Katholische Kirche Frankreich: Missbrauchsskandal in der Kirche
Laut einem Bericht über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche wurden ca. 330.000 Minderjährige Opfer von sexualisierter Gewalt.
![Der Schatten eines Priesters, der bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster Der Schatten eines Priesters, der bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster](https://taz.de/picture/5147466/14/28561533-1.jpeg)
„Diese Zahlen sind mehr als besorgniserregend. Sie sind erdrückend und dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben“, mahnte Sauvé, selbst praktizierender Katholik. Das Ausmaß des Kindesmissbrauchs übertraf seine eigenen Befürchtungen: Noch zu Jahresanfang war der pensionierte Vize-Präsident des Staatsrats von rund 10.000 Opfern ausgegangen. Der katholischen Kirche warf er vor, ein System aus Nachlässigkeit, Fehlern und Schweigen errichtet zu haben. „Die Kommission ist zu einem einstimmigen Schluss gekommen: Die Kirche wollte nicht sehen, nicht verstehen, die schwachen Signale nicht empfangen.“
Kühl rechnete Sauvé vor, dass die Gefahr, Missbrauchsopfer zu werden, in katholischen Einrichtungen zweimal höher war als beispielsweise im Sportverein oder einer staatlichen Schule. „Die katholische Kirche ist neben dem Familien- und Freundeskreis das Milieu, wo die sexuelle Gewalt am höchsten ist.“ Sauvé empfahl deshalb, dass die katholische Kirche jedes einzelne Opfer finanziell entschädigen müsse. „Das ist kein Geschenk, sondern eine Pflicht.“ Außerdem müsse sie Laien in ihre Entscheidungsstrukturen mit einbeziehen. Auch die Priesterausbildung müsse reformiert werden. François Devaux, eines der Opfer, forderte die Kirche auf, „für diese Verbrechen zu bezahlen“.
Die katholischen Bischöfe hatten bereits im Frühjahr ein System finanzieller Entschädigung angekündigt, das sich allerdings aus den Spenden der Gläubigen speisen soll. Anders als in Deutschland gibt es im laizistischen Frankreich keine Kirchensteuer.
485 Seiten Bericht
Jean-Marc Sauvé, Leiter der kommission
Ähnlich wie in anderen Ländern wurde die sexuelle Gewalt der Priester in Frankreich verschwiegen, bis die ersten Skandale in den USA und Irland ans Licht kamen. Seinen eigenen Skandal erlebte das Land 2016 mit dem Fall des Erzbischofs von Lyon, Philippe Barbarin. Dem Kirchenmann wurde vorgeworfen, jahrelang den Priester Bernard Preynat gedeckt zu haben, der sich an Dutzenden Pfadfindern verging. Der Missbrauch lieferte dem Regisseur François Ozon die Vorlage für seinen Film „Grâce à Dieu“. Barbarin wurde im vergangenen Jahr in zweiter Instanz freigesprochen, gab aber sein Amt auf und zog sich zurück.
Vor zweieinhalb Jahren beschlossen die französischen Bischöfe, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die den Kindesmissbrauch aufarbeitet. Drei Millionen Euro gaben die Bischofskonferenz und die Vereinigung der Ordensleute für diese Arbeit aus, die in ihrem Ausmaß die Aufarbeitung in anderen Ländern deutlich übersteigt. Mithilfe der Organisation France victimes befragte eine unabhängige Kommission unter dem Vorsitz von Sauvé mehr als 6.500 Opfer. Außerdem nutzten die 22 Kommissionsmitglieder, darunter Juristen, Psychiater, Anthropologinnen, Theologinnen und Soziologinnen, die Kirchenarchive und forschten in Justiz- und Polizeidokumenten sowie alten Zeitungen. Heraus kam ein 485 Seiten langer Bericht mit 2.000 Seiten Anhang, der die sexuelle Gewalt gegen die Kinder dokumentiert – begangen von rund 3.000 Priestern und Ordensleuten.
„Ich war schockiert“, beschreibt die Generalsekretärin der Kommission, Sylvette Toche, die Auswertung von Tausenden Mails, die sie von Opfern erhielt. „Die Personen wurden sexuell angegriffen, sprachen in ihrer Familie, der Kirche, mit Honoratioren darüber und keiner glaubte ihnen“, sagte Toche der Zeitung La Croix. Jahrzehntelang herrschte eine „grausame Gleichgültigkeit“, die sich erst durch den Fall Barbarin änderte.
Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Eric de Moulins-Beaufort, bat die Opfer um Vergebung. „Ich drücke meine Scham aus, mein Entsetzen, meine Entschlossenheit zu handeln.“ Die Reaktion auf den Bericht bleibt allerdings den einzelnen Bischöfen in ihren Diözesen überlassen. Einige hatten ihre Gläubigen vor Veröffentlichung des Dokuments vor den Schockwirkungen gewarnt – andere blieben stumm.
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