Kiel zeigt seine Südseesammlung: Gerne barbusige Schönheiten

Ab 1884 wollte auch das Deutsche Reich mit dem Erwerb überseeischer Kolonien glänzen. Seeleute der Kaiserlichen Marine brachten reichlich Andenken mit.

Vom Zierpaddel bis zur Maske: Vor allem Marineangehörige brachten aus den deutschen Kolonien Objekte an die Kieler Förde. Bild: Boris Pawlowski/CAU

HAMBURG taz | Gab es am Ende des 19. Jahrhunderts auf den südpazifischen Inseln Schiefertafeln? Offenbar. Denn auf einer Schiefertafel, die eine junge Frau von einer der Südseeinseln um 1900 mit nacktem Oberkörper in der Hand hält, ist in ordentlicher, deutscher Schreibschrift zu lesen: „Ein fröhliches neues Jahr für liebe Freunde im Vaterland“. Wandfüllend erstreckt sich der Fotoabzug der namenlosen Schönen derzeit im Erdgeschoss des Kieler Stadtmuseums.

Titel der dortigen Ausstellung: „Die Kieler Südseesammlung und die Kaiserliche Marine. Neue Fragen an die deutsche Kolonialgeschichte 1884–1914“. Denn ab 1884 wollte auch das Deutsche Reich mit dem Erwerb überseeischer Kolonien glänzen und wurde dabei nicht nur in Afrika, sondern vor allem in der Südsee fündig und schickte, um diese Ansprüche durchzusetzen, seine Marine in die weite Ferne.

Dabei ist zunächst schon die eigene Geschichte der Kieler Südseesammlung spannend bis aufschlussreich: Lange waren die Exponate im Kieler Museum für Völkerkunde untergebracht, das wiederum der Kieler Christian-Albrecht-Universität untergeordnet war. Zuletzt stellte das Zoologische Museum Teilbestände aus.

Doch damit ist seit neuestem Schluss: In der Universität gab es zuletzt niemanden mehr, der für eine wissenschaftliche Begleitung der Sammlung zuständig war, und die Exponate wurden daher dem Kieler Stadtmuseum angeboten, das diese in Ergänzung seiner Sammlung zur Stadt- und Marinegeschichte Kiels gern übernahm.

Waren es doch weit weniger Handelsleute oder Missionare und schon gar keine Wissenschaftler, sondern vom Ingenieur bis zum Offizier Marineangehörige, die von den deutschen Kolonien in Melanesien, Mikronesien und Polynesien diverse Gegenstände vom Zierpaddel bis zur Maske an die Kieler Förde mitbrachten. Die dann in einem nächsten Schritt dem ebenfalls 1884 von Universitätsprofessoren und Marineoffizieren gemeinsam gegründeten Museum für Völkerkunde überlassen wurden.

Darunter waren auch zunächst rein private Exponate wie etwa Stickbilder, die man sich zum Ende seiner militärischen Dienstzeit handarbeiten ließ, um sie später als Erinnerungsbrücke ins Wohnzimmer zu hängen. Dazu gesellten sich Fotoalben, wie das eines Marinestabsingenieurs, dem das Bild der den Jahreswechsel grüßenden Südseeinsulanerin entstammt.

Die Historikerin Sonja Kinzler vom Bremer Büro „Retrokonzepte“ und Kuratorin der Eröffnungsausstellung überlegte lange, ob sie das Foto dieser Frau und dann auch noch in dieser überbordenden Größe überhaupt präsentieren soll. „Ich habe ein Bild ausgesucht, wo die porträtierte Frau einen selbstbewussten Gesichtsausdruck an den Tag legt und weiß, was sie tut – nachdem, was ich beurteilen kann“, sagt sie.

Es ist ihr anzumerken, dass ihr dabei so ganz wohl immer noch nicht ist. Andererseits sind es gerade diese Bilder barbusiger Frauen, die ab den 1880er-Jahren und dann für Jahrzehnte mit ihrer stetig wiederkehrenden Inszenierung der lasziven Südseeschönen nicht nur die erotischen Vorstellungen der Deutschen von Südsee-Exotik prägten.

In tausendfacher Ausfertigung sind diese Bilder damals in Fotostudios europäischer Kolonien gemacht worden, um sie als Mitbringsel neben Muschelketten, Tierfiguren und Speeren mit nach Hause zu nehmen. Was passierte wohl, wenn der Marinesoldat daheim ein solches Fotos aus dem Seesack zog und es den Eltern, Freunden oder womöglich der Liebsten zeigte, wo es doch an den Badestränden der Kieler Förder oder der Ostsee immer noch üblich war, dass Frauen und Männer streng voneinander badeten und dabei in langärmeligen Badekleidern steckten?

„Darüber wissen wir nichts“, sagt Kinzler und verweist auf ein anderes Foto: Es zeigt drei Frauen, die offensichtlich unterwegs auf dem Weg zur Feldarbeit abgelichtet, abweisend in die Kamera schauen. Auch dieses Bild wirft Fragen auf: Wer hat dieses Foto gemacht – und wie hat er es anschließend interpretiert?

So wird mit jedem Exponat deutlicher: Viele Fragen bleiben offen und weit mehr noch werden sich stellen, wenn die überlassene Südseesammlung erst fundiert beleuchtet wird. Sodass man nach dem erfolgten Rundgang ahnt, dass auch im Haus als neuem Besitzer dieser Südseesammlung eine womöglich schmerzhafte Beschäftigung mit der lokalen Kolonialgeschichte ansteht. „Es gab von außen keine gesellschaftliche Debatte, sich nun mit Kieler Kolonialgeschichte zu beschäftigen, die Ausstellung geht von den Objekten aus, die da sind und mit denen etwas passieren muss“, erklärt Kinzler.

Es wird sicher noch spannend werden, auf wie viel Gegenliebe eine Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit das Stadtmuseum in Kiel als traditioneller Marinestandort stoßen wird. Auch der Sammlung selbst dürfte dabei womöglich einiges bevorstehen.

Noch gibt es keinen systematischen Katalog, der alle Exponate verzeichnet und auch abgebildet zeigt, sodass zeitgenössische Ethnologen aus den Südseeregionen entdecken könnten, welche kultischen Objekte damals nach Norddeutschland gebracht wurden, die man unter Umständen zurückfordern könnte. Denn ebenfalls noch völlig ungeklärt ist die Frage, unter welchen Umständen die verschiedenen Objekte überhaupt nach Kiel und weiter ins damalige Völkerkundemuseum kamen:

Wurden sie fair bezahlt? Gar in bester Absicht freiwillig verschenkt? Oder wurden sie eher unter sanftem bis deutlichem Druck abgegeben? Oder sind sie schlicht geraubt worden?

Die Kieler Südseeaktivitäten liefen schließlich keinesfalls nur in den vordergründig üblichen Bahnen geregelter, kolonialer Verwaltungsakte ab, sondern trugen auch die hässlichen Züge militärischer Intervention: Die in Kiel ansässige „Cormoran“ mit ihrer Mannschaft etwa, von der in der Ausstellung viele Sammlungsstücke stammen, war nicht nur auf Forschungsreisen durch die deutschen Südseebesitzungen unterwegs.

Das Schiff war auch wichtiger Teil von Strafexpeditionen – etwa gegen die Ethnie der Sokehs, die sich auf den Karolinen-Inseln im Oktober 1910 gegen die deutschen Kolonialherren erhoben. Es wurde ein äußerst ungleicher Kampf: Den 200 aufständigen Kriegern standen 750 Marineangehörige und 200 engagierte melanesische Polizisten gegenüber. Unterwegs waren sie mit vier Kriegsschiffen, darunter die „Cormoran“, als gut ausgebauter sogenannter Kleiner Kreuzer mit entsprechender Bewaffnung.

Auch ein imposantes Gruppenbild ist im Museum zu sehen: von Matrosen der „Cormoran“, die in frisch gebügelten, weißen Ausgehuniformen posieren, von denen eine im Original daneben im Glaskasten ausgestellt ist. Im nächsten Raum folgt dann ein wesentlich kleineres Foto: aufgereihte, gefangene Sokehs schauen betreten und trotzig in die Kamera. Beide Bilder in Beziehung zu setzen und die darin enthaltenen Geschichten in aller Gründlichkeit und der erforderlichen Genauigkeit zu erzählen, auch darum wird es künftig im Kieler Stadtmuseum gehen.

Die Ausstellung „Die Kieler Südseesammlung und die Kaiserliche Marine“ läuft bis zum 11. Januar. Vortrag von Tobias Delfs: 4. Dezember, 19.30 Uhr, Historisches Seminar der CAU, Eintritt frei
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