Kennzeichnung für Polizisten: Ermüdende Symboldebatte
Niedersachsen debattiert mal wieder über eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Aber Polizeigewalt lässt sich damit nicht senken.
N iedersachsen debattiert also mal wieder über eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Die stand 2013 schon im Koalitionsvertrag – wurde vom Langzeit-Innenminister Boris Pistorius (SPD) aber schlicht nicht umgesetzt. Nun steht sie wieder im Koalitionsvertrag, die neue Innenministerin Daniela Behrens, ebenfalls von der SPD, ließ aber gleich mal verlauten, das Thema habe bei ihr jetzt nicht die oberste Priorität – zur Enttäuschung der Grünen Jugend und der Jusos, die das Thema zur Herzensangelegenheit erklärt haben.
Aber schön, dass damit die Gegenseite – Polizeigewerkschaft, CDU, AfD – mal wieder Gelegenheit bekommt, reflexartig ihre sogenannten „Gegenargumente“, in der Gegend herumzublaffen: „Misstrauenserklärung“ und „Gefährdung von Einsatzkräften“ stehen dabei an erster Stelle.
Ist es eigentlich auch eine Misstrauenserklärung, dass jeder normale Sachbearbeiter im Ordnungsamt oder beim Jobcenter ein Namensschild an der Tür oder auf dem Tisch hat? Oder bei Arzthelfern, Supermarktmitarbeitern oder sonst irgendjemand, der sich alle Nase lang anpöbeln lassen muss?
Nee, da wächst es aus der schlichten Erkenntnis, dass jeder Mensch und Bürger gern weiß, mit wem er es zu tun hat. Und dass ein normaler, erwachsener Mensch im Job eben auch dafür geradestehen muss, wenn etwas schiefläuft. Warum genau soll das für Polizisten nicht gelten?
Vertrauen in den Rechtsstaat
Vor allem in hochkonflikthaften Einsätzen, wo Polizisten in Schutzkleidung geradezu vermummt auftreten, muss der Staat eigentlich dafür sorgen, dass eventuelles Fehlverhalten überprüfbar und ermittelbar gemacht wird. Das hat der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon 2017 geurteilt.
Das geht auch durch Zahlencodes, die dafür sorgen, dass die Beamten anonym bleiben, im Zweifelsfall aber trotzdem individuell ermittelbar sind. Neun deutsche Bundesländer – darunter auch Hamburg und Bremen – und ein Dutzend europäische Länder kriegen das hin. In keinem lässt sich eine Gefährdung von Beamten dadurch beobachten. Im Idealfall stärkt die Maßnahme aber Transparenz und Bürgernähe, nährt damit letztlich das Vertrauen in die Polizei und den Rechtsstaat.
Was sie allerdings nicht tut: Polizeigewalt zum Verschwinden bringen. Auch in Niedersachsen dürften die wenigsten Beschwerden deswegen scheitern, weil der betreffende Beamte nicht identifiziert werden kann.
Die in der Bundesstatistik ausgewiesene „Aufklärungsquote“ bei Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete liegt seit Jahren relativ stabil um die 70 Prozent. Aufgeklärt heißt in dem Fall: Die Tatbeteiligten wurden ermittelt. Zu Verurteilungen kommt es allerdings selten.
Der größte Teil der Verfahren landet gar nicht erst vor Gericht, weil die Staatsanwaltschaften sie vorher einstellen. 4.565 erledigte Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete zählt das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020 – ganze 70 Verfahren gegen Polizeibedienstete landeten an Amtsgerichten. Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus – weil Anzeigensteller ihre Erfolgschancen realistischerweise für gering halten und nicht selten mit Gegenanzeigen überzogen werden.
Für wichtiger halten viele Menschenrechtsorganisationen deshalb den Aufbau von unabhängigen Kontroll- und Beschwerdeinstanzen – aber auch das dümpelt in Niedersachsen eher vor sich hin. 2014 wurde eine Beschwerdestelle im Innenministerium eingerichtet, also beim obersten Dienstherren der Polizei.
Die Anzahl der dort gestellten Beschwerden stieg vor allem in den Corona-Jahren leicht an, bewegt sich insgesamt aber auf niedrigem Niveau: 456 Fällen waren es in 2019, jeweils 572 Beschwerden in 2020 und 2021. Nur zehn Prozent der Beschwerden wurden als zumindest teilweise berechtigt eingestuft.
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