piwik no script img

Kanzlerin Merkels BalkanreiseEine Perspektive bieten

Jana Lapper
Kommentar von Jana Lapper

Mit Kanzlerin Merkel verliert der Westbalkan eine wichtige Unterstützerin. Der EU-Beitritt muss für diese Länder als Perspektive erhalten werden.

Albanien, Tirana: Merkel befindet sich auf einer Abschiedsreise durch den Westbalkan Foto: Franc Zhurda/ap/dpa

W enn Angela Merkel nach 16 Jahren ihr Amt abgibt, verliert der Westbalkan eine seiner wichtigsten Unterstützerinnen – vor allem, wenn es um den EU-Beitritt geht, den Serbien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina anstreben. Dafür hat Merkel 2014 den „Berliner Prozess“ ins Leben gerufen.

Kein Wunder also, dass Merkel bei ihrer Abschiedstour in Belgrad und Tirana mit wehenden deutschen Flaggen und lobenden Worten begrüßt wurde. Dass sie kurz vor ihrem Abtreten in die Region reist, will sie auch als mahnende Geste für die Zeit danach verstanden wissen: Schaut auf diese Region! Denn zu lange hat die EU weggeschaut, war zu sehr mit sich selbst beschäftigt – und dann kam die Pandemie. Die EU-Erweiterung ist mittlerweile nicht nur ins Stottern geraten, sondern zum Erliegen gekommen.

Doch dieses Desinteresse kann sich die EU nicht leisten. Nicht nur, weil Mächte wie Russland und China ihren Einfluss stetig ausbauen. Auf dem Balkan brodelt es unentwegt, überall ist der Autoritarismus auf dem Vormarsch. In Bosnien und Herzegowina schüren nationalistische Scharfmacher Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Anerkennung des Kosovo durch Serbien, für die sich Merkel eingesetzt hat, stagniert. Korruption grassiert, junge Menschen suchen eine bessere Zukunft in Westeuropa oder den USA.

Baustellen gäbe es also genug. Doch wenn Merkel geht – und wer weiß, wer ihr als Kanz­le­r*in nachfolgt –, könnten in der EU die Bremser einer Osterweiterung Oberwasser bekommen, allen voran Frankreich. Dann rückt die EU-Perspektive in noch weitere Ferne und die Gefahr, dass sich das Pulverfass Balkan tatsächlich wieder entzündet, näher. Sichtbar wurde das zuletzt in Montenegro, als vor gut einer Woche die Weihe des neuen Kirchenoberhaupts Gewalt auf den Straßen provozierte.

Kri­ti­ke­r*in­nen sagen, Merkels Strategie des Dauerdialogs sei gescheitert. Alternativen nennen sie aber nicht. Und es gab ja auch Erfolge, etwa den Plan eines gemeinsamen Marktes, abgeschafftes Roaming, badende Ser­b*in­nen in der albanischen Riviera – für viele lange undenkbar.

Der Berliner Prozess muss bleiben. Der bescheidene Fortschritt und der Frust in den Balkanländern zeigen aber auch: Den routinierten Bekundungen einer „EU-Perspektive“ müssen politische Taten folgen. Ein Problem bleibt, dass einzelne Mitgliedstaaten einen Beitritt blockieren können, im Fall Nordmazedonien Griechenland und Bulgarien. Die Änderung solcher Mechanismen muss die Union jetzt angehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jana Lapper
Redakteurin
Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Merkel und Perspektive: schön. Immer wieder schön.

    Für WEN denn im Westbalkan?

  • Perspektiven bieten, das ist absolut richtig. Gleichzeitig sollte aber klar sein, das erst eine Aufnahme möglich ist, wenn die staatlichen Strukturen in den Beitrittskandidaten wirklich demokratisch gestaltet sind.

    Das ist zum Teil bei einigen vorherigen Kandidaten schon nicht der Fall gewesen. Nun rächt sich das und es gibt autoritäre und korrupte Staaten in der EU, die die EU-Mechanismen zu ihren Gunsten benutzen. Dieses Problem vergrößert sich nur, wenn nun weitere Aufnahmekandidaten in die EU kommen, die noch lange nicht "westlich" in ihren staatlichen Strukturen sind. Die Bevölkerungen sind da wahrscheinlich viel weiter, nur müssen es auch die staatlichen Organe sein. Sind undemokratisch organisierte Staaten erstmal in der EU, fällt das allen auf die Füße.

    Die Bevölkerung in den Beitrittskandidaten ist sehr wohl demokratiefähig, das ist gar keine Frage, aber eben diese Regierungen und diese staatlichen Strukturen nicht. Zum Glück können Strukturen aber geändert werden, das muß Voraussetzung zur Aufnahme sein. Und das sollte die Perspektive für die dortige Bevölkerung sein.

    • @nutzer:

      Wenn die EU nämlich mit diesen Regierungen über eine Aufnahme verhandelt, stützt sie diese Strukturen, denn für die Bevölkerung ist klar, mit diesem Personal kommen wir in die EU. Es fehlt die Motivation für neue Strukturen zu stimmen, demokratische Veränderungen anzustoßen. Wie die konkret aussehen ist Sache der dortigen Bevölkerung, nicht der EU, aber es kann nicht ernsthaft erwartet werden, wenn die Nationalisten die teilweise entscheidende Teilhaber der Krisen der letzten Jahrzehnte waren nun in der Regierung sitzen, das sich nachhaltig etwas an den politischen Strukturen dieser Länder ändert...? Geschweige denn eine Aussöhnung zwischen diesen Staaten möglich ist.

  • 9G
    97627 (Profil gelöscht)

    "Und es gab ja auch Erfolge, etwa den Plan eines gemeinsamen Marktes, abgeschafftes Roaming, badende Ser­b*in­nen in der albanischen Riviera"

    Also rein wirtschaftliche. Das ist natürlich nicht wahr. Denn Merkel ging es natürlich auch darum, dass die Balkanstaaten Flüchtlinge möglichst fern halten sollen. Wird hier natürlich nicht erwähnt. Die drohenden Zwangsumsiedlungen von Roma, als zufällig gewähltes Beispiel, sind auch nicht vom Tisch. Die SOK macht weiter mit dem Serbischen Nationalismus usw. usf.

  • Unter welchem Stein haben Sie denn die letzten 15 Jahre gelebt? Das Einstimmigkeitsprinzip ist schon seit dem Vertrag von Amsterdam auf ganz wenige Bereiche beschränkt, neuerdings gibt es sogar die Möglichkeit Rechtsstaatsverletzungen finanziell zu sanktioniert, das können Sie hier bei keinem Bundesstaat in Deutschland machen.



    Ohne den Euro und die EZB wären wir in der Finanzkrise gnadenlos untergegangen. Unserer DM wäre durch die Decke geschossen, wir hätten als Exportvizeweltmeister den Laden dicht machen können, die Arbeitslosenzahlen wären explodiert und unsere Unternehmen wären scharenweise nach Polen und Tschechien abgewandert. Da können Sie sich ja dann toll von Ihren satten Zinsen leben, wenn es sonst nichts mehr gibt. Leider sind nicht alle Menschen in Deutschland Rentier wie Sie!

    • @hedele:

      das ist es, genau auf den Punkt gebracht!

      Es ist absurd, wie die öffentliche Meinung hierzulande die eigentliche Rettung nicht mitbekommen hat und sich über die Retter echauffiert. Es ist weit entfernt von gut, aber die EZB und der Euro waren der Strohhalm der uns vor dem Untergang bewahrt hat.



      Die jetzigen niedrigen Zinsen haben nämlich ganz andere Ursachen und zwar wirtschaftspolitische, die maßgeblich von dieser Bundesregierung und den sog. Nordländern verfochten werden.



      Aber das ist zu komplex für die allgemeine Wahrnehmung. Obendrein ist diese Verdrehung auch sehr im Sinne der herrschenden neoliberalen Ökonomik, die sich auf BWL-niveau mit VWL-themen befasst.

  • Eine zentral gesteuerte EU erstickt an der 1 Staat Veto Regel. Je mehr Länder rein kommen, desto weniger handlungsfähig wird die EU, sie ist heute schon kaum handlungsfähig, siehe Polen und Ungarn.



    Die EWG war schlichtweg die bessere Lösung der europäischen Länder. Und leider muss ich jetzt auch feststellen, dass der Euro keine gute Idee war, weil viele Staaten schlichtweg nicht damit umgehen können und öfters eine Abwertung ihrer Währung brauchen um nicht in ihren Schulden zu ersticken. So aber leiden wir unter der Nullzinspolitik, während diese gleichzeitig zu unendlicher Überschuldung vieler Südländer führt.



    Man muss reagieren, wenn man Fehler erkennt. Die EU aber reagiert leider nicht und probiert einfach nur mit lockerer Geldpolitik ihre Konstruktionsfehler zu kaschieren.

    • @Rudi Hamm:

      Perspektiven bieten, das ist absolut richtig. Gleichzeitig sollte aber klar sein, das erst eine Aufnahme möglich ist, wenn die staatlichen Strukturen in den Beitrittskandidaten wirklich demokratisch gestaltet sind.



      Das ist zum Teil bei einigen vorherigen Kandidaten schon nicht der Fall gewesen. Nun rächt sich das und es gibt autoritäre und korrupte Staaten in der EU, die die EU-Mechanismen zu ihren Gunsten benutzen. Dieses Problem vergrößert sich nur, wenn nun weitere Aufnahmekandidaten in die EU kommen, die noch lange nicht "westlich" in ihren staatlichen Strukturen sind. Die Bevölkerungen sind da wahrscheinlich viel weiter, nur müssen es auch die staatlichen Organe sein. Sind undemokratisch organisierte Staaten erstmal in der EU, fällt das allen auf die Füße.



      Die Bevölkerung in den Beitrittskandidaten ist sehr wohl demokratiefähig, das ist gar keine Frage, aber eben diese Regierungen und diese staatlichen Strukturen nicht. Zum Glück können Strukturen aber geändert werden, das muß Voraussetzung zur Aufnahme sein. Und das sollte die Perspektive für die dortige Bevölkerung sein.

    • @Rudi Hamm:

      sie verdrehen da einiges, besonders Ihre finanzpolitischen Überlegungen sind einfach von den Beinen auf den Kopf gestellt.



      Insgesamt klingt bei Ihnen durch "Wenn nur die richtigen Entscheider in der EU das Sagen hätten wäre vieles besser", aber die Südländer, die Schuldner usw. Das ist eine zu tiefst simplifizierte und personalisierte Problemanalyse und verkennt, die grundlegenden Mechanismen und Strukturen die dahinter liegen. Wen Sie auf der Positivseite verorten ergibt sich daraus eigentlich im Umkehrschluß. Das wäre aber zutiefst kolonialistisch. Wenn ein Bündnis, dann für und mit allen. Und nicht nur der vermeintlich "Vernünftigen".

    • @Rudi Hamm:

      Das ist auch meine Meinung.



      Solange die EU nicht einmal ihre paar politischen Grundsätze durchsetzen kann, weil sie handlungsunfähig ist, wäre ich gegen jegliche Erweiterung.



      Im Gegenteil: Wir sollten rechten Autokratien wie Polen, Ungarn oder Tschechien eine baldige Austrittsperspektive geben.

      Frankreich war unter Macron übrigens immer ein Motor für mehr Europa.



      Er ist damit an der unsäglichen Union gescheitert.

  • Sollte die EU vor einer Erweiterung nicht bitte zuerst mit allen bestehenden Mitgliedern die Verteilung von Migranten verlässlich und nachhaltig regeln, die Korruption bekämpfen und die Frage der Rechtsstaatlichkeit ebenso für alle verbindlich regeln bzw. einen Sanktionskatalog verabschieden, bevor neue Mitglieder aufgenommen werden? Ich hielte das für wünschenswert, oder spricht etwas dagegen??

    • RS
      Ria Sauter
      @Grenzgänger:

      Das wäre sehr wünschenswert und nichts spricht dagegen!