Kenneth Anger ist gestorben: Der ungeheuerlichste Filmemacher
Kenneth Anger lieferte Avantgarde in jeder Hinsicht: Gay Cinema, Underground, Okkultismus, Mediensatire. Nun ist er im Alter von 96 Jahren gestorben.
„A film by Anger“. Diese handgeschriebenen Zeilen liefen 1947 als Vorspann zu „Fireworks“ über die Leinwand. Der Schöpfer dieses hemmungslos schwulen, dekadenten, kunstvollen wie selbstironischen Films, in dem sich der junge Protagonist tagträumerisch von muskulösen Matrosen verprügeln lässt und am Ende mit einer Flasche Schampus als Riesenphallus Glanz und Gloria verspritzt, bescherte der Welt seitdem unzählige Kunstwerke auf Zelluloid.
Kenneth Anger wurde als Kenneth Wilbur Anglemyer 1927 in Santa Monica geboren. Die Produktionsstätten der neuen Traumfabriken Hollywoods lagen nicht weit entfernt.
„Fireworks“ brachte ihm eine Einladung von Jean Cocteau nach Paris ein. Mehrere Jahre verbrachte Kenneth Anger in Europa. In Paris schrieb er ein Buch, das später zum Bestseller wurde: „Hollywood Babylon“.
Zurück in den USA, handelten seine Filme weiter vom (männlichen) Begehren – neben Pop- und Subkultur, alten und neuen Mythen, Warenfetisch und menschlicher Urangst. Angers bis 1966 längstes Werk „Lucifer Rising“ erzählt eine hypnotische Reise vom Epizentrum des New Age in Kalifornien über die westfälischen Externsteine an den Nil.
Neue Werke nach zwanzig Jahren Pause
Kenneth Anger lieferte Avantgarde in jeglicher Hinsicht: Gay Cinema, Underground, Okkultismus, Mediensatire – tauchte alles auf, weit bevor es Einzug in den Filmmainstream erhielt. Die Vermählung aus Popmusik und Film? Hat er schon in den 50ern vorweggenommen. Generationen an Filmemacher:Innen zehrten von seiner Ästhetik. Seine Filme folgten stets dem Credo: Je mehr Oberfläche, umso mehr Abgrund.
Nach zwanzigjähriger Schaffenspause zeigte Anger neue Werke: 2005 über Micky Mouse („Mouse Heaven“), 2012 über Zeppeline („Airships“). Weder vom Film- noch vom Kunstbetrieb ließ er sich so richtig vereinnahmen: Die künstlerische Autonomie stand bei ihm stets an vorderster Stelle. Und wenn er nicht zu Unrecht als filmischer Schöpfer des amerikanischen Alptraums gefeiert wird, dann muss man feststellen, dass Anger sich auch hier nicht für allzu Erwartbares hergeben mochte. Insgesamt, meinte der Filmemacher einmal, gebe es zumindest doch Länder, die in der Geschichte der Welt deutlich mehr Unheil angerichtet hätten.
Ein pechschwarzer Humor eilte Anger voraus. Ein Schelm im Land der Mythen- und Legendenschmiede. So ließ er schonmal seine eigene Todesanzeige veröffentlichen oder verkündete auf einer Beerdigung lauthals sein nahendes Ableben. Für Interviews traf er sich gern auf dem Hollywood Forever Cemetery, wo zahlreiche seiner Freunde, Weggefährten und Angehimmelten aus der Frühzeit der Filmfabrik ihre Ruhestätte haben. Dabei verströmten sein filmisches Werk wie auch seine Person selbst eine ungebrochene Lust am Diesseitigen. So zeigte sich Anger auf die Frage, was er im Jenseits erwarte, entsprechend desinteressiert: „Ich finde, das Leben ist interessant genug.“
Der ungeheuerlichste Filmemacher der Welt ist, wie jetzt bekannt wurde, am 11. Mai im kalifornischen Yucca Valey im Alter von 96 Jahren gestorben. Legt man seine eigenen Geburtsangaben zu Grunde, war er erst 93 Jahre alt.
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