Karneval in Kreuzberg: Samba, Samba den ganzen Tag
Alles wie immer beim Umzug? Nicht ganz: Den Wagen des Yaam führen Flüchtlinge an. Außerdem war es superheiß.
Die ersten Schaulustigen haben sich am Hermannplatz postiert. Eine arabisch sprechende Familie hat sich Campingsessel in schwarz-rot-gold mitgebracht, einige Rentner haben auf der kleinen Sitztribüne gleich ganze Stuhlreihen mit Gehstöcken reserviert. Die Sonne brennt mittags um halb eins mit voller Kraft, und die Zuschauer haben noch einiges vor sich: Der Karneval der Kulturen startet hier, und die letzten Wagen des kilometerlangen Umzugs werden erst gegen 17 Uhr losfahren.
Zunächst aber wünscht die Polizei den Gästen über Megafon viel Spaß. Dann geht es los: Mit vielen Trommeln, TänzerInnen und einem großen grünen Frosch führt die Sambaschule „Sapucaiu No Samba“ wie schon in den vergangenen zwei Jahren den Umzug an. Langsam kommt der Zug in Fahrt, die Menge schließt sich an – auch wenn dafür die bequemen Schattenplätze verlassen werden müssen.
Eine Stunde später und drei Kilometer weiter beim Straßenfest am Blücherplatz ist die Stimmung genauso gut. Aus dem zweiten Stock eines Hauses schießt jemand mit einer Wasserpistole in die Menge, die das jubelnd begrüßt. Abkühlung, die wichtig ist: Bis 16 Uhr werden die Sanitäter bereits zwölf Menschen ins Krankenhaus bringen müssen, meist wegen Überhitzung und Dehydrierung.
Viel trinken tun die meisten, allerdings hat der Großteil eher einen Becher Caipirinha als eine Flasche Wasser in der Hand. Verkauft werden die Getränke nicht nur an den Ständen des Straßenfests, die außerdem von Leberkäse bis Räucherstäbchen so ziemlich alles feilbieten, was in die Kategorie kulturelle Erzeugnisse passt. Auch die Spätkaufs und manche AnwohnerInnen am Straßenrand machen ein gutes Geschäft. In der Zossener Straße bieten ein paar Kinder ihre alten Spielsachen an, ein Antiquitätengeschäft nutzt den Tag für einen Räumungsverkauf. Ein Bekleidungsladen um die Ecke hat nur für manche geöffnet: „Rein kommt, wer nett und nicht nach Ordnungsamt aussieht“, sagt der Besitzer, drinnen gibt es dann erst mal ein Glas Sekt.
Sekt, Bier, Caipi: Je länger der Tag, desto betrunkener die Gäste. Die meisten sind trotzdem friedlich, nur vereinzelt wird gepöbelt. Eine Gruppe junger Frauen hat sich ihre Cocktails inklusive Orangenscheiben in Marmeladengläsern mitgebracht, „ist praktisch, weil man die zwischendurch zuschrauben und in die Handtasche stecken kann“, sagt eine von ihnen. Die fünf drängen sich durch die Menge, hier geht es nur schiebend voran.
Rund eine dreiviertel Million Menschen sind laut Veranstalter gekommen, das Publikum ist hier so gemischt wie beim Karneval üblich. Erst zum Schluss des Umzugs wird es langsam homogener: Dort, wo Clubs wie das Ritter Butzke ihre Wagen haben, bleibt das junge Partyvolk unter sich.
„Alles wie immer beim Karneval“, finden zumindest die jungen Männer, die hinter den Lautsprecherboxen des „Yaam“ tanzen. So ganz stimmt das allerdings nicht, denn direkt vor ihrem Wagen gibt es eine Premiere: Flüchtlinge von der Gruppe „Lampedusa in Berlin“ führen die Yaam-Formation an, viele von ihnen verteilen Flyer, auf denen sie über ihren Protest informieren. „Wir sind hier, weil wir zeigen wollen, dass wir ein Teil dieser Stadt sind“, sagt Sprecher Bashir Zakariyar, „und weil wir nicht nur kämpfen, sondern auch gemeinsam feiern wollen.“
Der Wagen des Yaam gehört zu den letzten der insgesamt 84 Formationen, das Ende des Zugs wird erst gegen 21 Uhr den Abschlussort am Mehringdamm erreichen. Hinter dem Zug wird die vermüllte Straße sichtbar. Es wird eine Weile dauern, bis hier aufgeräumt ist. Den allerletzten Abschluss des Zugs bilden die, die damit schon mal anfangen: Mit Einkaufswägen und Sackkarren machen sich die Flaschensammler an die Arbeit.
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