Kino im Stream: Perspektiven auf der Spur
Genre-Filme der DEFA im Zeughauskino, ein feministischer Berlinfilm im Kino Arsenal und Sophia Coppolas besonderer Blick auf Marie Antoinette.
D em Genrekino der DEFA auf der Spur ist man mit einer Online-Filmreihe im Zeughauskino: Zweifellos war den DDR-Politikern ein Kino, dessen Muster und Regeln überwiegend aus den USA stammten, eher suspekt, doch dem Publikum gefiel das Nicht-Alltägliche. Viele Genrefilme waren große Erfolge.
Und so gab es auch im Arbeiter-und-Bauern-Staat Science-Fiction, Western, Musikfilme und Agententhriller. Allerdings nicht immer ideologiefrei, wie das Beispiel „For Eyes Only“ (1963) von János Veiczi besonders deutlich zeigt: Der Spionagethriller um einen ostdeutschen Agenten, der den amerikanischen Geheimdienst in der Bundesrepublik infiltriert und dort geheime Aufmarsch-Pläne für einen Krieg gegen die DDR stiehlt, gilt in der Literatur eigentlich als inszenatorisch besonders gelungener Genrefilm.
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Über die etwas abstruse Charakterzeichnung der Hauptfiguren lässt sich aus heutiger Sicht allerdings nur schwer hinwegsehen: Während die Amerikaner allesamt verkommene Säufer und Frauenhelden sind, hat der stoisch solide ostdeutsche Held garantiert Hammer und Zirkel in der Hose und denkt in jeder Sekunde an das Wohl seines Vaterlandes. Zwei Jahre nach Errichtung der Mauer war „For Eyes Only“ vor allem eine Rechtfertigung des „antifaschistischen Schutzwalls“ (bis 31.5., www.dhm.de/zeughauskino).
Der Job ist weg. Für Greta, 40, Architektin und alleinerziehende Mutter eines 12jährigen Sohnes beginnt das prekäre Leben. Ein Weg durch behördliche Instanzen und beschissene Billig-Jobs mit gehöriger Selbstausbeutung. Tatjana Turanskyj, Filmemacherin, Feministin und Theoretikerin, schuf mit „Eine flexible Frau“ (2010) ein zeitgenössisches Frauenporträt vor dem Hintergrund der neoliberalen Gesellschaft.
Und damit einen Berlinfilm, in dem die in der Stadt lange vorhandenen Frei- und Spielräume langsam enger werden und doch immer noch imaginiert werden. Arsenal 3 zeigt bis zum 8. Juni eine Retrospektive mit den Filmen von Tatjana Turanskyj, darunter auch frühe Videos der Gruppe Hangover Ltd (www.arsenal-berlin.de).
Nachdem ich neulich im Fernsehen zufällig über eine Doku über die am Ende etwas kopflose Königin Marie Antoinette stolperte, schien mir auch ein Blick auf Sophia Coppolas nach einer Biographie von Antonia Fraser entstandenen Kinofilm „Marie Antoinette“ aus dem Jahr 2006 ganz erhellend.
Die Historiker*innen sind ja mittlerweile zu einem recht differenzierten Blick auf die Rokoko-Königin gelangt, die von der französischen Revolution hinweggefegt wurde: Zwar interessierte sie sich für ihre Untertanen genauso wenig wie der Rest des Hochadels, ein Blick auf die Lebenswirklichkeit jenseits der eigenen Kreise fand nicht satt.
Und doch stellte die junge, aus Österreich stammende Frau am erstarrten Hof von Versailles einen Hauch von Moderne dar: Sie hasste das strenge Hochprotokoll, flüchtete in eigene Zerstreuungen und umgab sich statt mit Höflingen mit Freundinnen und Freunden – ein geradezu revolutionäres Konzept.
Coppola setzt dabei das System Versailles mit all seinen sich täglich wiederholenden Absurditäten geschickt in Szene: Die Figuren wirken wie Puppen, ihr ganzes Dasein ist ein genau festgelegtes Ritual, ein Privatleben ist nicht existent.
Dass die Königin (Kirsten Dunst) daraus immer wieder ausbricht und sich Freiräume ausbedingt, schafft ihr viele Feinde – denn das ritualisierte Protokoll ist die Existenzberechtigung der Höflinge. Als Marie Antoinette schließlich zu einem eigenen Leben findet, ist auch schon Revolution (https://de.chili.com).
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