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Keine klimaneutrale ProduktionOhne grünen Stahl müssen Stahlkocher zittern

Arcelormittal will seine deutschen Werke nun doch nicht auf ökologischere Produktion umrüsten. Eine Gefahr für die Branche – und tausende Mitarbeiter.

Arcelormittal: Die Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nicht für die Produktion von grünem Stahl modernisiert Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Im Januar hatte es Friedrich Merz gesagt – und kräftig Prügel eingesteckt: Er glaube nicht daran, so der damalige Kanzlerkandidat der Union, dass der schnelle Wechsel zur grünen Stahlproduktion in Deutschland erfolgreich sein werde. Es gebe nicht genug preisgünstigen grünen Wasserstoff, zudem sei eine „grüne“ Tonne Stahl mindestens 300 Euro teurer als die konventionelle. Es war Wahlkampf: Schon einen Tag später relativierte Merz seine Aussage, damit Ruhe war.

Nun herrscht Unruhe. In der Stahlindustrie. Bei den Mitarbeitern der deutschen Arcelormittal-Stahlwerke. Und bei denen, die sich über Deutschlands Klimaziele und den ökologischen Umbau der energieintensiven Stahlindustrie Sorgen machen. Die deutsche Dekarbonisierungsstrategie hat eine herbe Schlappe einstecken müssen: Die Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nicht für die Produktion von grünem Stahl modernisiert, kündigte Arcelormittal am Donnerstag an. Grund: Die „politischen, energie- und marktbezogenen Rahmenentwicklungen haben sich nicht in die erhoffte Richtung entwickelt“, ließ der weltweit zweitgrößte Stahlkonzern verlautbaren.

Der auf dem Markt verfügbare grüne, also mit erneuerbaren Energien produzierte Wasserstoff sei wie der für die Produktion von Stahl ebenfalls notwendige Strom in Deutschland zu teuer. Deshalb will Arcelormittal Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro von Bund und Ländern gar nicht erst in Anspruch nehmen.

Ursprünglich wollte der Konzern bis 2030 je einen Hochofen in Bremen und in Eisenhüttenstadt durch Elektrolichtbogenöfen und eine sogenannte Direktreduktionsanlage ersetzen. Dabei werden Erdgas oder Wasserstoff eingesetzt, um dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen, nicht mehr Kohle und Koks wie in einem klassischen Hochofen. Die neuen Anlagen sollen perspektivisch mit „grünem“ Wasserstoff betrieben werden, sobald er preisgünstig und in ausreichender Menge zu haben ist.

Klimakiller Stahlproduktion

Bis zu 5,8 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid könnten so pro Jahr eingespart, 3,8 Millionen Tonnen CO2-reduzierter Stahl produziert werden. Das hätte enorme Auswirkungen auf die Emissionen vor Ort gehabt. Die Branche ist einer der größten Klimakiller: Das Stahlwerk in Bremen mit seinen 3.200 MitarbeiterInnen allein ist für rund die Hälfte der kompletten Treibhausgasemissionen des Bundeslandes verantwortlich.

Nicht nur ihre Jobs sind nun in Gefahr. Der Schritt ist auch ein herber Schlag für den klimaneutralen Umbau der Stahlindustrie in Deutschland insgesamt. Neben dem Arcelormittal-Projekt haben auch die Unternehmen Salzgitter, Thyssenkrupp und SHS (Stahl-Holding-Saar) Förderbescheide in Höhe von insgesamt rund 5,6 Milliarden Euro erhalten.

Die Umsetzung dieser Projekte laufe bereits, hieß es am Freitag aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings hatte auch Thyssenkrupp bereits an der Umsetzung seiner Pläne gezweifelt. Hintergrund ist hier allerdings auch der geplante Konzernumbau. Die Stahlsparte soll verkauft oder an die Börse gebracht werden. Thyssenkrupp hat bereits angekündigt, 11.000 Arbeitsplätze in dem Bereich abbauen zu wollen.

„Die Entscheidung ist ein riesiger Rückschlag für die deutschen Standorte von Arcelormittal“, sagt Rudolf Hickel, Bremer Ökonom und Stahlexperte, zur taz. Doch der Konzern mit Sitz in Luxemburg habe sich „nur“ gegen seine deutschen und für seine französischen Standorte entschieden, weil die Subventionen im Nachbarland höher seien, so Hickel.

Vor einem Monat hatte Arcelormittal angekündigt, 1,7 Milliarden Euro in eine klimaneutrale Produktion seiner Werke in Fos-sur-Mer und Dünkirchen zu stecken. Die Salzgitter AG betonte, weiter auf Grünstahl zu setzen. Die Absage von Arcelormittal sei jedoch ein „deutliches Signal dafür, dass die Rahmenbedingungen für Transformationsprojekte verbessert werden müssen“.

Nur die Rüstungsindustrie fordert mehr Stahl

Die Stahlkocher hierzulande haben heftige Probleme. Die Energiekosten sind hoch, die Nachfrage schwächelt insbesondere aus der Automobilbranche und aus dem Maschinenbau, nur die Rüstungsindustrie benötigt gerade mehr Stahl. Rüstungskonzerne wie Rheinmetall fordern heimische Produzenten bereits auf, mehr militärtaugliches Metall herzustellen.

Doch das dauert. Derweil ächzt die Branche unter Billiganbietern aus Fernost, vor allem aus China. Die Exporte in die USA gehen zurück, weil die Regierung sie mit hohen Zöllen belegt hat. Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte immer wieder die Bedeutung der Branche für Europa über den Klimaaspekt hinaus betont, um die gigantischen Subventionen zu rechtfertigen: „In Zeiten der geopolitischen Instabilitäten kann Deutschland es sich nicht erlauben, beim Ausgangspunkt tausender industrieller Wertschöpfungsketten abhängig von Drittstaaten zu werden“.

Branche mit CO2 kaum überlebensfähig

Dass emissionsintensiver Stahl aus Europa ohne Umstellung wettbewerbsfähig bleiben kann, ist kaum vorstellbar. Im europäischen Emissionshandel steigen die vereinbarten Preise für jede Tonne Treibhausgas in den kommenden Jahren kontinuierlich an. CO₂-belasteter Stahl wird sich auf Dauer nicht mehr am Markt platzieren lassen, prophezeien Fachleute.

Linken-Chefin Ines Schwerdtner sprach deshalb von einem „Alarmsignal für den Industriestandort Deutschland“. SPD-Fraktionsvize Armand Zorn betonte, es brauche eine langfristige Industriepolitik: „Denn es ist klar, dass sich die Dekarbonisierung für unsere Industrie auch ökonomisch rechnen muss.“ Die Politik könnte beispielsweise im Schienenbau eine Quote für grünen Stahl festlegen, um für stetige Nachfrage zu sorgen.

Die IG Metall forderte den inzwischen zum Kanzler gewählten Friedrich Merz auf, einen Stahl-Krisengipfel einzuberufen. Die für kommende Woche geplanten Betriebsversammlungen im Bremer Stahlwerk wurden abgesagt, stattdessen die Belegschaft zu einer Kundgebung aufgerufen.

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12 Kommentare

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  • Grüner Wasserstoff: was ich beobachte ist, dass entlang verschiedener Bahnstrecken mehr und mehr Solarfelder erbaut werden. Das ist 100% positiv.



    Aber es ist Zeit, die Stromproduzenten stärker in die Pflicht für unverkäuflichen Strom zu nehmen. Und damit den Steuerzahler zu entlasten ( ~ 6 Cent für ein nicht verkauftes KW ?).



    Pflicht: Anschluss an eine entsprechende Speichereinheit, oder/und für die Erzeugung von Grünem Wasserstoff, gerne auch in Kooperationen.



    Klar, das mindert den Profit.

  • Der Dr. Graichen hat das vorausgesagt. Müssen wir eben mehr Infantrie bei der Bundeswehr aufbauen.

  • Ich nehme mal an dass der Konzern sich nicht nur wegen der "höheren Subventionen" für die Standorte in FFrankreich entschieden hat sondern auch weil I(1) die Strompreise wesentlich niedriger sind und (2) wegen das Atomstroms die CO2 Belastung der Stahlherstellung viel niedriger ist. Eine win-win Situation für Frankreich, lose-lose für Deutschland. das eigentliche Problem liegt doch darin dass hier eine grüne Stahlherstellung gefordert wurde ohne dass klar war wo der Wasserstoff überhaupt herkommen kann. Eine typische Habeck-Entscheidung. beruhend auf Wunschträumen und völlig bar jeden Fachwissens. Und teuer natürlich, aber Robert will ja jetzt ins Trumpland gehen, weit weg. Die Folgen dieser Misere sehen wir aber jetztund hier. Hier müsste man die gesamte Vorgehensweise neu aufstellen, und mit der wirtschaftlichen Herstellung von Wasserstoff beginnen. Die Abnehmer werden sich dann schon finden. Mit den Abnehmern zu beginnen bedeutet das Pferd von hinten aufzäumen, was nicht funktioniert und wobei wenn man Pech hat das gute Tier einem auch noch einen Tritt verpasst..

  • Deutsche Stahlproduzenten in der Krise.



    Vorweg: ich bin kein Bauingenieur. Trotzdem frage ich mich, warum unsere Brücken nach 30-40 Jahren marode und abbruchreif sind, während die Brooklyn Bridge, die Brücken in LA, der Eifelturm usw. auch nach vielen Jahrzehnten noch intakt sind.



    Weil sie instand gehalten werden können. Die wesentlichen Elemente sind aus Stahl, genietet. Immer überprüfbar und auswechselbar.

    • @LeKikerikrit:

      ah, das ist ein langes Thema. erstmal zur Dauerhaftigkeit, es gibt Brücken die über 2000 Jahre alt und immer noch in Betrieb sind, z.B. Ponte Milva in Rom. Die nimmt sich aber niemand zum Vorbild. Unsere Brücken wurden in einer sehr wirtschaftlichen aber auch sehr empfindlichen Bauweise gebaut (Spannbeton). Rissbildung ist im Beton unvermeidbar. Bei Brücken dringt dann Wasser und Tausalz ein welches die häufig nicht 100%ig vor Korrosion geschützten sog. Spannglieder angreift. Stahl unter hoher Spannung korrodiert schneller als Stahl unter geringer Belastung, was die Empfindlichkeit von Spannbeton erhöht. Bei statisch unbestimmten Tragwerken (die meisten unserer Talbrücken) bewirken Fundamentbewegungen zusätzliche Belastungen. Solche Bewegungen sind oft schwieirg abzuschätzen. Dazu kommen mögliche Schlamperei beim Bau, zu geringe Betonüberdeckung usw. Schließlich sind die Belastungen durch erhöhtes Verkehrsaufkommen und höhere LKW-Gewichte auch gewachsen. Das Verhältnis von tatsächlichen zu angenommenen Verkehrslasten hat sich stark verändert und weitere Sicherheitspolster gekostet. Und, daran alle diese und noch unbekannte Faktoren beim Entwurf einzubeziehen hat keiner gedacht..

      • @Gerald Müller:

        "Unsere Brücken wurden in einer sehr wirtschaftlichen aber auch sehr empfindlichen Bauweise gebaut (Spannbeton). Rissbildung ist im Beton unvermeidbar."



        Der Architekt weiß das doch auch. Und er wird "seine" Brücke nicht ein zweites mal mal bauen. So lang halten die denn doch.



        "... Ponte Milva in Rom. Die nimmt sich aber niemand zum Vorbild." Stimmt nicht ganz: Heidelberg:



        upload.wikimedia.o...eidelberg_corr.jpg



        Mindestens die gleiche Statik/Technik

  • Wir hatten günstige Energie, wir hatten günstiges, russisches Gas. Jetzt wird dort produziert wo es günstige Energie gibt. Da wir uns das überteuerte, umweltbelastendes, dreckiges US-Tracking-Gas haben aufzwingen lassen, ist es eben vorbei mit der Stahlproduktion bei uns. Trump hatte ja auch lächend zu Friedrich neulich gesagt, dass er schon immer gesagt hat, dass es nichts wird mit Nord Stream. Und Friedrich saß daneben und lächelte nur ...



    Wie traurig.

  • Nennen wir mal Zahlen und Fakten:

    1.) Der Anteil der CO2-Emissionen Deutschlands liegt bei ca. 7,5%

    2.) Das ist ein hoher Anteil der gesamten Emissionen der Industrie die ca. 20% der deutschen Emisssione ausmachen.

    3.) Die Stahlerzeugung durch Reduktion von Eisenerz benötigt vereinfacht gesprochen ein "Reduktionsmittel" wie Kohle-Koks, Erdgas oder Wasserstoff.

    4.) Kohle und Kohlekoks sind heute "Standart", Länder mit "bililgem" weil eingenem Erdgas wie USA, Russland und im Arabischen Raum verwenden heute schon anteil Erdgas.

    5.) Die CO2-Reduktion von Erdgas gemessen am "Standart" Kohle und Kohlekoks liegt bei ca. -66% also 2/3 weniger Emissionen.

    6.) Erdgas ist im Gegensatz zu Wasserstoff verfügbar, die Verfahen etabliert und "Makrtfähig" -- siehe Punkt 5.

    7.) Eine zukünftige "Substitution" eines Teils des Erdgas durch Wasserstoff -- wenn dieser verfügbar werden sollte -- ist möglich.

    Fazit:

    Klimaschutz kann man nur mit der Technik betreibe die Verfügbar ist -- nicht mit Technik die man gerne hätte aber nicht hat.

    Zitat Positionspapiert der Industrie:

    "Für die schnelle Erreichung klimapolitischer Ziele ist Erdgas für die Stahlindustrie ein unverzichtbarer Baustein."

  • Und die Moral von der Geschicht', dann wird der Stahl halt demnächst woanders gekocht.



    Dann ist Bremen grün - juhu.



    Finanziell wars eh schon immer das Schlusslicht unter den Bundesländern, da fallen ein paar tausend arbeitslose Stahlkocher auch nicht mehr ins Gewicht - wer braucht schon Arbeit wenn er dafür Klima hat...



    Oh, ach nee, dass haben ja dann trotzdem nicht, weil der Stahl nicht grün, sondern konventionell irgendwo anders auf der Welt gekocht wird - wahrscheinlich auch noch deutlich umweltschädlicher als hier, egal, Hauptsache Deutschland wird klimaneutral.



    Dann können wir besserwisserisch mit dem Finger auf den Rest der Welt zeigen - Bremen säuft deswegen dennoch ab, erst recht egal.



    Wieder einmal zeigt sich: Ideologie ist nicht die Lösung.



    Wir brauchen Stahl, Punkt.



    Nicht nur für Rüstung, auch fürn Bau 🏗️



    Und wer jetzt sagt, man kann auch grün bauen, stimmt, aber Züge, U-Bahn, S-Bahn und die Tram fahren nicht auf Holz und Brücken, die bei uns auch durch und durch marode sind, lassen sich erst recht nicht aus Schilf, Kompost oder Holz in die Landschaft stellen 🤷‍♂️



    Auch Windräder sind aus Stahl hab ich mir sagen lassen - na hoppla, Indien freuts, Stahl ahoi

    • @Farang:

      Ich könnte jetzt schreiben: "Auch durch tausende wissenschaftlich belegte Studien über den menschlichen Anteil der Klimaerwärmung ... usw usw ..."



      Mach ich aber nicht, @Farang.



      Was sich nicht mit meiner Ideologie deckt, ist Ideologie. Basta.

  • Wenn der Panzer bei 30to Stahl, 9000 Euro teurer wird, das merkt doch keiner im Preis. Also, grünen Stahl für Panzer.



    Ansonsten werden die vorgeschlagenen Rezepte nicht aufgehen, jedenfalls nicht, wenn EU Stahl in einer intern. Konkurrenz steht.



    Eher ist wahrscheinlich, dass der CO2 Preis ausgesetzt wird.

    • @fly:

      Das sind 9000 € (vor Steuern ;-)) weniger Rendite für Aktionäre. Das geht nun wirklich nicht