Kellernerds und der Krieg: Geheimlehre mit Samuraischwert
Irgendwie fühlen sich die Konfliktzonen in der Trashkultur plötzlich wahrer an. Und es heißt doch, man solle nicht den Gegner, sondern das Böse töten.
W eil der legendäre Meister Munenori mir leid tat, habe ich sein Buch gekauft. „Der Weg des Samurai“ von 1632 war ein Zufallsfund im Dorfbuchladen, der von wegen Ukraine seine Militaria-B-Ware an die Straße geschoben hatte. Wo sonst der unterfränkische Weinguide, Fahrradtouren und Bauch-Beine-Po ausgestellt stehen, schmückten plötzlich U-Boote und Uniformierte die welligen Schutzumschläge. Und dazwischen Yagyu Munenoris Taschenbuch mit dem Samuraischwert auf dem Titel.
Seine „Anleitung zu strategischem Handeln“ galt dereinst als Geheimwissen, dessen man sich würdig zu erweisen hatte. Das behaupten jedenfalls die ersten Seiten des Mängelexemplars für 1,50 Euro. Und so großmäulig, wie der Herausgeber hier spirituelle Weisheiten für alle Lebenslagen verspricht, provoziert es einen natürlich, in den ange-zen-ten Aphorismen und Fechttipps nach Beknacktem zu blättern.
Erster Fund auf Seite 13: „Um ein Haus zu betreten, musst du zuerst durch die Eingangstür schreiten. Diese Tür ist der Weg ins Haus.“
Aber im Ernst: Tatsächlich kann ich dem Gedanken schon etwas abgewinnen, den hilflos-reaktiven Elendsdiskursen meiner Bubble zu entfliehen und mich zur Abwechslung mal wieder an strategischem Denken zu versuchen. Schließlich verhält es sich mit Strategie und Taktik bei uns Linksradikalen ja doch ganz ähnlich wie mit Theorie und Praxis: Zwar ist man zu nichts davon so wirklich imstande, streitet dafür aber umso verbissener über Spannungen und Differenzen.
Bedauerlicherweise kann daran auch das Samuraibuch nur wenig ändern. Ich lerne ja nun keinen Schwertkampf, und die philosophische Ausdeutbarkeit des Textes taugt auch höchstens bei ideologisch ausgehungerten Nachwuchsmanager:innen zur Sinnstiftung. Wenn überhaupt. Trotzdem komme ich vom Thema nicht los, habe vorsichtshalber mal wieder die Regeln von Guy Debords „Kriegsspiel“ ausgedruckt, die ungelesenen Artikel auf „Class Wargames“ gesichtet – und bin sogar mal wieder zum Nerdfachhandel in die Stadt, wo „Warhammer“ gespielt wird: das satirisch angehauchte Fantasyfranchise über Krieg, Rassismus und konkurrierende Klerikalfaschismen.
Drinnen saß ein junger Erwachsener: sportlich, halbwegs vernünftig angezogen und nicht ganz so blass wie die anderen. Er hat eine Space-Marine-Figur bemalt: in Blau und Gelb. Die Umsitzenden fanden das irre lustig und politisch richtig, zumal der „Warhammer“-Hersteller ja gerade sein Russlandgeschäft auf Eis gelegt hatte. Die Ära der unpolitischen Keller-Nerds ist vorbei, im Guten wie im Schlechten.
Persönlich fand ich den ukrainischen Weltraumkrieger zwar eher dämlich, muss aber zugeben, dass selbst der oberflächliche Mainstream der Konfliktsimulationsszene sich gerade um einiges relevanter anfühlt als fünf Wochen zuvor. Vielleicht ist „Warhammer“ aus Nerdland auf seine Weise sogar wahrer als das Kubakrisenplanspiel zum Selbstausschneiden, das ich mir anlässlich des letzten Irakkriegs gekauft hatte.
Das ist nämlich der Kern dieser Geschichte, die ganz ähnlich etwa auch Paul Verhoevens Film „Starship Troopers“ erzählt: Dass eine Welt zwischen realer Vernichtungsgefahr und Generalmobilmachung zur Selbstverteidigung bald nur noch von Bösen und noch Böseren bewohnt wird.
Nein, ganz so einfach steht es um die Realweltlage dann auch wieder nicht. Aber die Arbeit am Trashmotiv bringt einen möglicherweise doch weiter als das nächste Solikonzert der Symphoniker:innen. Und steht zuletzt nicht auch in Meister Munenoris Mängelexemplar, man solle „nicht den Gegner, sondern das Böse töten“? Denken Sie mal drüber nach.
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