Kiffen als wichtiger Wirtschaftsfaktor: Wo Cannabis systemrelevant ist
In etlichen US-Staaten ist mindestens medizinisches Cannabis legal erhältlich. Das ist positiv für die öffentliche Hand. Etwa in Oregon.
Dana, Cannabisverkäuferin
„Wir sind so unverzichtbar wie Apotheken“, sagt Dana. Sie war zwanzig Jahre lang Bardame, „bis meine Füße schlapp gemacht haben“. Jetzt verkauft sie in einer Zweigstelle von „Green Knottz“ – in einem Laden zwischen Pizza-Schnellrestaurant und Nagelstudio – Cannabis. Das Interieur erinnert an einen Juwelierladen. In Vitrinen stehen Hunderte von Ölen, Harzen, Pasten, Gummibärchen, Pillen und Gebäcksorten. In Schubladen liegen fertig gedrehte Joints. Auf Regalen sind große Gläser mit 26 verschiedenen Blüten aneinandergereiht. Kunden dürfen daran riechen, bevor sie sich für einen Kauf entscheiden. Alle Produkte stammen aus der Cannabisproduktion von Oregon.
Über einen Bildschirm in dem Geschäft laufen Informationen über mögliche Anwendungen. Sie reichen von Schmerzbekämpfung über Unterstützung bei der Konzentration und erotische Stimulation bis hin zu Hilfen zum Herumalbern auf der Couch.
2020 war das bislang beste Geschäftsjahr für die noch junge legale Cannabisbranche in Oregon. Der Bundesstaat an der Pazifikküste hatte bereits 1998 den Verkauf von ärztlich verschriebenem medizinischen Cannabis zugelassen. 2016 preschte Oregon erneut vor und legalisierte als erster Bundesstaat in den USA den Verkauf von Cannabis für den Freizeitgebrauch. Zusätzlich legalisierte er den Anbau von vier Pflanzen pro Haushalt für den Eigenbedarf. An den Highways werben jetzt große Plakate für Cannabisläden.
Nur in vier US-Staaten ist Cannabis illegal
Das Thema Cannabis-Legalisierung liegt US-weit im Trend. 19 Bundesstaaten haben Cannabis legalisiert. In fast allen anderen Staaten ist zumindest medizinisches Cannabis zugelassen. Nur in vier Staaten ist Cannabis komplett illegal. Aber auch dort machen Legalize-it-AktivistInnen immer neue Anläufe, um ihrerseits volle Cannabisfreiheiten zu bekommen.
Dieser Artikel wurde möglich durch die finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e.V. Sie können den Recherchefonds durch eine Spende oder Mitgliedschaft fördern.
Unterdessen ist der Trendsetter Oregon bereits zur nächsten Droge vorgeprescht. Ab 2023 dürfen in Oregon Psilocybin-Pilze in eigens für den Zweck geschaffenen Läden verkauft werden. Wie in den Anfängen der Legalisierung von Cannabis wird es auch die Pilze zunächst nur für medizinische beziehungsweise therapeutische Zwecke geben.
Im Pandemiejahr ordnete der Bundesstaat Oregon die Schließung von zahlreichen Unternehmen und Geschäften sowie von allen Kirchen an, um die Ansteckungsgefahr zu senken. Aber der legale Cannabisverkauf durfte weitergehen – der Bundesstaat hatte Cannabis- und Alkoholgeschäfte zu „unverzichtbaren Betrieben“ erklärt. Die Zahl der Cannabisläden stieg in Oregon während der Pandemie auf mehr als 700. Gleichzeitig erweiterten die Cannabiszüchter ihre Anbauflächen.
Nachdem bei den Waldbränden von 2020 im „Bananengürtel“ im Südwesten von Oregon auch zahlreiche Cannabisfelder verbrannt waren, verlegten viele Züchter ihren Anbau in Treibhäuser, wo der Rauch von Waldbränden den Pflanzen weniger anhaben kann. Der Anbau im Treibhaus verschlingt enorme Mengen Strom und Wasser. Er sorgt zugleich für mehr Ernten im Jahr. Angesichts der Massenproduktion stürzten die Preise ab.
Der Staat verdient an Joints mit
Alicia Williamson, Cannabisbäuerin der frühen Jahre, erinnert sich an Zeiten, in denen sie mit einer Pflanze bis zu 6.000 Dollar verdienen konnte. „Inzwischen“, sagt sie, „sind es nur noch 300 Dollar“. Williamson ist Cannabisaktivistin der ersten Stunde. Sie hat Lobbying für die Legalisierung betrieben, war das Ziel einer FBI-Razzia und hat ein Lehrbuch für den Anbau von Marihuana veröffentlicht. Heute baut sie auf ihrer kleinen Farm im Zentrum von Oregon nur noch für den Eigenbedarf an. Sie befindet: „Wir sind von einem grünen Rausch zu einem Gierrausch gekommen.“
Der Bundesstaat und die Gemeinden verdienen an jedem Joint mit, der in einem Cannabisladen verkauft wird. Nur das ärztlich verschriebene Cannabis ist steuerfrei. Bei dem Vernügungscannabis gehen 17 Prozent der Einnahmen in die Kassen von Oregon. Bereits im Finanzjahr 2020 stiegen die Cannabis-Steuereinnahmen des Bundesstaates auf rund 130 Millionen Dollar, im Finanzjahr 2021 kletterten die Steuereinnahmen auf 180 Millionen. Zusätzlich zu den 17 Prozent für den Bundesstaat gehen weitere 3 Prozent Steuern an die Gemeinden. „Wir besorgen das Geld für die Reparaturen von Straßen, für die Polizei, für das Schulprogramm und die Parks“, sagt Eddie, der Manager des knapp 100 Meter entfernten „House of Hash“, in der Einkaufszone von La Pine.
Als Kate Brown, die Demokratin an der Spitze von Oregon, das Gesetz zur Legalisierung von Freizeitcannabis unterschrieb, opponierten die LokalpolitikerInnen im konservativen La Pine zunächst dagegen. Es war eine politische Entscheidung. Aber als in umliegenden Gemeinden deutlich wurde, wie hoch die Steuereinnahmen aus dem Cannabis sind, gab die Gemeinde ihren Widerstand auf. Inzwischen haben sich der Cannabiskauf und -gebrauch auch in La Pine normalisiert. „Hier gibt es in jeder Familie jemanden, der Cannabis benutzt“, sagt Verkäuferin Dana. Ihre Kundschaft setzt sich aus Alten und Jungen, Männern und Frauen, Konservativen und Linken zusammen.
Alkoholverkauf bleibt stabil
In der Einkaufszone von La Pine sagt Verkäuferin Dana über das Cannabisgeschäft in der Pandemie: „Am Anfang war es ein Stück Eigenmedikation. Die Leute mussten plötzlich zu Hause bleiben, waren allein und wussten nicht, wie es weitergeht.“ In dem benachbarten „Liquor Store“ machte Verkäuferin Justine ähnliche Erfahrungen. Auch für sie war das zurückliegende Jahr ein besonders gutes. Sie verkauft nur hochprozentige Getränke. Die Cannabislegalisierung hat den Alkoholumsatz nicht verringert. „Manche meiner Kunden gehen auch in die Cannabisläden“, sagt Justine. Freitags ist ihr bester Tag. Ihre Einnahmen stiegen auf über 10.000 Dollar.
Cannabis- und Alkoholgeschäfte in Oregon werden von derselben Behörde überwacht. Nach der Legalisierung wurde sie in „Oregon Liquor and Cannabis Commission“ umbenannt. Anders als bei Cannabis sind die Alkoholpreise staatlich fixiert, und die Zahl der Alkoholläden ist abhängig von der Einwohnerzahl eines Ortes. Während es in La Pine nur einen Liquor-Store gibt, konkurrieren die Cannabisläden gegeneinander. Anders ist auch, dass die Cannabisläden Schaufenster aus Milchglas haben und in ihrem Inneren Kameras installiert sein müssen.
Zu den Pandemieregeln in Oregon gehört es, dass in geschlossenen Geschäftsräumen jeder eine Maske tragen muss. In dem Liquor-Store halten sich kaum KundInnen an die Regel. Die CannabisverkäuferInnen hingegen sind streng. Wenn sie bei Gesetzeswidrigkeiten erwischt werden, können sie ihre Zulassung verlieren.
Keine Konten für Cannabisgeld
„Wir rufen gar nicht erst die Polizei“, steht drohend über der Eingangstüre zu dem „Smoking-Toy“-Geschäft. Daneben prangt das Bild von einer Pistole. Inhaber Josh Hentsch sagt über sich selbst: „Ich kiffe viel“ und begründet seinen Cannabiskonsum mit einem Kopfschuss, den er mit 16 erlitten hatte, und mit den daraus resultierenden chronischen Schmerzen. Hentschs Geschäft grenzt direkt an einen Cannabisladen in der Einkaufszone. Sein Sortiment: Pfeifen und andere Accessoires für KifferInnen, „Detox“-Getränke, die Reste von THC im Urin vor Drogentests verdecken, und Sexspielzeuge, die er in zwei getrennten Räumen ausstellt. Drogen verkauft er nicht.
Im Gegensatz zu den VerkäuferInnen der Cannabisgeschäfte lässt er seinen Gedanken freien Lauf. Er muss nicht Tausende Dollars pro Jahr für eine Geschäftslizenz bezahlen, wird von keiner Kamera überwacht, trägt keine Gesichtsmaske und sagt, dass er „selbstverständlich“ nicht geimpft sei.
Auf Bundesebene ist der Verkauf von Cannabis in den USA immer noch illegal. Deswegen sitzen weiterhin Menschen – auch aus Oregon – wegen Cannabisgeschäften im Gefängnis. Und deswegen akzeptieren die meisten Banken in den USA – auch in Oregon – weiterhin keine Konten, auf die Geld aus Cannabisgeschäften fließt.
Für Hentsch sind das Übergangsprobleme. Er glaubt, dass irgendwann auch jene Bundesstaaten folgen werden, in denen Cannabis bislang noch illegal ist. Und dass spätestens Mitte des Jahrhunderts Cannabis weltweit legal sein wird. „Sobald das passiert“, so seine Prognose, „werden wir Weltmeister in dem Geschäft.“
Sein jüngerer Angestellter widerspricht. Er ist davon überzeugt, dass dieser Wendepunkt schon Ende dieses Jahrzehnts kommen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“