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Kenia-Koalition in Magdeburg bröckeltTriumph des Starrsinns

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Was gerade im Magdeburger Landtag passiert, ist keine Provinzaffäre. Es kann die politische Achse der Republik nach rechts verschieben.

Ministerpräsident Reiner Haseloff (3. v. l.) bei der CDU-Fraktionssitzung am Dienstag Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

D ie Kenia-Koalition ist fast am Ende. Gleich zwei ergebnislose Koalitionsschüsse an einem Tag gab es wohl noch nie. Stundenlang haben die PolitikerInnen im Streit über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags verhandelt, um sich mühsam darauf zu einigen, dass man weiter verhandelt. Wie eine Lösung aussehen kann, ist unklar. Der übliche Weg – man entsorgt Unlösbares in Formelkompromissen und verschiebt die Entscheidung – funktioniert nicht, weil 15 andere Bundesländer involviert sind. Die Situation hat etwas Paradoxes. Denn eigentlich wollen Grüne, SPD und die Mehrheit der CDU die Regierung nicht zerstören. Und doch gibt es kaum einen Ausweg.

Schuld daran ist die CDU-Fraktion. Sie sagt Nein zur Gebührenerhöhung der Rundfunkanstalten – und verweist mit grimmigem Stolz darauf, dass sie schon immer dagegen war. Diese Treue zu eigenen Grundsätzen will tapfer wirken. Doch sie ist mit dem nahen Ende der Regierung und einer Aufwertung der AfD zu teuer erkauft. Denn dieses Nein der CDU zahlt direkt bei der Hetze der AfD gegen „die Systemmedien“ ein. So schlägt Eigensinn in politischen Starrsinn um, der blind für die Folgen ist. Ist es nicht Hybris, dass die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt allen anderen Bundesländern und auch allen Unionsfraktionen, die in der Republik für die Erhöhung um 86 Cent im Monat gestimmt haben, jetzt ihren Willen aufzwingt?

Die tragische Figur der Affäre ist CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff. Er hat Eskalationsdynamik und Komplexität des Problems unterschätzt. Er hätte in der CDU-Fraktion mit Druck und Deals früh eine Mehrheit für das Ja organisieren müssen. Dann wäre die CDU-Fraktion in der Gebührenfrage unerfreulicherweise zwar gespalten gewesen. Aber das wäre nur ein Blechschaden gewesen. Jetzt gibt es einen Unfall mit vielen Verletzten.

Denn nun ist aus einer eher nebensächlichen eine fundamentale Frage geworden. Wer hat in der CDU in Sachsen-Anhalt das Sagen? Die Pragmatiker, die bislang meist die Mehrheit hatten, oder der rechte Flügel, der lieber mit der AfD als mit den Grünen regieren will? Die Kräfte in der Union in Sachsen-Anhalt, die die politische Quarantäne der AfD beenden wollen, haben Aufwind.

SPD und Grüne wollen die Regierung unbedingt retten. SPD und Grüne sind in der Kenia-Koalition schon mehrfach bis an die Grenze ihrer Selbstachtung gegangen. Mal stimmten Teile der CDU mit der AfD ab oder attackierten rot-grüne MinisterInnen der eigenen Regierung. Diese Duldsamkeit hat einen einleuchtenden Grund: Es gab keine bessere Alternative. Und das ist noch immer so. Es gibt keinen Plan B für die Zeit nach Kenia. Eine Mehrheit für eine Mitte-links-Regierung nach der Wahl 2021 ist sehr, sehr fern. Nach Kenia kommt wahrscheinlich wieder Kenia.

Die CDU spielt in Magdeburg mit der von Rechtsextremen durchsetzten AfD politisch über Bande. Das ist keine Provinzposse. Hier wird die politische Achse der Republik nach rechts verschoben. Dabei verlieren derzeit fast alle. Haseloff, der die AfD für antidemokratisch hält, schien immer der Garant zu sein, dass die starke rechte Minderheit in der Union bei der Stange bleibt. Jetzt muss man wohl sagen: Er war der Garant.

Für SPD und Grüne rückt näher, was sie mit bangem Blick in die Zukunft immer verhindern wollten – die Regierung verlassen. Und auch die Mitte-Politiker in der CDU-Fraktion in Magdeburg, die nun glauben, standfest einen Sieg gegen einen diffusen linksliberalen Mainstream zu erringen, gehören zu den Verlierern – sie ganz besonders. Sie haben die Tür für eine Zusammenarbeit mit der AfD weit aufgestoßen und einen politischen Raum geöffnet, den sie selbst nie betreten wollten. Der einzige Gewinner ist die AfD.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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20 Kommentare

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  • 86 Cent! Lächerlicher geht‘s nicht!

  • Und so wird aus einer inhaltlichen Frage eine politische Kampagne, die schön vom ersteren ablenkt. Bisher habe ich keinen Artikel gelesen, der sich mit dem ÖR offen und von allen Seiten betrachtet auseinandersetzt; vor allem auch damit, wo diese Milliarden eben nicht gut verwendet sind. Nennt man das nicht 'derailing'?

  • Der Traum bestimmter linker Milieus:

    Stimmengesamtheit/alt: 100%

    Stimmengesamtheit/neu: (100 - (Stimmenanteil der AfD))%

    für alle relevanten, journalistisch und diskursiv beleuchteten Abstimmungen in Deutschland für den Rest aller Tage.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt auf!

    “ Rundfunkbeitrag - taz.de/Kenia-Koali...roeckelt/!5734779/



    Vielerorts wird versucht, mit Berufung auf den Koalitionsvertrag, rot/grün für das akute Problem verantwortlich zu machen, mit der Behauptung, dieser Vertrag verbiete eine Anhebung des Rundfunkbeitrags. THOMAS DRÄGER taz.de/Streit-um-F...bb_message_4050267 hat sich wenigstens die Mühe gemacht, die Klausel aus dem "Kenia"-Koalitionsvertrag zu zitieren (und zu interpretieren). "Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen wir mit den notwendigen, strukturellen ( ! ) und organisatorischen ( ! ) Veränderungen fit für die Zukunft machen; dazu ist eine nachhaltige und sparsame ( ! ) Haushaltsführung bei den Rundfunkanstalten erforderlich. Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsstabilität ( ! ) fest …“



    ( Ausrufezeichen von mir [Thomas Dräger] )."



    Es mangelt offensichtlich bei Politikern, Journalisten und taz-Lesern (sic!) an Textverständnis. Das Ziel ist Beitragsstabilität. Die schließt Beitragserhöhungen doch nicht aus; denn bei Ausweitung des Angebots (z.B. online) und allgemeiner Kostenentwicklung sind Preiserhöhungen von 2,5 % seit 2009 (nach zwischenzeitlicher Senkung nun fünf Prozent seit 2015) ein Musterbeispiel von sparsamer Haushaltsführung und Preisstabilität !!! (Ausrufezeichen von mir)“

    kurz - Seit ich von da aus rübergemacht



    Ist da echt selten was durchdacht!



    & Auch -



    Daß meine Bank - den Briefverkehr!



    Über MD abwickelt - mißfälltmir sehr🤫

  • "Ist es nicht Hybris, dass die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt allen anderen Bundesländern und auch allen Unionsfraktionen, die in der Republik für die Erhöhung um 86 Cent im Monat gestimmt haben, jetzt ihren Willen aufzwingt?"

    Stimmt.



    Nächstens reicht es, wenn NRW oder Bayern abstimmen, dann ist der Bundestag gewählt.



    Ist doch Hybris, wenn anderswo anders gedacht und gewählt wird.

    "die CDU-Fraktion ... verweist mit grimmigem Stolz darauf, dass sie schon immer dagegen war."

    Nun, sie kann auch darauf verweisen, dass sich die ÖR arrogant genau um ziemlich gar keine Kritik geschert haben.



    Angesichst der Unmöglichkeit der Gebühr überhaupt zu entgehen oder auch nur minimalen Einfluss auf deren Verwendung zu nehmen (warum muss ein Intendant derart viel verdienen, nein, bekommen? Warum zusätzliche Altersversorgung? Warum finanzieren wir die korrupte Sport-Industrie? Brauchen wir jeden Sonntag und jeden Vorabend Gratis-Reklame für gesetzesverachtende Polizei?), ist die sowieso wirkungslose Zustimmung gewählter Parlamente die einzige Möglichkeit für die zahlende Bevölkerung, sich zu melden.

    Die ÖR haben sich eine gehörige Portion Schuld selbst zuzuschreiben.

    Ob das eine "Rechtsverschiebung" ist, ist auch eine Frage des Framings.



    Es wäre ja auch denkbar, das als frustriert und daher überdeutliche Aufforderung an die ÖR zu interpretieren, endlich mal ihre Hausaufgaben zu machen.

  • 6G
    63817 (Profil gelöscht)

    Nur mal zur Erinnerung das Wahlergebnis Sachsen-Anhalt 2016:

    CDU 29,8%



    AfD 24,3%



    Linke 16,3%



    SPD 10,6%



    Grüne 5,2%



    (FDP 4,9%)

    Eine absolute Mehrheit der Wähler in Sachsen-Anhalt haben für eine Politik abgestimmt, die KEINE Erhöhung des Rundfunkbeitrags im Wahlprogramm hat. (Was hat die FDP eigtl. dazu gesagt?? Aber noch "absoluter" würde die Mehrheit dadurch auch nicht.)

    SPD + Grüne (die lautstark dafür sind) kommen zusammen auf 15,8% der Wählerstimmen).

    Ich könnte die sachsen-anhaltinischen Wähler verstehen, die sich nun fragen, was es hier eigentlich noch zu diskutieren gibt?

    • @63817 (Profil gelöscht):

      Lieber Paul,



      dir ist schon klar, dass Sachsen-Anhalt Teil der Bundes-Republik ist? In den meisten Bundesländern ist die Position eine andere und die Erhöhung der Gebühren um 0,86€ ist ein Kompromiss aller Beteiligter. Die CDU eines Bundeslandes verschließt sich nun diesem Kompromiss.



      Ganz nebenbei finde ich "Erhöhung" hier ganz schön hoch gegriffen, in anderen Fällen hätte auch die CDU in Sachsen-Anhalt wohl eher von "Anpassung" gesprochen.

      • 6G
        63817 (Profil gelöscht)
        @TobiasK:

        "In den meisten Bundesländern ist die Position eine andere [...] Die CDU eines Bundeslandes verschließt sich nun diesem Kompromiss."

        Der Mitforist "Flip Flop" hat es schon sehr schön auf den Punkt gebracht: "Nächstens reicht es, wenn NRW oder Bayern abstimmen..."

        "Ganz nebenbei finde ich "Erhöhung" hier ganz schön hoch gegriffen"

        Absolut. Nennen wir die 5% mehr doch einfach "Senkung" und das Problem ist auf sehr elegante Weise gelöst.

        • @63817 (Profil gelöscht):

          5% für 11 Jahre (seit 2009) kann man angesichts der Geldentwertung wahrhaftig als „Senkung“ betrachten und bezeichnen.

          • 6G
            63817 (Profil gelöscht)
            @snowgoose:

            "5% für 11 Jahre (seit 2009)"... Das ist doch pure Augenwischerei!

            2013 wurde die geräteunabhängige Haushaltsabgabe eingeführt, verbunden mit der Abschaffung der Möglichkeit, nur ein Radiogerät anzumelden.

            -> Also haben sich für nennenswerte Teile der Bevölkerung zuletzt 2013 (!) die Beiträge erhöht (und nicht 2009). Wahlweise um 50% oder 100%.

            Dann sollte die Erhöhung 2013 "aufkommensneutral" sein. Große Überraschung: war sie aber nicht. Daraufhin wurde die Zwangsabgabe von 17,98 auf 17,50 "gesenkt", was - aufgrund der gestiegenen Anzahl an Zwangszahlern - in der Summe immer noch mehr Geld war als 2013. Das wurde fleißig gebunkert & ist nun offenbar aufgeraucht.

            Und jetzt noch mal ne Schippe drauf?!?

            Nicht, daß das schon unverschämt genug wäre, nu muss ich mir noch erzählen lassen, das wäre eigentlich eine "Senkung"??

            Dieselbe Argumentation möchte ich dann bei der nächsten Mieterhöhungsdebatte hier im Forum lesen.

  • Der CDU muss klar sein: Wenn sie mit der AfD paktiert, die bundesweit gerade auf dem absteigenden Ast sitzt, dann stärkt sie die AfD und zugleich unterstützt die CDU dann eine offen antisemitische Partei. Damit macht die CDU sich selbst zu einer antisemitischen Partei. Und erneut rollt eine konservativ-bürgerliche Partei – wie schon 1933 die Vorgängerpartei der CDU – Faschisten den roten Teppich aus.

    • @Jürgen Klute:

      Früher oder später haben alle ihr Coming Out ...

    • @Jürgen Klute:

      In der CDU gilt ein Unvereinbarkeitsbeschluss [1] für die Zusammenarbeit mit AfD und der Linken. Und auch wenn es sicher vereinzelte Mitglieder in der Union gibt die gegenüber den Proto-Faschisten der AfD keine Abgrenzung betreiben wollen, kann man verhältnismäßig sicher davon ausgehen, dass für die Gesamtpartei noch immer das Strauß´sche Diktum „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“ gilt.



      Aber der Schluss aus dieser Unvereinbarkeit kann doch nicht sein vollkommen stumpf immer das Gegenteil der AfD-Position fordern zu müssen. Die AfD will etwa auch mehr direkte Demokratie und Hartz IV durch ein Grundeinkommen ersetzen. Muss als Linker deshalb nun für Hartz IV und gegen direktdemokratische Elemente sein?

      [1] www.cdu.de/system/...d_afd_0.pdf?file=1

      • @Ingo Bernable:

        Das „Grundeinkommen“ nach AFD-Muster sieht aber anders aus.

    • @Jürgen Klute:

      Und wenn die AfD plötzlich auf mehr erneuerbare Energie setzen sollte, müssten die Gründen plötzlich dagegen sein?

      Diese unsinnige Logik ist mehr als andere verantwortlich "die AfD zu stärken", weil damit sowohl jede andere Interpretation verworfen wird, als auch die zugrunde liegende Kritik an den ÖR pauschal als rechts diffamiert wird, um sich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen.

  • Es hätte doch so einfach sein können. Wer in seinem Koalitionsvertrag Beitragsstabilität vereinbart, darf halt den Statsvertrag nicht unterschreiben. Und wer, wie der Autor, von Hybris und aufgezwungenem Willen spricht, der hat wohl das Prinzip der Einstimmigkeit nicht verstanden.

  • RS
    Ria Sauter

    Das kann doch nicht wahr sein, eine solche Schlussfolgerung!



    Wie wäre es, wenn die regierenden Parteien gegen diese Erhöhung stimmen?



    Wenn die braune Brühe nun behauptet, die Erde wäre eine Kugel müssen alle anderen behaupten, das wäre unwahr?



    Das kann ja "lustig" werden.

  • 6G
    63817 (Profil gelöscht)

    "Die tragische Figur der Affäre ist CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff. [...] Er hätte in der CDU-Fraktion mit Druck und Deals früh eine Mehrheit für das Ja organisieren müssen."

    Wahlweise hätte auch Grüne & SPD in den letzten Jahren das machen können, was sie gemeinsam mit der CDU in den Koalitionsvertrag geschrieben haben.

    Wenn Haseloff jetzt einknickt dann war's das für die CDU bei der nächsten Wahl. (Die FDP wählt nach der Einknicknummer in Thüringen ohnehin schon keiner mehr.)

    Was kommt dann in Sachsen-Anhalt? Minderheitenregierung von SPD, Grünen & Linken? CDU & AfD gemeinsam in der Opposition, allerdings um Gottes willen vermeiden, bei irgendwas dieselben Positionen zu vertreten?

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @63817 (Profil gelöscht):

      jetzt wird sich zeigen was Solidarität mit Sachsen Anhalt heißt. Bleibt die Koalition bis Juni, macht das Land eine Trendabfrage ob dieses Thema noch bis Juni zu klären ist oder gibt es einen Zug vor Gericht mit der Klärung unter welcher Bedingung eine Koalition zerbrechen darf. Es ist ja wohl eher zu vermuten dieser Streit ist wegen ausschließlicher Machtinteressen angefangen

  • NEIN zum GEZ-Erhöhung. Punkt.