Katholische Heime für Behinderte: Gewalt war alltäglich
Behinderte Kinder und Jugendliche in der frühen Bundesrepublik litten unter erniedrigender und grausamer Behandlung. Das ergibt eine aktuelle Studie.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass behinderte Kinder und Jugendliche ebenso wie alle anderen Heimkinder in der frühen Bundesrepublik unter erniedrigender und grausamer Behandlung gelitten haben. Der Studie zufolge haben 70 Prozent körperliche Gewalt erlebt und 60 Prozent psychische Gewalt. Jede und jeder dritte Befragte berichtete überdies von sexuellen Übergriffen.
Viele wurden Opfer willkürlicher und fachlich nicht nachvollziehbarer Entscheidungen. Knapp ein Viertel weiß nicht, aus welchem Grund sie oder er ins Heim kam. Weitere zehn Prozent haben nachweislich weder eine körperliche noch eine geistige Behinderung. Die rund 1.000 bis 2.000 Kinder in katholischen Behinderteneinrichtungen in der DDR waren in die Studie nicht einbezogen.
Der Geschäftsführer der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Stücker-Brüning, sagte, die Studie sei ein wichtiger Schritt zur Rehabilitation der Betroffenen. Sie bestätige ihre Erfahrungen und ihr Leiden. Er begrüßte die Einigung von Bund und Ländern über die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“, aus der ehemalige behinderte Heimkinder bis zu 14.000 Euro in Geld und Sachleistungen bekommen können. Die Kirchen beteiligen sich zu einem Drittel an dem Fonds.
Berechnungen zufolge leben noch rund 97.000 ehemalige Heimkinder in Deutschland, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe waren oder sind. Bis in die 1970er Jahre waren 95 Prozent der Heime in kirchlicher Hand. Rund 40 Prozent wurden von der katholischen Kirche und Ordensleuten geführt, 60 Prozent von evangelischen Trägern.
Die Untersuchung ist auf Initiative des Caritas-Fachverbandes Behindertenhilfe und Psychiatrie in Auftrag gegeben worden. Die Wissenschaftler befragten zunächst 45 Personen ausführlich und im Anschluss 339 weitere Personen anhand standardisierter Fragebögen, von denen 293 in die Auswertung eingingen. Die Ergebnisse können wegen der geringen Zahl nicht hochgerechnet werden auf alle damals in Behinderteneinrichtungen untergebrachten Kinder.
Die Interviewpartner wurden in Leichter Sprache oder mit Hilfe von Gebärdendolmetschern befragt. Alle leben bis heute in einer katholischen Einrichtung.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“