Kinofilm über Radikalisierung: Kein Opfer von Verführung
Die niederländische Regisseurin Mijke de Jong erzählt in „Layla M.“ von der Radikalisierung einer jungen und ungeduldigen Frau.
Beim gemeinsamen Abendessen mit der einst aus Marokko eingewanderten Familie mischt die Abiturientin das Tischgespräch mit provozierend angezettelten Debatten über Nikab und Koran auf. Als dann Razzien und Festnahmen durch die Polizei die islamistische Gruppe treffen, entscheidet sich Layla für den endgültigen Schritt aus ihrem bisherigen Leben und landet nach der Blitzheirat mit einem jungen Prediger erst in der belgischen Islamisten-Szene und dann in einer kargen Bleibe in Jordanien im Vorfeld des „Islamischen Staates“.
Die zunehmende Affinität junger Frauen zum islamistischen Fundamentalismus ist angesichts dessen notorisch feindseliger Einstellung zu Frauenrechten eine irritierende Entwicklung. Seit einiger Zeit wird auch vermehrt in den Medien nach den Motiven gefragt. Als Film fand zuletzt die halbdokumentarische Arbeit „Der Himmel wird warten“ von Marie-Castille Mention-Schaar aus Frankreich Aufmerksamkeit, die von der Radikalisierung zweier Konvertitinnen aus nichtislamischen Familien erzählte.
Wie dieser Film ist auch „Layla M.“ von der Regisseurin Mijke de Jong und dem Autor Jan Eilander, der auf europäischer Ebene koproduziert wurde, schon 2016 entstanden. Er gründet seine Schilderung von Milieu und Figuren in einer mit bewegter Kamera fast dokumentarischen Inszenierung.
Eine als ausgrenzend und sinnlos erlebte Welt
Dabei liegt der Fokus auf der zuerst kraftvollen und dann gewaltsam gedrosselten Eigenbewegung seiner jungen Heldin. Denn Layla ist kein verführtes Opfer islamistischer Bauernfängerei, sondern sehr plausibel gezeichnet als unzufriedene und ungeduldige junge Frau mit dem in diesem Alter üblichen scharfen Blick für die Unzulänglichkeiten der Welt. Das verbindet ihren Erfahrungsraum mit dem der beiden FilmemacherInnen, die in der linken Szene der 1970er Jahre sozialisiert wurden.
Die Erinnerung an die damaligen Radikalisierungsprozesse machten sie neugierig auf das Jetzt. Denn vieles war gar nicht so anders als bei den jungen Islamistinnen heute: Einer als ausgrenzend und sinnlos erlebten Welt der Ungerechtigkeit und Vereinzelung kollektive Werte und Verbindlichkeiten entgegenzusetzen. Sich gegenüber erfahrener fremder Brutalität selbst zur Gewalt ermächtigen. Und bloß nicht anpassen: „Das ist genau, was die wollen, Kuffar aus uns machen, uns Angst machen, dass wir unseren Glauben verleugnen“ sagt Layla ihrem Bruder in einer Schlüsselszene.
„Layla M.“ Regie: Mijke de Jong. Mit Nora El Koussour, Ilias Addab u. a. Niederlande/Belgien/Deutschland 2017, 100 Min.
„Layla M.“ ist aber auch eine Liebesgeschichte, die Ehe mit dem zuerst schüchtern wirkenden Prediger Abdel mehr als nur ein Zweckbündnis. Die Heirat ist inszeniert als Begegnung auf Augenhöhe: So fordert Layla dem zukünftigen Ehemann in einem Videotelefonat von ihr vorformulierte Statements zu Gleichberechtigung und Freiheitsrechten ab. Und sie proklamiert explizit den eigenen Wunsch, im islamischen Ausland zu studieren und dann ihr Leben denen zu widmen, denen Unrecht widerfahren ist. Wir ahnen schon, dass diese Gelübde und ihre Wünsche spätestens dann an ihre Grenzen stoßen werden, wenn andere Männer und Mächte ins Spiel kommen.
Eine grandiose Entdeckung sind die beiden jungen Hauptdarsteller in einem auch sonst rundum überzeugenden Team. Nora El Koussour gibt Layla ungeheure Präsenz und eine Variabilität, die vom theatralischen Teenagerauftritt über schnippische Arroganz bis zur besorgten Ehegattin reicht. Auch Ilias Addabs Abdel schillert mit ungewöhnlichem Facettenreichtum zwischen zärtlichem Liebhaber und Machtmensch in einer Inszenierung, die mit einigen erzählerischen Ellipsen auf wache Betrachter setzt. Während Familie und Clique dabei prägnant skizziert werden, bleibt Laylas Schulleben auf ganz wenige, fast abstrakte Szenen reduziert.
Irritierend – und vermutlich nicht als Wahrnehmungsexperiment gemeint – ist die Tatsache, dass in der deutschen Synchronfassung die Personen jeweils unterschiedliche Stimmen haben, wenn sie in deutscher oder in arabischer Sprache reden, weil die Teile in arabischer Sprache original untertitelt wurden. Der Film, der 2016 von den Niederlanden für den fremdsprachigen Oscar nominiert wurde, gönnt seiner Heldin vor dem Ende neben viel Leid auch einige schöne Momente mit Kindern in einem UNHCR-Camp – und hoffentlich Erkenntnis. Genaueres darf hier nicht verraten werden. Bei einem Dokumentarfilm würde man auf ein Sequel in fünf Jahren hoffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe