Katarina Barley über die Europawahl: „Ein gigantisches Projekt“
Sie verspricht eine Steuer für Digitalkonzerne, hält die Grünen für elitär und freut sich auf Brüssel: die SPD-Spitzenkandidatin im Gespräch.
taz am wochenende: Frau Barley, Sie sagen über sich selbst: „Ich nehme mir Sachen zu Herzen, bin verletzbar und sehr ehrlich.“ Sind Sie zu nett für Politik?
Katarina Barley: „Zu nett“ war mal eine Schlagzeile, als ich SPD-Generalsekretärin wurde. Aber ich glaube – nein. Als ich noch nicht Politikprofi war, fand ich es grässlich, im Wahlkampf von der Bühne angeschrien zu werden. Ich mache das anders. Ich gebe einen kurzen Input, dann reden wir miteinander. Vor allem Frauen finden das gut.
Was hat Sie in der Politik zuletzt verletzt?
Wenn ich in meinem Amt hart kritisiert werde, trifft mich das nicht. Da geht es um die Rolle, nicht um mich als Person. Wie ich aber wegen des Artikel 13 persönlich angegriffen wurde …
… der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform, die manche für das Ende des freien Internets halten.
Das hat mich nicht kalt gelassen. Aber verletzt, das wäre zu viel. Es ist eben Wahlkampf.
Katarina Barley (Jahrgang 1968) ist zusammen mit Udo Bullmann SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl am 26 Mai. Derzeit ist sie noch Bundesjustizminsterin, wird dieses Amt aber aufgeben, wenn sie nach Brüssel geht. Zuvor war sie Familienministerin und von 2015 bis 2017 SPD-Generalsekretärin. Sie zählt zur Parteilinken.
Der SPD-Slogan für die Europawahl lautet: „Europa ist die Antwort.“ Ist das nicht allzu schlicht?
Warum?
Weil die EU an wichtigen Themen scheitert. Sie ist in der Flüchtlingspolitik gelähmt und bei der Finanzmarktregulierung gelinde gesagt langsam.
Wir leben in Europa seit 70 Jahren in Frieden und Wohlstand und können uns als Gemeinschaft relativ kleiner Staaten gegen Player wie die USA und China behaupten. Bei mir zu Hause, in der Region Trier, pendeln täglich 200.000 Menschen zur Arbeit über Grenzen. Das ist nicht selbstverständlich. All das steckt in diesem Slogan.
Mit „Seid stolz auf das Erreichte“ werden Sie keine Wahl gewinnen.
Wir müssen uns das schon auch in Erinnerung rufen. Wichtig ist, darüber hinaus in die Zukunft zu denken. Die EU ist im Moment vor allem ein Wirtschaftsraum. Wir möchten ein soziales Europa schaffen, in dem alle von ihrem Job leben können. In der Männer und Frauen den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. Ein soziales Europa ist ein gigantisches Zukunftsprojekt.
Viele Leute fragen sich trotzdem: Wie profitiere ich von Europa? Was ist mein Benefit?
Von einem sozialen Europa profitieren alle Menschen. Aber die Leute erwarten nicht nur den persönlichen Benefit. Beispielsweise wollen sie hören, wie eine realistische europäische Asyl- und Migrationspolitik aussehen könnte: Die SPD wirbt für einen europäischen Flüchtlingsfonds, der auf eine Idee von Gesine Schwan zurückgeht. Kommunen, die Flüchtlingen helfen, bekämen direkt Geld von der EU – an den nationalen Regierungen vorbei, die das im Moment zum Teil blockieren. Die Bereitschaft zur Unterstützung ist durchaus da, in polnischen Städten genauso wie in manchen Gemeinden in Bayern.
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Ein zentrales Argument gegen die Groko-Skeptiker war, dass die SPD den Stillstand in Europa beenden muss und für eine sozialdemokratische Handschrift in der EU sorgen wird. Wo ist die?
Dass auf Ebene der Regierungschefs keine Antwort auf Macron kommt, finde ich fatal. Aber Olaf Scholz hat zusammen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire einen Vorschlag zur Digitalsteuer eingebracht. Der ist leider an vier EU-Ländern gescheitert – in Steuerfragen gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Nun ist das Ziel, auf OECD-Ebene eine Mindestbesteuerung von Unternehmen zu erreichen.
Wir haben nicht den Eindruck, dass Scholz die Digitalsteuer forciert. Er fürchtet, dass die deutsche Exportindustrie leidet, wenn Gewinne dort besteuert werden, wo sie gemacht werden. Wie passt das zu dem Versprechen der SPD, dafür zu sorgen, dass Amazon genauso Steuern zahlen muss wie der Bäcker um die Ecke?
Olaf Scholz kämpft auf OECD-Ebene vehement für eine globale Mindestbesteuerung. Bereits nächste Woche sind einige EU-Finanzminister zu Besuch in Berlin, die an seiner Seite stehen. Die Alternative sind Bestrebungen mancherorts, die Steuersystematik global zu ändern. Die Steuern nicht mehr am Produktionsort zu erheben, sondern dort, wo die Produkte verkauft werden. Das würde für Deutschland riesige Einbußen bedeuten. Eine weltweite Mindestbesteuerung ist der bessere Weg – auch weil er alle Unternehmen erfasst, nicht nur die Digitalwirtschaft.
Das wird an den USA scheitern.
Eben nicht. Die USA habe seit Kurzem eine Mindestbesteuerung – und daher ein Interesse, diese auch global einzuführen. Die OECD will bis nächsten Sommer einen Vorschlag machen. Falls das missglückt, wird die EU 2021 eine Digitalsteuer beschließen. Deutschland hat in der zweiten Hälfte 2020 die Ratspräsidentschaft.
Also gibt es 2021 auf jeden Fall in der EU eine von der Bundesrepublik forcierte Digitalsteuer. Können Sie das versprechen?
Ja, kann ich. Wir werden eine Digitalsteuer durchsetzen.
Ein warnendes Beispiel ist die Finanztransaktionssteuer. Die wird nicht 35 Milliarden bringen, wie einst anvisiert, sondern, wie von Scholz geplant, in der EU nur ein Zehntel davon. Es werden nur Aktien besteuert, keine Derivate. Bleibt da von dem SPD-Argument, Europa müsse die Finanzmärkte zähmen, noch etwas übrig?
Wir brauchen einen Fuß in der Tür. Wie beim Mindestlohn. Da gab es auch Kritik: Die einen sagten, das wird massenhaft Arbeitsplätze vernichten, die anderen, dass 8,50 Euro zu wenig sind. Gut, dass wir ihn durchgesetzt haben. Auch die Finanztransaktionssteuer wird funktionieren. Immerhin hat Scholz die Einführung geschafft, was Wolfgang Schäuble in vielen Jahren nicht gelungen ist. Die SPD fordert weiter, die Steuer auf Derivate auszuweiten.
Die SPD war stolz auf das Europakapitel im Koalitionsvertrag. Aber umgesetzt ist davon nichts. Es gibt keine EU-Mindestlohnregelungen und das Eurozonenbudget fällt auch schmal aus.
Deshalb machen wir das jetzt zum Thema. Wir sind für einen EU-Mindestlohn, angepasst an das Einkommensniveau der jeweiligen Länder, die Konservativen sind dagegen. Das ist eine klare Alternative.
Warum dringt die SPD so wenig durch?
Abwarten. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat deutlich gemacht, dass sie europäische Mindestlöhne ablehnt, die sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will. Im Moment entscheidet sich, wer es ernst meint mit dem sozialen Europa.
Die Linkspartei setzt auch auf Sozialpolitik und die Grünen werben für die „föderale europäische Republik“. Droht die SPD zerrieben zu werden?
Die Linkspartei ist in der Europapolitik tief gespalten und hat viele EU-Gegner in ihren Reihen.
Die Grünen liegen in den Umfragen vor der SPD.
Föderale europäische Republik? Ganz ehrlich: Das ist doch eine elitäre Diskussion. Dafür kann sich ein Mensch nichts kaufen, der fürchtet, dass sein Betrieb ins EU-Ausland verlagert wird, weil es dort weniger Mitbestimmung gibt.
Wie viel Prozent wollen Sie bei der Europawahl schaffen?
Damit beschäftige ich mich nicht. Die Frage hat mir noch nie ein Bürger gestellt, das fragen nur Journalisten.
Überlegen Sie sich nicht, was ein Erfolg wäre? Das ist doch fundamental.
Wissen Sie, meine Maxime lautete immer: Ich tue da, wo ich bin, alles, was ich kann. Wie viel Prozent da am Ende rauskommen, hängt von so vielen Faktoren ab. Es würde generell guttun, sich weniger auf Zahlen zu fixieren.
Die „heute-show“ hat einen bösen Gag gemacht: Die SPD habe die geniale Idee gehabt, die Tochter von Katarina Barley zu plakatieren. Verletzt Sie so was?
Nein. Die Plakate zeigen mich so, wie ich bin. Aber auf dem Bild sehe ich vielleicht jünger aus als gerade jetzt.
… eine sehr junge Katarina Barley blickt zur Seite, darauf der Slogan „Zusammenhalt“.
Ich bin gestern um halb fünf aufgestanden, heute um viertel nach fünf. Ich habe innerhalb von 36 Stunden fünf oder sechs Städte gesehen, da sieht man nicht mehr ganz frisch aus. Sie sehen ja auch nicht jeden Tag gleich aus.
Wurde das Foto bearbeitet?
Für diese Großflächen geht kein Bild völlig unbearbeitet raus, glaube ich. Aber ich habe großen Wert darauf gelegt, dass an den Bildern nicht viel rumgemacht wird.
Sie haben eine rasante Karriere in der SPD gemacht. 2013 Einzug in den Bundestag, 2015 Generalsekretärin, 2017 Familienministerin, 2018 Justizministerin, 2019 Brüssel. Wirkt etwas unstet, oder?
Nach der Wahl 2017 habe ich noch für ein halbes Jahr das Arbeitsministerium von Andrea Nahles übernommen, ein sehr großes Haus, und zwei wichtige Ministerien gleichzeitig geführt. Jeder Schritt hatte seine Gründe. Mit Unstetigkeit hatte das nichts zu tun, eher mit Belastbarkeit.
Aber Sie sind die Frau für alle Fälle in der SPD?
Das habe ich mal unvorsichtigerweise bei einem Politischen Aschermittwoch so formuliert.
Bleiben Sie dauerhaft in Brüssel? Es könnte ja sein, dass die SPD 2021 Hilfe braucht.
Ich plane ein langfristiges Engagement in Europa. Mein gesamtes Privatleben verlagert sich gerade nach Brüssel, auch mein jüngerer Sohn kommt mit. Ich freue mich darauf.
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