Spielfilm „Eismayer“: Kontrolle ist Ordnung

Coming-out eines Soldaten: „Eismayer“, das Spielfilmdebüt des österreichischen Regisseurs David Wagner, berührt mit zwei starken Hauptdarstellern.

Der Ausbilder kontrolliert die Haltung der Soldaten

Harter Drill: Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) und seine Rekruten Foto: Salzgeber

Irgendwann lässt sich die Lüge nicht mehr aufrechterhalten. Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) und seine Frau Christina (Julia Koschitz) stehen am See und schweigen sich lange an. Es ist ihre erste Begegnung, seit sie ausgezogen ist. Wieder einmal war er spätabends nach Hause gekommen und aus ihrer Ahnung Gewissheit geworden, dass er sie betrügt. Was sie jetzt von ihm hört, trifft sie trotzdem unerwartet.

„Ich bin vom andern Ufer“, sagt er leise. Und so aus der Zeit gefallen wie der Satz klingt, ist auch Eismayer selbst. Der kleine drahtige Endvierziger mit der Glatze führt seit Jahren ein Doppelleben, seiner Frau und dem kleinen Sohn Dominik (Lion Tazber) gegenüber, und auch in seinem Beruf. Eismayer ist Vizeleutnant des österreichischen Bundesheeres. Und dort als einer der härtesten Ausbilder berüchtigt. Er will nicht als Schwuchtel gelten, kein Opfer sein, alles unter Kontrolle haben, zuallererst sich selbst.

In diesem Moment am See ist er zum ersten Mal klar und ehrlich: „Ich bin schwul. Schon immer.“ Und erzählt von der Mutter, die ihm damals sagte: Nur nicht darüber reden, das geht vorbei. Und vom Vater, der ihm nie wieder in die Augen geschaut hat, bis zu dessen Tod. Wie sie ihn zum Militär geschickt haben, damit ein Mann aus ihm wird.

Ganz zurückgenommen, fast resigniert sagt er das, aber die jahrelange Qual ist doch spürbar, die erfahrene Homophobie, die er internalisiert hat. Als er ihr gesteht, wie fasziniert er war, dass sie sich ausgerechnet für ihn interessiert habe und er durch die Heirat eine Weile dachte, geheilt zu sein, kann es Christina kein Trost sein. Als er geht, bleibt sie wie versteinert stehen.

Heilung durch Heirat

Es ist ein später Wendepunkt im Spielfilm „Eismayer“, dem Regiedebüt des Österreichers David Wagner, das vom lange aufgeschobenen Coming-out eines Berufssoldaten erzählt. Bis dahin eilt Eismayer ein Ruf voraus, der junge Rekruten nervös strammstehen lässt. Nicht ohne Grund. Um sich vor der Grundausbildung bei dem gefürchteten „Schleifer“ zu drücken, presst sich so mancher Rekrut schon mal reichlich Zahnpasta in den Rachen. Davon kriegt man Fieber und entkommt so womöglich den Schikanen.

Doch beim Appell hilft alles nichts: Eismayer lässt sich anhauchen und brüllt die Drückeberger an, wenn sich noch mal jemand dienstunfähig mache, kriege er einen Blutrausch. Er fordert absoluten Gehorsam und körperlichen Einsatz bis an die Grenzen. Wer aufmuckt, wird zu Liegestütz und Schlimmerem verdonnert. Und alle parieren.

Das hohe Maß an Disziplin fordert er von anderen ebenso wie von sich selbst. Er funktioniert im Beruf und in der Familie. Allenfalls kleine Auszeiten im Auto oder dunklen Ecken, wo er zum Triebabbau anonymen Sex mit Männern hat. Umso gnadenloser gibt er sich als Ausbilder, um auch nicht den Hauch eines Zweifels an seiner Männlichkeit aufkommen zu lassen.

Bis ihm mit Mario Falak (Luka Dimić) ein neuer Rekrut zugewiesen wird, der aus seinem Schwulsein keinen Hehl macht und auch mit seiner Identität als Sohn von aus dem Balkan stammenden Eltern selbstbewusst umgeht und das abfällige „Tschusch“ für sich umkodiert. Und der die Autorität des Ausbilders mit kleinen Gesten immer wieder herausfordert. Eismayer ist fasziniert von dem jungen Mann und lädt ihn schließlich unter einem Vorwand zu sich nach Hause ein. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Zuneigung, von der lange niemand wissen darf.

Wagners Film beruht auf einer wahren Geschichte, auf die er durch eine Zeitungsmeldung stieß. Eismayer existiert wirklich und der 1982 in Wien geborene Wagner porträtiert diesen widersprüchlichen Protagonisten mit großem Ernst und Respekt, rückt dessen Zerrissenheit in den Mittelpunkt. Dass er so berührt, liegt auch an Gerhard Liebmann, der diesen sich selbst züchtigenden Getriebenen intensiv und glaubwürdig verkörpert.

Die eigentliche Entdeckung des Films ist allerdings als Mario der 1986 in Sarajevo geborene und in Schwaben aufgewachsene Lukas Dimić, der zu den 185 Schauspielenden gehört, die sich vor zwei Jahren bei #Actout gemeinsam als queer geoutet haben.

Erniedrigungen, Schwulsein, Verweichlichung

„Kontrolle ist Ordnung“, lautet Eismayers Credo. Aus Angst vor Entlarvung hat er das System von Erniedrigung jahrelang mitgetragen, übererfüllt. Das Männlichkeitsbild wird allenfalls angekratzt, aber nie gänzlich infrage gestellt. Emotionen dürfen nur wohldosiert gezeigt werden, wer schwul ist, muss umso härter mit sich und anderen sein, um nicht als verweichlicht zu gelten.

Da passt es gut, wenn die anderen Kameraden nach anfänglichen homophoben Sprüchen Mario bald akzeptieren, weil er es wagt, dem gefürchteten Ausbilder die Stirn zu bieten.

Das militärische Prinzip von Disziplin und Gehorsam stellt auch der Film nicht infrage, gibt ihm allenfalls ein humaneres, zeitgemäßeres Antlitz. Als der Kettenraucher Eismayer, der selbst unter der Dusche qualmt, an Lungenkrebs erkrankt und zu einer Auszeit gezwungen ist, dreht Mario den Spieß um und drillt den Rehabilitierenden zu körperlicher Ertüchtigung.

Der Heiratsantrag

Immer mehr nimmt der junge Mann die Zügel in die Hand und bestellt schließlich Charles zum Prater, wo er ihm auf dem Riesenrad in schwindelnder Höhe einen Heiratsantrag macht. Die Ringe sind aus 20-mm-Patronen geschnitten, soviel Soldatenehre muss sein.

Und trotzdem ist der Schritt für Eismayer unvorstellbar. Jetzt ist er es, der drückt. Und Mario wirft ihm vor, er sei „von uns beiden die feige Schwuchtel“. Es dauert dann noch eine ganze Weile, bis Eismayer sich dann doch zur großen Geste aufrafft und vor versammelter Truppe Falak seine Liebe gesteht.

Wagners Spielfilm basiert auf einer wahren Begebenheit, die Idee dafür kam bei der Zeitungslektüre

Der Kuss der Männer wird von den anderen Soldaten bejohlt, so viel Mut zollt dann doch Respekt. Die Hochzeit selbst inszeniert Wagner nicht mehr, nur im Abspann zeigt er ein Foto des echten Paares. Am 31. Januar 2014 gaben sich Charles Eismayer und Mario Falak das Ja-Wort, in Galauniform im Kasernenhof.

Beim Filmfest in Venedig wurde „Eismayer“ vergangenes Jahr in der unabhängigen Nebensektion „Settimana Internazionale della Critica“ (Internationale Woche der Kritik) als bester Spielfilm ausgezeichnet. Im Januar erhielt er außerdem beim Max Ophüls Preis, dem Filmfestival für junges deutschsprachiges Kino in Saarbrücken, sowohl den Publikumspreis als auch den Preis der Filmkritik.

Es ist nach „Große Freiheit“ der zweite bemerkenswerte queere Film aus Österreich in jüngster Zeit. Und anders als etwa bei Oliver Hermanus’ „Moffie“ über einen schwulen jungen Mann in der südafrikanischen Armee ist „Eismayer“ nicht nur komplexer, es wird ihm auch ein Happy End gegönnt. Schon allein durch die wahren Begebenheiten, auf denen der Film beruht, auch wenn so manche Szene frei erfunden ist.

„Eismayer“. Regie: David Wagner. Mit Gerhard Liebmann, Luka Dimić u. a. Österreich 2022, 87 Min.

Doch so einfühlsam und berührend er von einer Liebe gegen alle Widerstände und einer späten Emanzipation erzählt, bleibt er doch im Beharren auf Strukturen und militärischem Weltbild ambivalent. Die Dreharbeiten wurden vom Bundesheer unterstützt, David Wagner hatte den Segen der realen Vorbilder, die bis heute „mit Herz und Seele Soldaten“ sind. In den Schlusscredits heißt es dann: „Dem Österreichischen Bundesheer ist es wichtig zu betonen, dass Sol­da­t:in­nen heute nach modernen Prinzipien der Pädagogik ausgebildet werden.“

So kommen am Ende alle gut weg: Eismayer, Falak und das Militär.

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