichte vorweg.
In „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ entwickelt und behauptet die Kunst ihr Eigenleben. Die Künstler*in muss es nur zulassen – und festhalten. Oder, um Jean-Luc Godards einfaches und doch so wahres Diktum zu zitieren: „Kino heißt geben, aber davor muss man empfangen.“ Diese manchmal schöne, manchmal schmerzhafte Beziehung greift Céline Sciammas bewegender Film auf.
Zu Beginn des Films geht es für Marianne, so der Name der Künstlerin, schlicht darum, einen Auftrag nach dem zeitgenössischen akademischen Regelwerk für Porträts zu erfüllen. Ohnehin ist es eine Ausnahme, dass eine Künstlerin um 1770 eine solche Arbeit offeriert bekommt. Die bildende Kunst ist männliches Terrain. Vielleicht wollten ihre Kollegen den strapaziösen Weg nicht auf sich nehmen.
„Porträt einer jungen Frau in Flammen“. Regie: Céline Sciamma. Mit Adèle Haenel, Noémie Merlant u. a., Frankreich 2019, 122 Min.
Als während der wild schaukelnden Bootsfahrt zu einer abgelegenen Insel an der bretonischen Atlantikküste ihre Leinwand ins Wasser fällt, springt Marianne in die Wellen, umklammert fest ihr Werkzeug. Wie eine Aussätzige wird sie später von den Seeleuten am Strand abgeworfen, muss mit den nassen schweren Kleidern und ihren Malutensilien die Klippen erklettern. In den spärlich eingerichteten Gemächern trifft sie auf die Hausherrin, die auf ihr Porträt weist, das einst Mariannes Vater malte: „Es war vor mir hier.“
Héloïse weigert sich
Ein Sprung ins Wasser. Der Vater als Vorbild. Das leblos wirkende Gemälde einer jungen Frau. Und ein kurzer Satz, der viel über das vorbestimmte Leben adliger Frauen jener Zeit sagt. Über Porträts, die der Dargestellten voran an den potenziellen Bräutigam geschickt wurden. Beiläufig skizziert Sciamma die gesellschaftlichen und sozialen Parameter des 18. Jahrhunderts aus weiblicher Perspektive und gibt dabei den Rahmen vor, in dem Frauen sich zu bewegen haben.
Marianne soll ein Bild anfertigen von Héloïse, der Tochter der Gräfin. Es ist für einen Brautwerber aus Mailand bestimmt. Die geplante Hochzeit soll damit besiegelt werden. Um diesem Schicksal zu entkommen, hat sich Héloïses Schwester bereits von den bretonischen Klippen gestürzt. Auch Héloïse verweigert sich dem Gemaltwerden. Deshalb wird Marianne ihr als Unterhalterin und Begleiterin für Spaziergänge vorgestellt.
Die Aufnahmen der langen Wanderungen an der rauen Küste erinnern an klassische Landschaftsmalerei, spannungsvoll werden die jungen Frauen zur Natur und zueinander in Beziehung gesetzt. Die beiden haben kaum ein Wort miteinander gewechselt, da läuft Héloïse plötzlich Richtung Abgrund. Wird sie ihrer Schwester folgen? Wenn sie im letzten Moment stehen bleibt, umweht sie eine Mischung aus Verwegenheit und Freiheitsempfinden. Später wird sie Marianne nach Tabak und Lesestoff fragen.
Die Kamera übernimmt zunächst Mariannes Perspektive, wenn sie heimlich Héloïses stolzes Profil studiert, die Locken, die ihr ins Gesicht wehen, die verschlossenen Züge, die sich im Wind für einen flüchtigen Augenblick entspannen. Eine Frau beobachtet – noch heimlich – eine andere Frau, lässt sich von der Zartheit eines Nackens faszinieren, der für einen Moment aus dem schweren Cape herausragt. Aus nächster Nähe erlebt man, wie sich ein Bild aus gestohlenen Blicken zusammensetzt.
Ihre Eindrücke versucht Marianne am Abend aus dem Gedächtnis auf die Leinwand zu bringen. Ihr routinierter Pinselstrich scheint noch von den Konventionen des Porträts im ausgehenden 18. Jahrhundert geführt. Sie begutachtet das schwere grüne Brokatkleid mit dem weiß umrandeten Dekolleté, befindet, dass es sehr gut zu Héloïses blondem Haar passe.
Kalkulierte und konstruierte Schönheit
In diesem Moment offenbart auch eine Regisseurin ihre Arbeitsmethode, zeigt nach welchen Kriterien ein Bild komponiert werden kann. Die blonde Héloïse (Adèle Haenel) mit ihrem hellen Teint und die dunkelhaarige Marianne (Noémie Merlant) bilden einen lebendigen Kontrast zur dramatischen Meereslandschaft mit ihrer ewig tiefhängenden Wolkendecke.
Schönheit darf kalkuliert und konstruiert sein. Doch diesem Film und seiner Regisseurin geht es noch um eine andere, um eine tiefer gehende Ästhetik, die das Wesen von Menschen und Dingen erfasst – und alle Regeln und Konventionen sprengt.
Für diese Haltung braucht es einen Blick, der die eigenen Gefühle und Empfindungen in die Darstellung mit einbezieht. Einen Blick, der zulässt, dass er erwidert oder auch abgewiesen wird. Das erste, heimlich entstandene Porträt wirkt seltsam steril, weil Marianne sich selbst und ihre immer stärker werdende Zuneigung für Héloïse ausgeblendet und sich stattdessen auf ihr Handwerk zurückgezogen hat.
„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ wird zur sinnlichen Reflexion der Blickwechsel. Wenn die stolze Héloïse für ein zweites Porträt Modell sitzt, fixiert sie regelrecht die Malerin – kokett, verlegen, provozierend. Marianne wiederum lässt sich nun ein, öffnet sich mit ihrem Blick auch selbst. Plötzlich scheint sich der Pinsel wie von selbst zu bewegen.
Lebendigkeit, die dem Film Schönheit verleiht
Das Begehren sucht sich seinen Ausdruck. Es ist ein ergreifender und auch ein utopischer Augenblick. Für die Liebe zweier Frauen gibt es im 18. Jahrhundert keine Vorbilder, keine Semantik und keine Codierung: Zwei junge Frauen finden zu sich und erfinden sich und ihr Begehren neu. Die kalten Gemächer fühlen sich nicht mehr kalt an, die leeren Wände nicht mehr leer.
Eine ungeahnte Freiheit zieht in das Anwesen ein. Während einer Abwesenheit von Héloïses Mutter wird das Dienstmädchen Sophie zur Verbündeten der Verliebten, alle Rangordnungen sind aufgehoben. Man spielt zusammen Karten, kocht gemeinsam, nimmt an einem nächtlichen Treffen der Frauen der Insel rund um ein Lagerfeuer teil. Sie stimmen einen eigentümlichen Gesang an, es ist eine Frauengemeinschaft, die ganz ohne männlichen Blick auskommt.
Auf allen Ebenen öffnet sich die Wahrnehmung, verlässt den vorgegeben Rahmen. Gemeinsam mit ihrer Freundin entdeckt Marianne andere Möglichkeiten, sich als Malerin auszuprobieren. Sie steht der noch sehr jungen Magd bei deren Abtreibung bei. Später stellen die Freundinnen den Eingriff nach. Es entstehen Skizzen aus dem Alltag von Frauen, gezeichnet mit Empathie. Es entsteht eine Kunst, die aus dem gelebten Leben kommt.
Immer wieder bringt die Regisseurin Céline Sciamma ihren eigenen Blick auf die Leinwand, ihre Idee der Kunst und der Repräsentation. Als sich Héloïse nach Musik sehnt, spielt Marianne kurz auf einem verstaubten Spinett Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ an. Mit der Bemerkung, dass es sich nicht um ein fröhliches, aber um ein lebendiges Stück handele. Es ist diese Lebendigkeit, die dem Film eine seltene Schönheit verleiht, die seine Heldinnen so gegenwärtig und ihre Gefühle so wahrhaftig erscheinen lässt. Irgendwann wünscht man sich, dass das Porträt nie fertiggestellt wird.
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