Kanadischer Pianist Chilly Gonzales: „Die Bartlänge ist egal“

Chilly Gonzales über die Dramaturgie seiner Bühnenshow, Haltungsnoten am Piano und das Arschloch, das er im Spiegel erblickt.

Ein Mann, Chilly Gonzales

Hier mal mit Einstecktuch: Chilly Gonzales Foto: Alexandre Isard

taz: Chilly Gonzales, Sie sind bekannt für kurzweilige Konzerte mit viel Interaktion. Wie planen Sie einen Abend?

Chilly Gonzales: Es hat viel damit zu tun, wie gut mich die Zuschauer kennen und wie sehr ich auf sie eingehen kann. Ich gestalte meinen Act flexibel. Wenn es heiß draußen ist, ist das Publikum länger an der Bar. Sie mögen dein Konzert genießen, und doch musst du abkürzen, weil sie wieder nach draußen wollen.

Ist es an jedem Auftrittsort anders?

Na klar. Wenn ich in London spiele, weiß ich: Die Leute müssen die letzte Bahn um 23 Uhr erwischen. Also spiele ich ein kompaktes Set, höchstens 80 Minuten plus Zugabe. Ich will verhindern, dass die Leute denken: Gott sei Dank, es ist vorbei. Ganz wichtig: Don’t fuck up the end. Sei sensibel!

Im Dokumentarfilm „Shut up and Play the Piano“ sagen Sie: „Das Publikum soll dich zugleich lieben und hassen.“

Nun, das Publikum sollte zumindest eine große Bandbreite an Emotionen zu spüren bekommen. Bei mir gibt es immer verschiedene Stimmungen: surrealer Humor, Publikumsprovokationen und Exkursionen in die Eingeweide von Musik. Liebe und Hass lote ich ohnehin aus. Es gibt Musiker, die immer gemocht werden wollen. Ich versuche, das Publikum auf einer tieferen Ebene zufriedenzustellen, deshalb zeige ich auch eine negative Seite. Dann werden sie dich als Künstler noch mehr lieben. Rapper zeigen auch dunkle Seiten, dennoch akzeptiert dies ihr Publikum.

Jason Beck, geboren 1972 in Kanada, legte sich im Ostberlin der Neunziger den Künstlernamen Chilly Gonzales zu. Mit Schnäuzer, Goldkette und an der Seite von Peaches tobte er als Underground-Präsident durch die Stadt. Mitte der Nuller zog er nach Paris, gewann einen Grammy für eine Kollaboration mit Daft Punk und erlangte den Weltrekord für das längste Solokonzert. Mit Feist komponierte er den Smashhit „Limit to Your Love“. Vom punkigen Elektro-HipHop der Anfänge verlegte er sich auf instrumentale Klaviermusik, die zum Markenzeichen werden sollte, genau wie YouTube-Analysen von Charthits. Heute veröffentlicht er das neue Werk „Solo Piano III“ (Gentle Threat/Indigo).

Warum sprechen Sie nie über private Dinge?

Ich spreche über Dinge, die auch in meinen Songs vorkamen. Aber ich würde nie über mein Liebesleben rappen, das ist tabu. Die Leute sollen es sich selbst imaginieren. Ich bin produktiv, habe eine umfangreiche Persönlichkeit, das möchte ich nicht durch Privates ruinieren.

Ihre Bühnenuniform besteht aus Schlappen und Morgenmantel. Was macht einen guten Bademantel aus?

Er muss über die Knie gehen. Playboy-Gründer Hugh Hefner trug diese kurzen Bademäntel, das muss wirklich nicht sein! Für meine Shows nutze ich fünf verschiedene in Rotation, von denen ich mindestens zwei Exemplare dabeihabe. Nach einem Jahr kann ich die Mäntel wegschmeißen, den Schweißgeruch bekommt man dann nicht mal mehr in der Reinigung raus.

Wieso gerade dieses Kleidungsstück?

Ich habe keine Lust auf Kostümwechsel, will aber auch nicht nur im T-Shirt auf die Bühne. Ich brauche eine Superhelden-Uniform. Besser: Superbösewicht-Uniform. Bademantel überwerfen, Haare nach hinten gelen, fertig ist die Laube. Die Bartlänge ist egal. Der Bademantel transformiert mich, egal, wie ich aussehe. Dann schaue ich in den Spiegel, und zurück blickt Chilly Gonzales: Hello, Asshole.

Pianisten sehen selten cool aus auf der Bühne.

Als Pianist sitzt man vornübergebeugt, in unschmeichelhafter Position. Männer in den Vierzigern bekommen oft einen Bauch, das sieht nicht gut aus. Es kommt vor, dass ich mir einen Pianisten anschaue, der das Hemd in der Hose trägt, während er spielt, rutscht es langsam heraus. Ich will ihm zurufen: „Gleich sehen wir deine Wampe, Monsieur!“ Das ist, als würde man einen Autounfall in Zeitlupe betrachten.

Im Film reden Sie über Ihren Vater und sagen: „Kapitalismus war unsere Religion.“ Wie meinte er das?

Da müssen Sie meinen Vater fragen! Er bläute uns ein, dass man nur glücklich sein kann, wenn man erfolgreich ist. Mein Bruder und ich saugten das auf. Egal, was du tust, das ist ein Schatten, der dich verfolgt. Katholiken wissen ein Lied davon zu singen: Auch wer 30 Jahre lang nicht in der Kirche war, meint noch, das Bild von Jesus über dem Bett zu spüren. Ich habe gelernt, das zu benutzen und es in Kunst zu verwandeln. Ich glaube aber nicht daran, dass es für Glück den materiellen Erfolg braucht. Meine kreative Arbeit schließt diese Auseinandersetzung mit ein. Die Frage des Umgangs damit werde ich nie ganz auflösen. Ich werde weiter Songs komponieren, die versuchen, dies zu beantworten.

Haben Sie ein Vorbild?

Quincy Jones. Er begann als Musiker in der Band von Ray Charles, wurde dann Arrangeur für Sinatra und komponierte Filmmusik. Er produzierte das größte Popalbum aller Zeiten – Michael Jacksons „Thriller“. Quincy wurde zum Botschafter des Rap, er sagte allen Kollegen: HipHop ist der neue Jazz. Jones ist wie in der Klassik Leonard Bernstein. Sie sind meine Vorbilder, wegen ihnen begann ich meine eigene Musikschule, das Gonzervatory.

Haben Sie Jones je getroffen?

Er hat sich 2017 meine Show angeschaut, ohne dass ich es wusste, und hat währenddessen Sandwiches gemampft. Aber er mochte mein Konzert. Hinterher kam er an: „Bist du Jude? Ich kann das hören.“ Es war, als würde Yoda zu mir sprechen. Bei jedem seiner Worte habe ich mich gefragt: Was bedeutet das? Am Ende spendete er mir das größte Kompliment, das ich mir vorstellen kann: Ich sei ein baad motherfucker. Hätte ich gerne auf die Stirn tätowiert:

Sie leben seit einigen Jahren in Köln. Haben Sie ein deutsches Lieblingswort?

„Gemütlich“: Mir gefällt die Philosophie dahinter. Aus dem Grund trage ich Pantoffeln. Ich bringe Gemütlichkeit in den Konzertsaal.

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