Karlsruhe zu Paragraf 219a: Klagen werden nichtig
Drei Frauenärzt:innen hatten Verfassungsbeschwerde gegen Paragraf 219a eingelegt. Mit der jetzigen Reform haben sich die Klagen erledigt.
Derzeit liegen in Karlsruhe drei Verfassungsbeschwerden von Frauenärzt:innen vor, die auf ihren Webseiten über die von ihnen angebotenen Methoden des Schwangerschaftsabbruchs informierten und deshalb zu Geldstrafen verurteilt wurden. Konkret geht es um die Klagen von Bettina Gaber aus Berlin, Kristina Hänel aus Gießen und Detlef Merchel aus Nottuln.
Die bloße Abschaffung des Strafparagrafen würde die Verfassungsbeschwerden zwar nicht unzulässig machen, denn die Strafurteile sind ja rechtskräftig und würden deshalb normalerweise bestehen bleiben. Allerdings sieht der Gesetzentwurf, den der Bundestag heute beschließt, ausdrücklich vor, dass auch bisherige Verurteilungen auf der Grundlage von Paragraf 219a „aufgehoben“ werden. Ohne Verurteilung ist aber die von den drei Ärzt:innen monierte individuelle Grundrechtsverletzung gegenstandslos, was die Verfassungsbeschwerden unzulässig macht.
Wenn die Ärzt:innen ihre Klagen nicht zurücknehmen, werden sie vermutlich zunächst vom Gericht informiert, dass die Klagen unzulässig geworden sind. Wenn die Klagen dann immer noch aufrechterhalten werden, wird es einen kurzen nichtssagenden Beschluss einer mit drei Richter:innen besetzten Kammer geben, dass die Verfassungsbeschwerden wegen Unzulässigkeit nicht angenommen wurden. Es besteht keine Chance, auf diesem Weg doch noch eine Karlsruher Entscheidung über die postulierte Verfassungswidrigkeit des Paragrafen 219a herbeizuführen.
Gegenklagen sind möglich, aber unwahrscheinlich
Allerdings könnte das Thema auch auf anderem Wege nach Karlsruhe kommen. Ein Viertel der Bundestagsabgeordneten könnte gegen die Abschaffung von Paragraf 219a eine abstrakte Normenkontrolle erheben. Erforderlich wären 184 Abgeordnete. Die CDU/CSU-Fraktion hat 197 Abgeordnete, die AfD-Fraktion nur 80 Abgeordnete. Die AfD könnte den Fall also nicht allein nach Karlsruhe bringen.
Klagen könnten auch einzelne Landesregierungen. Allerdings gibt es derzeit kein Bundesland, in dem CDU oder CSU allein regieren. Stets müssten sie Rücksicht auf Koalitionspartner von SPD, Grünen, FDP oder Freien Wählern nehmen, die eine derartige Verfassungsklage gegen die Liberalisierung wohl kaum mittragen würden.
Auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die verfassungsrechtliche Kritik an der Abschaffung von Paragraf 219a zuletzt leiser geworden. Noch Anfang des Jahres hatte Elisabeth Winkelmeier-Becker, die Vorsitzende des Rechtsausschusses, erklärt: „Mit den Änderungen wäre das Mindestmaß an Schutz, das das Bundesverfassungsgericht verlangt, wohl unterschritten.“ Gemeint ist der Schutz für das „ungeborene Leben“.
Inzwischen hat man in der Union aber wohl eingesehen, dass eine Verfassungsklage wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Es werden ja nur sachliche Informationen über das eigene Angebot der Ärzt:innen legalisiert, während eine „anpreisende Werbung“ für Abtreibungen nach dem Heilmittelwerbegesetz ausdrücklich verboten bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!