Katja Kipping über „Linken“-Streit: „Reinigendes Gewitter“
Die Vorsitzende der Linken über Hintergründe des jüngsten heftigen Flügelkampfes in ihrer Partei. Von Mobbing zu reden sei Quatsch, sagt sie.
taz: Frau Kipping, wenn man putscht, dann doch wenigstens richtig. Wieso ist Ihr Putsch gegen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch schief gegangen?
Katja Kippinger: Bernd Riexinger und ich, wir haben bereits nach der Wahl gesagt, es wird bei unserem Vorschlag für den Fraktionsvorsitz keine Überraschungen geben. Wir haben im geschäftsführenden Parteivorstand Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch einstimmig vorgeschlagen und dafür geworben, dass sie ein gutes Ergebnis bekommen. Und dann haben wir uns erstens für eine bessere Verzahnung von Fraktion und Partei engagiert und dafür, dass die Vielfalt der Fraktion sich in der Zusammensetzung des Fraktionsvorstands widerspiegelt. Es ging uns nur darum und um nichts anderes.
Sahra Wagenknecht hat Ihnen vorgeworfen aus dem Hinterhalt zu intrigieren, sie wegmobben zu wollen.
Das ist Quatsch. Dazu kann ich nur sagen: dieser Brief sagt viel über die Verfasserin aus und wenig über mich. Diese Anschuldigungen weise ich zurück.
Sie haben versucht, die Macht der Fraktionsvorsitzenden zu begrenzen, Sie nennen es eben Verzahnung.
Am Ende hat die Fraktion den Fraktionsvorstand gestärkt, da er jetzt die Breite widerspiegelt. Es gab in den letzten Jahren da einige Defizite. Ein Drittel der Fraktion fühlte sich nicht entsprechend vertreten. Das wollten wir ändern und haben am Ende einen Kompromiss gefunden. Bei der Geschäftsordnung und beim Personaltableau.
Katja Kipping, 39, sitzt seit 2005 für die Linke im Deutschen Bundestag und ist seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger Vorsitzende ihrer Partei
Wenn es diese Defizite gibt, dann ist doch die Fraktion nicht gut geführt worden. Warum haben Sie dann Bartsch und Wagenknecht wieder als Fraktionsvorsitzende vorgeschlagen?
Weil sie gute Spitzenkandidaten waren und wir mit ihnen ein gutes Ergebnis eingefahren haben. Aber es gab natürlich Defizite und als Partei müssen wir in dieser schwierigen gesellschaftlichen Situation unsere volle Schlagkraft entfalten. Und da ist es besser, wenn die Fraktion in ihrer Vielfalt auch im Fraktionsvorstand abgebildet ist. Mir ist wichtig: inhaltliche Alleingänge und eine Politik der Basta-Sprüche bringen uns nicht weiter, sondern schaden uns. Wir brauchen einen lebendigen Streit in der Sache, wenn es etwa um ein linkes Einwanderungsgesetz geht oder die Sozialstaatsgarantie in Zeiten der Digitalisierung.
Es ging Ihnen als Parteiführung darum, Stimmrecht im Fraktionsvorstand zu bekommen und ein zu den Fraktionsvorsitzenden gleichberechtigtes Rederecht. Haben Sie bei den fraglichen Anträgen die Feder geführt?
Es gab verschieden Initiativen aus der Fraktion heraus, von denen ich einige befürwortet habe. Das Stimmrecht wäre ein Mittel gewesen, Partei und Fraktion besser zu verzahnen. Am Ende haben wir diesen Vorschlag zurückgezogen und für ein anderes Personaltableau geworben. Für diesen Kompromiss habe ich mich stark gemacht und ich freue mich sehr, dass am Ende auch Sahra Wagenknecht von einer Politik der Rücktrittsandrohungen Abstand genommen hat und sich auf einen Kompromiss eingelassen hat.
Neu im Vorstand ist Sabine Leidig als Beauftragte für soziale Bewegungen. Warum ist das wichtig für Sie?
Das ist nach innen und außen ein gutes Signal. Sabine steht für sozialökologischen Umbau, sie war lange Zeit Geschäftsführerin bei Attac. Es ist uns wichtig, all das, was im Parlament passiert, eng zu verknüpfen mit der Arbeit von sozialen Bewegungen, weil wir nur im Zusammenspiel dem gesellschaftlichen Rechtsruck etwas entgegensetzen können.
Leidig steht für das ökosoziale Milieu, das neu in die Partei kommt. Nun geht es bei Ihnen ja auch darum, welche Wähler Sie künftig ansprechen: die urbanen Akademiker oder die Arbeiter. Muss sich die Partei zwischen diesen Gruppen entscheiden?
Nein, das fände ich verheerend. Unser Selbstverständnis wie die Wahlstrategie sehen vor, dass wir die unterschiedlichen Milieus ansprechen, sowohl diejenigen, die in sozialen Brennpunkten leben, die Beschäftigten, als auch die jungen, alternativen Weltoffenen.
Dafür …
… habe ich mich auch persönlich eingesetzt, ich habe ja nicht nur in Hörsälen gesprochen, sondern habe auch Haustürbesuche in Plattenbauvierteln gemacht und früh morgens vorm Jobcenter gestanden und Aktionen des Pflegepersonals unterstützt.
Das Thema Flüchtlinge, Einwanderung und die Abgrenzung zur AfD werden die Fraktion und den Bundestag in den nächsten Monaten ganz sicher beschäftigen. Ist denn Sahra Wagenknecht für diese Themen die Richtige, um als Fraktionsvorsitzende die Debatte anzuführen?
Sie wird natürlich klare Flagge gegen rechts zeigen, genauso wie die Fraktion in Gänze. Unser Dreiklang lautet: eine soziale Offensive für alle, Fluchtursachen bekämpfen sowie das Grundrecht auf Asyl verteidigen und Bewegungsfreiheit stark machen.
Und für alle drei Punkte steht Sahra Wagenknecht?
Davon gehe ich doch stark aus.
Zumindest bei der Bewegungsfreiheit, sprich offene Grenzen für alle, sieht Sahra Wagenknecht gegenwärtig keine realistischen Umsetzungschancen.
Meiner Meinung geht es beim Thema Bewegungsfreiheit um eine Haltungsfrage und nicht um eine unmittelbare Umsetzungsperspektive. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit und Flüchtlingsschutz sind Teil unserer linken DNA. Und darüber, wie ein linkes Einwanderungsgesetz funktionieren kann, darüber können wir wirklich diskutieren. Ich habe dazu einen Vorschlag gemacht und freue mich auf die Debatte.
Als einfache Abgeordnete haben Sie jetzt ein herausgehobenes Rederecht. Was bedeutet das konkret?
Das bedeutet, dass ich als Parteivorsitzende Themen und Positionen, die der Partei wichtig sind, im Plenum starkmachen kann.
Ist die Linksfraktion nach dieser Klausur geschlossener oder polarisiert?
Vielleicht war es ein reinigendes Gewitter, nicht alle Konflikte sind gelöst. Aber in der Fraktion unter den Abgeordneten gab eine ernsthafte Debattenkultur. Und die eigentliche Arbeit beginnt jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen